Herr Brunner, mit Roger Köppel ist eine namhafte Figur in die SVP eingetreten. Fürchten Sie sich vor Machtverlust?
Toni Brunner*: Ganz im Gegenteil: Ich freue mich auf einen wachen, offenen Geist. Für mich war es ein Freudentag, als Roger Köppel seine Kandidatur öffentlich machte.

Vergangenen Donnerstag betonte er, dass es nicht mehr reiche, wenn er als Verleger und Journalist an der Seitenlinie stehe und die Politik nur beschreibe. Aber Hand aufs Herz: Können Sie sich Herrn Köppel als Paragrafenschreiner vorstellen?
Mit der Fussball-Metapher hat er ein gutes Bild gewählt. Man kann einflussreich an der Seitenlinie stehen, zum Beispiel als Trainer. Tore schiessen können aber nur die Spieler. Roger Köppel ist bereit, aktiv mitzuspielen und auch dorthin zu gehen, wo es weh tut, nämlich in die Zweikämpfe.

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Ist er eine Führerfigur im Team der SVP?
Absolut. Roger Köppel hat eindeutig Spielmacherqualitäten – ein Mann, der Bälle verteilen kann, sich nicht zu schade ist, auch bei einer Abwehrschlacht mitzumischen, und trotzdem torgefährlich ist. Ich glaube, er kann durchaus Regisseur werden.

Wer wird für ihn ausgewechselt?
Moderne Politik verlangt nach einem grossen Kader, weil die Kadenz der Einsätze immer mehr zunimmt. Das gilt vor allem, wenn man in der obersten Liga spielt und international zum Einsatz kommt. Köppel ist eine Verstärkung und Erweiterung für das bestehende Team.

Es können aber nur elf Spieler auf dem Platz stehen. Jemand muss auf die Bank. Wird es Christoph Blocher sein?
Christoph Blocher ist von der Persönlichkeit und der Biografie her einmalig – und in diesem Sinne auch quasi unersetzlich. Aber ich muss schon zugeben: Viele, durchaus positive Eigenschaften von Christoph Blocher finden sich auch bei Roger Köppel. Beide stürzen sich gründlich und mit grosser Lust in politische Dossiers. Beide sind Überzeugungstäter. Dass innerhalb der SVP krampfhaft nach einer Nachfolge für Christoph Blocher gesucht wird, ist aber eine Unterstellung der Medien.

Die SVP habe schlicht niemand anderen, der das politische Erbe antreten könnte, mutmasste vergangene Woche auch Roger Schawinski. Blochers Tochter habe abgesagt, Mörgelis Glaubwürdigkeit sei zerstört, sonst habe die Partei niemanden, der intellektuell und rhetorisch ähnlich beschlagen sei.
In Bezug auf die ausserordentlichen Fähigkeiten von Roger Köppel hat Roger Schawinski sogar Recht. Nicht recht hat Schawinski, wenn er glaubt, die Zukunft der SVP hänge von einem einzigen Kopf ab. Mir ist lieber, wenn wir breit und mit vielen verschiedenen Köpfen präsent sind.

Roger Köppel wird also nicht der neue Scharfmacher der SVP?
Er wird sicherlich bissige Diskussion mit den politischen Gegnern führen.

Als Markenbotschafter für die FDP sagte Köppel vor zehn Jahren: «Ich bin liberal, weil der Liberalismus, richtig verstanden, eine der erfolgreichsten und besten Traditionen des Westens ist.» Jetzt drängt sich die Frage auf: Verstehen die Liberalen den Liberalismus falsch?
Roger Köppel hat in letzter Konsequenz aufgezeigt, wo der liberale Geist heute sitzt.

Bei der SVP?
Ja.

Ist die SVP denn die neue FDP?
Der gute, alte Slogan «Weniger Staat, mehr Freiheit» würde heute wahrscheinlich jedes SVP-Mitglied unterschreiben. Ob das aber noch jeder Freisinnige unterschreiben würde – daran zweifle ich.

