Die Imperial-Eagle-Creek-Auster ist fraglos eine Delikatesse, auch wenn sie mit 1.95 Dollar pro Stück noch nicht einmal die teuerste ist. Die wirkliche Spitze der Austernauswahl wird hier allerdings von der Raspberry Point, der pazifischen Kumamoto oder der Windy Bay aus Alaska repräsentiert. Wer Glibberiges aus dem Meer nicht verachtet, dem bleibt bei bescheidener ausgestatteter Brieftasche eine Auswahl an Seeigeln oder Venusmuscheln. Und Besserverdienende wählen den Maine-Lobster. Willkommen in der weltberühmten New Yorker «Oysterbar»!

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Dem Kellerlokal im Bahnhof Grand Central gebührt seit Jahrzehnten der Platz der Königin unter den Imbisslokalen der Luxusklasse. Fastfood für Gehetzte wird hier geboten, Schnellimbiss für Wohlhabende, Luxushäppchen für die kurze Pause zwischendurch oder für die Wartezeit vor der nächsten Zugabfahrt. Während Gastroplaner New York mit den neusten Tapas-Theken und Sushi-Laufbändern überziehen, sich malaysische Spezialitätenlokale mit nordindischen Vegi-Delis konkurrenzieren, scheint hier die Welt stehen geblieben zu sein.

Am Konzept, hochwertige Meeresprodukte auch an der Bar und ohne viel Firlefanz anzubieten, hat sich seit Gründung der «Oysterbar» im Jahr 1913 kaum etwas geändert. Sicher, der verheerende Grossbrand von 1997 hat seine Spuren hinterlassen, doch die Renovation ist geglückt: Die hohen Gewölbe sind wieder üppig gekachelt, und in den Mittagsstunden bleibt wie früher kein Platz frei. Seit sich der Grand Central Terminal vom gruftigen, steinigen Ungetüm zur angesagten Gastro- und Einkaufsmeile gewandelt hat, finden ab und an auch hamburgergeeichte Gaumen den Weg in die grossbürgerliche Gewölbehalle. Und sei es nur, um sich schnell bei einer Portion in Teig frittierter Austern mit Ketchup und Mayonnaise ein Stück altehrwürdiges New York zu gönnen.

Zehntausende haben hier zum ersten Mal überhaupt eine Auster probiert, denn frittiert, paniert oder mit Spinat und Käse zur so genannten «Rockefeller-Auster» überbacken, lässt sich die weit verbreitete Abscheu vor dem gallertartigen Muschelfleisch doch leichter überwinden.

Trends setzt die x-fach kopierte Austernbar schon seit Jahrzehnten. Mit ihrem stets gleich bleibenden Angebot hat sie dem allgemeinen Trend hin zu exotischer oder mediterran-modischer Küche getrotzt. Auf der Getränkekarte sind keine «Sex and the City»-Drinks zu finden, dafür eine altmodische, aber exquisite Bloody Mary. Austern, Meeresfrüchte und Fische dominieren das Angebot, kurz gebraten als Oyster Panroast oder als Cherrystone Clam Panroast, auf die man maximal drei Minuten an der Theke warten muss.

Den Neuanbietern in diesem Segment hat die «Oysterbar» vieles voraus: Während die Fastfood-Industrie mit der demografisch unaufhaltsamen Alterung ihrer Zielgruppen erst allmählich zu erkennen beginnt, dass die ältere – «silberne» – Generation die Läden stürmt und dabei auch gerne für qualitativ höher stehende Produkte tiefer in die Tasche greift, sind in der «Oysterbar» die Gäste unter 30 an einer Hand abzuzählen.

Mindestens die Hälfte der Kunden sind auch im Berliner Feinkostimbiss Rogacki (sprich: Rogazki) über 50 – kein Wunder, denn jeder dritte Berliner hat laut dem statistischen Landesamt dieses Alter bereits überschritten. Das «Rogacki», immer wieder als die «kleine Schwester der ‹Oysterbar›» bezeichnet, unterscheidet sich vom New Yorker Pendant indes durch ein weit grösseres und vielfältigeres Angebot.

