Der Frieden hielt nur eine Woche. Dann war bereits der nächste hausinterne Krach bei den Sozialdemokraten angesagt. «Mit Klassenkampf-Rhetorik holt Levrat in der Deutschschweiz keine Wähler», schimpfte die Berner SP-Ständerätin Simonetta Sommaruga. Acht Tage nach der viel bejubelten Wahl des Freiburger Nationalrates Christian Levrat zum neuen Parteivorsitzenden hing der Haussegen wieder schief. Levrat (37), Jurist mit einem Master in Politikwissenschaften, eckt an. Denn der Freiburger bedient sich gerne eines überkommenen Vokabulars. «Der Klassenkampf ist nicht tot», rief er am 1. Mai 2005 den Genossen zu. Die globalisierte Wirtschaft ist für ihn eine «Welt der neuen Blutsauger»; die «Abzockerklasse» der Manager führe einen «Klassenkampf von oben», um eine «neue Feudalherrschaft» zu festigen; die «Gier der Manager» gelte es mit einer «Revolte» zu bekämpfen.

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Ihn als rückwärts orientierten Klassenkämpfer zu diffamieren, wäre aber zu einfach. «Das ist Rhetorik», sagt Levrat, dessen behäbiges Auftreten mit der Gabe zur blitzschnellen Auffassung und einer messerscharfen Wortwahl kontrastiert. Nun ist der Schnellstarter angetreten, um die SP aus der Lethargie zu lösen und zu einer Kampftruppe wider die Wirtschaft zu formen. «Manchmal sind harte Worte nötig», sagt er und verweist auf den permanenten Wahlkampf der SVP: «Die SP muss wieder siegen lernen.» Zu den engen Wegbegleitern zählt der Freiburger Ständerat Alain Berset. Mit dem Ökonomen und Vizepräsidenten der kleinen Kammer hat Levrat vor einem Jahr ein Buch veröffentlicht: «Changer d’ère». Neben einem Plädoyer gegen Christoph Blocher enthält es Programmatisches zur Wirtschaftspolitik. Levrat präsentiert sich als ewiger Keynesianer, befürwortet eine aktive Konjunkturpolitik, antizyklisches Investitionsverhalten und eine aktive Geldpolitik.

Gelernt hat er diese Theorien an der Uni Fribourg in ergänzenden Vorlesungen über Volkswirtschaft und Wirtschaftsphilosophie bei Professor Joseph Deiss, dem späteren Bundesrat. Zu diesem Zeitpunkt hatte der aus einer freisinnigen Garagistenfamilie stammende Levrat bereits politische Spuren hinterlassen. Während der Gymnasiumszeit in Bulle, wo er mit der Waadtländer Ständerätin Géraldine Savary in einem Theaterstück von Molière auf der Bühne stand, gründete er eine Jugendsektion der Freisinnigen. Prägend waren die Lektüre von Albert Camus und dessen Skepsis gegenüber allen Ideologien. Wie Camus begrüsst das Energiebündel Levrat die Moral des Handelns und bezeichnet sich selber als «Pragmatiker mit hohen Idealen».

Erst 2001 trat der perfekte Bilingue in die SP ein. Den Job bei der Gewerkschaft Kommunikation haben ihm Freiburger Bekannte vermittelt: der damalige SP-Ständerat Pierre Aeby und Nationalrat Jean-François Steiert, ehemaliger Sekretär der SP und begeisterter Schachspieler wie Levrat. Auch der vorerst letzte Schachzug des neuen SP-Präsidenten gelang ihm dank seiner Fribourg-Connection: Die Abwahl des verhassten SVP-Populisten Blocher wurde für Levrat zum Gesellenstück.