Für viele Wirtschaftsvertreter ist die SVP aber nicht wählbar. Die Differenzen sind zu gross bei Europapolitik, Zuwanderung oder Völkerrecht.
Wir haben grossen Zuspruch aus Kreisen der Wirtschaft – und sind übrigens die Partei mit den meisten Unternehmern im Parlament. Für einen Unternehmer, der in der Schweiz Arbeitsplätze anbietet, ist es wichtig, dass er sich frei entfalten kann. Das verlangt nach einem Umfeld mit weniger staatlicher Regulierung. Dafür macht sich die SVP ja auch stark. Wir sind also unternehmerfreundlich.

Das mag in Bezug auf die Deregulierung richtig sein, aber in Sachen Zuwanderung unterscheidet sich die Marschrichtung der SVP mit jener der Wirtschaft.
Ich bin sicher, dass es ein Standortvorteil sein wird, wenn wir unsere Zuwanderungspolitik wieder eigenständig steuern können. Wenn wir die Migration aus dem Ruder laufen lassen, müssen das am Schluss die Sozialwerke berappen, also letztlich die Unternehmer.

Derzeit ist die Debatte aber sicherlich schädlich für den Standort. Sämtliche Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände versuchen, die Personenfreizügigkeit – und damit die bilateralen Verträge – zu retten. Eine harte Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative bedeutet unweigerlich das Ende der Bilateralen. Die Zukunft mit Europa liegt im Vagen. Das führt zu Rechtsunsicherheit.
Die Verbände schüren hier auch teilweise Unsicherheiten. Das einzige, was wir tun müssen, ist das Freizügigkeitsabkommen anzupassen. Ist dies nicht möglich, muss konsequenterweise die Personenfreizügigkeit gekündigt werden. Das hat nichts mit dem Ende des bilateralen Weges zu tun, wir haben ja über 100 Verträge und nicht nur die Freizügigkeit. Eigenartig ist doch, dass alle vom sogenannten «Fachkräftemangel» sprechen, dabei haben wir offene Grenzen.  Die Unternehmer können sich in ganz Europa bedienen – und trotzdem soll es zu wenige Fachkräfte geben?

Der Fachkräftemangel in manchen Branchen ist Tatsache. Ein Ende der Freizügigkeit würde ihn zusätzlich verschärfen.
Der Verfassungsartikel will die Einwanderung wieder selber steuern und das im Interesse der Gesamtwirtschaft. Daher müssen wir auch in der Schweiz einiges verbessern. Wenn es zu wenige Ärzte oder Ingenieure gibt, müssen wir vielleicht über einen Numerus Clausus bei Psychologen, Politologen oder solchen Studiengängen sprechen, die zum Schluss nur noch mehr Schmetterlingszähler produzieren. Wenn man dem Staat dazu noch einen Anstellungsstopp – oder noch besser: einen Personalabbau – verordnen würde, wäre auf einmal ein grösseres Fachkräfte-Potenzial für die Wirtschaft frei.

So einfach ist die Lösung des Problems?
Das ist mindestens ein Beitrag zur Lösung der anstehenden Probleme.

Was sagen Sie denn zu den jüngsten Aussagen von Nestlé-Chef Paul Bulcke, wonach er das neue Nespresso-Werk wohl nicht mehr in der Schweiz bauen würde, weil das Investitionsklima fieser wurde?
Auch Paul Bulcke weiss – und darüber haben wir heuer bereits zusammen gesprochen –, dass die Schweiz ein gutes Investitionsklima bietet. Das relativ liberale Arbeitsgesetz bietet mehr Spielraum als im nahen Ausland, die Schweiz hat einen soliden Rechtsstaat, wir sind wirtschaftlich offen. Wir fordern ganz einfach politische Selbstbestimmung. Unterm Strich spricht so viel für die Schweiz, dass Paul Bulcke sein Werk sicherlich wieder hier bauen würde. Wo will er den mehr Stabilität und Sicherheit als in der Schweiz?

* Toni Brunner ist seit 2008 SVP-Parteipräsident.