Für zwei Euro verspeisen hier die Strassenarbeiter von nebenan ihr halbes Brathähnchen oder ein Eisbein mit Sauerkraut, während sich an der Mitteltheke die Charlottenburger Schickeria mit Schnecken, Austern oder andern Spezialitäten des 1928 als Fischräucherei gegründeten Delikatessenladens verköstigt. Und wer etwas zu feiern hat, der gönnt sich auch mal ein Kaviarbrötchen oder einen Teller mit edlem Räucherstör, an der Theke stehend selbstverständlich. Ohne Dünkel vor dem einfachen Gericht wird hier allerdings auch ein hausgemachter Kartoffelsalat serviert, von dem vier Mitarbeiterinnen täglich bis zu 800 Kilogramm zubereiten. 500 Kilo Fisch werden überdies täglich geräuchert. 120 Leute sorgen täglich fürs kulinarische Wohl Tausender von Gästen, die schon am Mittag bis weit in die Einkaufsstrasse hinaus Schlange stehen.

Vom trendigen Aufbruch Berlins verschont, mutet das Lokal zwar trotz seinem luxuriösen Speiseangebot etwas wie ein altmodisches Supermarktlokal an. Doch dies scheint die sonst vom tiefen Preisniveau und der blühenden Vielfalt in der Gastronomie verwöhnten Berliner nicht zu stören: Ohne Wartezeit gelangt hier niemand an die Theke, zumindest nicht zur Essenszeit. Für Kenner und Liebhaber geräucherten Meeresgetiers kann die billigere Fischimbiss-Variante der Nordsee-Kette keine Alternative sein. Allein des geräucherten Kabeljaurogens wegen lohnt sich schon eine U-Bahn-Fahrt quer durch die Hauptstadt Deutschlands.

Das qualitativ höher stehende Imbissangebot haben jedoch nicht die von ihrer Currywurst-Tradition geprägten Deutschen im grossen Stil entdeckt, sondern bisher vor allem die Amerikaner und die Engländer. Statt fader Schinkensandwichs und blasser Käsecanapés haben die grossen dortigen Anbieter längst erkannt, dass die Konsumenten mittlerweile auch bereit sind, einige Dollars oder Euros oder Pfund für ein Panino mit Trockentomaten und Bressaola oder eine Ciabatta mit Artischockencrème in die Hand zu nehmen. «Ein grosser Sprung für eine Industrie, die sich auf ihre Aktionen für 99-Cent-Hamburgers oder 99-Cent-Chicken-Nuggets eingeschossen hat», kommentierte das «Wall Street Journal» jüngst diesen neuen Trend.

Auch hier spielt die Alterung in der Industriegesellschaft eine wesentliche Rolle. Während der durchschnittliche Kunde der Fastfood-Konzerne zwischen 5 und 24 Jahre alt und ständig knapp bei Kasse ist, dürfte sich dies ändern. Die bisherige Hauptzielgruppe der Jungen wächst in den Vereinigten Staaten in den nächsten zehn Jahren gerade mal um fünf Prozent, während die Gruppe der 45- bis 64-Jährigen im selben Zeitraum laut den Prognosen um dreissig Prozent zulegen wird.

Entsprechend haben die grossen amerikanischen Sandwichketten ihr Angebot ausgebaut. Beim Take-away-Konzern Panera lässt der Kunde im Durchschnitt 6.25 Dollar liegen, beim Konkurrenten Cosi sind es sogar 8 Dollar – verglichen mit den 3 Dollar für einen Big Mac, ist das in der Tat ein gewaltiger Preissprung. Dafür erhält man auch mehr als einen 9,8 Zentimeter breiten Hackfleischfladen mit etwas gezuckertem Brot und Salat-Mayonnaise-Garnitur. Der Imbisskunde von heute hat die Auswahl zwischen einem Whiskeycheddar-Rucola-Brötchen und einem Sandwich mit eingelegten Kapernblüten auf Wasserkresse.