Zum engsten Kreis der Eingeweihten gehörte CVP-Präsident Christophe Darbelley. Die beiden Parteichefs kennen sich aus der Parlamentariergruppe U35. Zum lockeren Treffen erscheinen Jungpolitiker wie Christa Markwalder (FDP), Chantal Galladé (SP), Ursula Wyss (SP), Evi Allemann (SP), Jasmin Hutter (SVP) und der neue SVP-Präsident Toni Brunner. Der Walliser Darbelley ist auch Präsident des Salon des goûts et terroirs in Bulle, einer Show landwirtschaftlicher Spezialitäten in Levrats Stammlanden. Darbelley beschreibt Levrat als «Mann mit sehr viel Kraft, ein Zugpferd». Allerdings sagt er auch: «Er ist extrem links – und das ist sein Problem.»

Seine Wegbegleiter

Seinen Aufstieg in die Bundespolitik begann Christian Levrat im Treibhaus der Arbeiterbewegung: zuerst als Sekretär, dann als Präsident der Gewerkschaft Kommunikation. Als Wegbereiter wirkte dabei Alain Carrupt, der vom Präsidialamt zugunsten des ungestümen Levrat zurücktrat.

Um die Sorgen der Mitglieder kennen zu lernen, verbrachte Levrat mehrere Wochen in Begleitung von Briefträgern und besuchte die Verteilzentren. Als die Post im Jahr 2002 deren Zahl auf drei reduzieren und 3000 Stellen streichen wollte, stellte sich Syndikalist Levrat quer, und die Post wurde zu einer milderen Strukturreform gezwungen.

Zu Christian Levrats engerem Beziehungsnetz gehört Serge Gaillard, der saubere Analytiker, der inzwischen vom Gewerkschaftsbund zum Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) gewechselt hat und in seiner heutigen Funktion ungleich moderatere Töne anschlägt.

An Andreas Rieger, dem Co-Präsidenten der Unia, schätzt Levrat die konzeptionelle Stärke, in Daniel Lampard, Chefökonom des Gewerkschaftsbundes, sieht er nichts weniger als «eine der brillantesten wirtschaftspolitischen Kräfte». Mit der Zürcher Nationalrätin und VPOD-Präsidentin Christine Goll, auf dem linken SP-Flügel angesiedelt, hat Christian Levrat die Fusion zu einer Grossgewerkschaft mit 100  000 Mitgliedern aufgegleist.

Seine wirtschaftspolitischen Widersacher

«Mein Anreiz war immer, mindestens so viel zu verstehen wie meine Gegner», sagt SP-Präsident Christian Levrat. Das haben Leute wie Post-Chef Ulrich Gygi, auch er Mitglied der SP, zu spüren bekommen. Gygi, der scharfe Rechner, will die Post effizienter machen und stärker dem Markt aussetzen. Die beiden Kontrahenten treffen sich häufig zu nächtlicher Stunde, wenn die gewerkschaftlichen Verhandlungen schon weit fortgeschritten sind. Die Auseinandersetzungen seien von gegenseitigem Respekt geprägt, heisst es. Und vom Bemühen, die Beweggründe des anderen zu verstehen.

Das gelingt Christian Levrat im Fall Aymo Brunettis vom Seco nicht immer. Dem Chefökonomen und den «Seco-Boys» wirft der Gewerkschafter aus Fribourg schlicht falsche Konjunkturprognosen vor. Relevant wird das, wenn jeweilen um die neue Lohnrunde gefeilscht wird.

Seine politischen Gegner

Der wichtigste Gegner, Christoph Blocher, sitzt unter anderem wegen Levrat nicht mehr im Bundesrat. Ein anderer schon: Hans-Rudolf Merz. Bei den Themen AHV, Kaufkraft, Sozialpartnerschaft, Lohndumping und Steuerpolitik steht der SP-Präsident oft im Clinch mit dem Finanzminister. Eine Runde verbuchte Levrat für sich: Mit der Idee der Swisscom-Privatisierung scheiterte Merz auch an seinem Widerstand. Im Parlament gehören Rechtsliberale wie Hans Kaufmann (SVP) oder Georges Theiler (FDP) zu den schärfsten Kontrahenten.