BILANZ: George Sheldon, die SVP macht die Personenfreizügigkeit für die starke Zuwanderung seit 2002 verantwortlich.

George Sheldon: Es ist irreführend, solche Behauptungen aufzustellen und sich nur auf kurze Zeitintervalle zu beziehen. Fakt ist: Der verstärkte Zustrom von ausländischen Arbeitskräften aus dem EU-Raum in die Schweiz begann Mitte der 1990er Jahre und erreichte 2002 die Spitze. Seither ist die Zuwanderung rückläufig. Massenzuwanderung ist etwas anderes für mich.

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Was nutzen dann die von der SVP propagierten Kontingente?
Nichts. Das beweist der plötzliche Anstieg der Zuwanderung unter dem Kontingentssystem der 1990er Jahre. Die Rückwanderungen nehmen ganz einfach stärker ab als die Zuwanderungen, weshalb der Ausländeranteil steigt. Die Zuwanderer werden nicht immer zahlreicher, sondern sesshafter. Auch weil Jahresaufenthaltsgenehmigungen in Fünfjahresbewilligungen umgewandelt wurden für Personen aus dem EU-Raum. Wenn man das alles zur Kenntnis nimmt, dann merkt man einfach, dass diese Initiative gar nichts bringt ausser Ärger.

Vor der Abstimmung zur SVP-Masseneinwanderungsinitiative herrscht ein Zahlenwirrwarr. Welche Zahlen stimmen nun?
Ich schliesse im Unterschied zu den meisten Beobachtern die Kurzaufenthalter mit einer Aufenthaltsbewilligung von weniger als einem Jahr ein. In der Ausländerpolitik geht es in erster Linie um die Höhe des Bestands an Ausländern und nicht um das Ausmass des Umschlags im Bestand.

Sehen wir bloss eine Zuwanderung auf dem Papier?
Die Verwirrung liegt im Begriff «Nettozuwanderung». Er ist irreführend, da er eine reine Bestandesänderung zeigt. Die Leute gehen aber davon aus, dass eine steigende Nettozuwanderung einer Zunahme der Zuwanderung entspricht. Das ist falsch.

Wie bitte? Wandern mehr Menschen ein als aus, führt das zu einer Nettozuwanderung, und zwar nicht nur auf dem Papier.
Praktisch schon, aber oft ist das nicht der Fall. Das Bundesamt für Statistik zum Beispiel hat sich den Begriff «Rückwanderungsziffer» ausgedacht. Das ist das Verhältnis der Rückwanderungen zu den Auswanderungen. Dieses Verhältnis kann auch steigen, weil der Nenner fällt. Das passierte in Deutschland: Es wanderten immer weniger Menschen ein, der Nenner fiel, die Rückwanderungsziffer aber ist gestiegen. Am Ende meinten alle, es würden wieder mehr Deutsche rückwandern. Das war aber nicht der Fall.

George Sheldon (65) ist emeritierter Professor für Arbeitsmarkt- und Industrieökonomie an der Universität Basel. Er publizierte jüngst im Auftrag des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes (SAV) die Studie «Effekte der Personenfreizügigkeit auf die wirtschaftliche Entwicklung der Schweiz». Der SAV ist gegen die SVP-Initiative «Gegen Masseneinwanderung».