Dass man den Erfolg indes gar nicht mit auserlesenen Delikatessen erzwingen muss, zeigt ein anderes Beispiel in der Oberliga der Luxusimbisstempel. Das Wiener Lokal Trzesniewski an der Dorotheergasse, unweit des Stephansdoms und lediglich zehn Schritte vom berühmten Kaffeehaus Hawelka entfernt, beweist dies seit Jahrzehnten.

Trotz seinem unaussprechlichen Namen kennen laut Umfragen neun von zehn Wienern das «Trzesniewski». Das Lokal mit seinen niedrigen Tischchen und der einladenden Theke bietet nichts anderes als mit Ei oder Käse sowie verschiedenen einfachen Zutaten wie Matjes-Hering, Zwiebeln oder Speck belegte Brötchen an. Schmale Roggenbrot-Streifchen, die ungefähr ein Drittel so gross sind wie die Tunfisch- oder Eierbrötchen, die in jeder traditionellen Schweizer Bäckerei zu haben sind. 80 Cent legen die Kunden dafür aus – um einigermassen satt zu werden, braucht man ein halbes bis ein ganzes Dutzend davon.

Häufiger als Turnschuhe und Sandaletten sieht man hier denn auch rahmengenähte Herrenschuhe sowie Gucci-Stiefel, passend zum Pelzmantel, den die eingefleischte «Trzesniewski»-Kundin stolz anbehält. Länger als eine Viertelstunde benötigt man für den Verzehr der Brötchen sowieso nicht! Dazu gibt es den einzigartigen «Pfiff», einen Achtelliter Bier, den man getrost auch zur Mittagszeit hinuterstürzen kann, ohne von seinen Begleitern gleich als Alkoholiker abgestempelt zu werden.

Das Lokal ist dem schrillen Auftritt der meisten neuen Imbisstempel unprätentiös abhold. Den Eingang findet nur, wer auch weiss, dass sich dahinter das Buffet befindet. Und dennoch schieben sich die Massen von morgens bis abends durch die Eingangstüren, um sich von den adrett mit Servierhäubchen auf die Kundschaft wartenden Buffetdamen ein Pfefferoni-Brötchen, ein Ei-Brötchen mit Ei (das gibt es wirklich dort) oder eins mit schwedischem Hering servieren zu lassen.

Fünf Millionen dieser kleinen Brötchen verkauft das Unternehmen jährlich, und zwar nicht nur hier, im Traditionshaus, sondern mittlerweile in sechs weiteren Wiener Filialen. Und die Hälfte der beliebten Brotscheibchen wird – per Taxi – an Private und an Firmen geliefert. Wer regelmässig an Vernissagen, Empfängen oder sonstigen Veranstaltungen teilnimmt, dem kann es passieren, dass er gleich mehrmals die Woche mit «Trzesniewski»-Brötchen verpflegt wird.

Mit kleinen belegten Brötchen hat auch die spanische Tapas-Tradition einst begonnen. «Irse de tapas», wie eine der Lieblingsbeschäftigungen der Spanier heisst, ist auf die Mitte des vergangenen Jahrtausends zurückzuführen. Per Dekret wurde durchgesetzt, dass zu jedem Glas Wein eine Tapa in Form eines belegten Brötchens serviert werden musste. Laut der Legende wollte man damit verhindern, dass sich Kutscher in der Kneipe ihre Mägen nur mit Alkoholischem füllen. Die Tapa (auf Deutsch: Deckel) wurde dabei auf dem Glas serviert, was auch heute noch in vielen Tapas-Lokalen Brauch ist.

Sicher, die bekanntesten Tapas-Tempel sind heute nicht in Madrid, sondern vor allem in Barcelona und im baskischen San Sebastián zu finden, dessen Tapas-Kneipen das Bild der Altstadt prägen. Ihr Angebot ist in seiner Vielfalt wohl einmalig. Nicht minder spektakulär ist gleichwohl das traditionelle Madrider «Museo del Jamón», wegen seines klischeehaften Interieurs und seiner Anziehungskraft für Touristen aus aller Welt von Spanienkennern oftmals zu Unrecht verschmäht.

Zu Hunderten hängen hier die Schinken von der Decke und an den Wänden, an der Unterseite mit einem Auffangdeckel versehen, damit das Fett den Gästen nicht auf die Haare tropft. Obwohl die klassischen Tapas hier mittelmässig und um die Ecke weit bessere zu kriegen sind, treffen sich hier die Madrilenen nach der Arbeit auf einen Teller mit fein geschnittenem Serrano- oder Bellota-Schinken, auf einen Happen mit Chorizo-Wurst oder ein paar grillierte Scheiben von mit Reis gefüllter Morcilla-Blutwurst. Doch vor allem die Auswahl an erstklassigen Schinkensorten belegt den Aufstieg spanischer Schweineprodukte an die Spitze der Luxusesswaren. Kein Pariser Delikatesshaus und kein New Yorker Feinkosthändler, der den iberischen Schinken nicht in seinem Angebot hätte.

Wurde früher vor allem der Jamón serrano exportiert, der von einer weissen Bergschweine-Rasse stammt, hat sich in den vergangenen Jahren der Jamón bellota vom schwarzen iberischen Schwein an die Spitze gedrängt. Der hierzulande eher als Pata negra bekannte Schinken stammt von einer Rasse, deren herausragendes physisches Merkmal die dunkle Färbung von Haut und Hufen ist. Bellota (Eichel) heisst er auf Spanisch, weil sich diese Schweine in ihrem Ursprungsgebiet, dem spanischen Südwesten, hauptsächlich von Eicheln ernähren. Sie gehören zu einer der letzten Schweinerassen Europas mit Weide- und Auslaufhaltung. Entsprechend teuer ist der bis zu vier Jahren alte Schinken denn auch: Für Spitzenware werden Preise von bis zu 200 Euro je Kilogramm bezahlt.

Wer sich durch die Schinkenauswahl durchdegustieren will, ist im «Museo del Jamón» bestens aufgehoben, doch auch die Konkurrenz vom «Paraiso del Jamón» oder dem «Palacio del Jamón» hat das enorme Potenzial der Schinkendelikatesse längst erkannt. Die Zunft ist drauf und dran, der traditionellen Tapas-Kneipe mit ihren aufgetürmten Bergen an frittierten Calamares, gefüllten Champignons, gestapelten Tonschalen mit Gambas al ajillo den Rang abzulaufen. Stolz ist man hier auf den Schinken, schliesslich hat jede Keule auch einen Stammbaum, was aus jedem einzelnen Schinken einen Teil einer langen Kette spanischer Tradition macht.

Das «Museo del Jamón» steht für das neue Selbstbewusstsein Spaniens. Mit dem wirtschaftlichen Aufstieg des Landes blättern die Spanier heute für einen Teller Edelschinken ein Vielfaches dessen hin, was sie bisher für ihr traditionelles Tortilla-Sandwich oder einen Teller frittierter Sardellen bezahlen mussten.

Oysterbar

Grand Central Station, New York, NY 10017, Tel. 0012 124 90 66 50, www.oysterbarny.com

Öffnungszeiten: Montag bis Freitag von 11.30 bis 21.30 Uhr, Samstag von 12 bis 21.30 Uhr, Sonntag geschlossen

Museo del Jamón

Carrera de San Jeronimo 6, 28014 Madrid, Tel. 0034 915 21 03 46, www.museodeljamon.com

Öffnungszeiten: täglich von 8 bis 24 Uhr

Trzesniewski

Dorotheergasse, 1010 Wien, Tel. 0043 1 512 32 91, www.trzesniewski.at

Öffnungszeiten: Montag bis Freitag von 8.30 bis 19.30 Uhr, Samstag von 9 bis 17 Uhr, Sonntag geschlossen

Rogacki

Wilmersdorferstrasse 145/46, 10585 Berlin Charlottenburg, Tel. 0049 30 343 825 0, www.rogacki.de

Öffnungszeiten: Montag bis Freitag von 9 bis 19 Uhr, Samstag von 8 bis 16 Uhr, Sonntag geschlossen