Gesundheit ist eines der grossen Themen unserer Zeit. Angesichts alternder Bevölkerungen, steigender Gesundheitskosten und rasanter technologischer Innovation hat sich im Silicon Valley eine Dynamik zur Generalüberholung des vier Billionen Dollar schweren amerikanischen Gesundheitswesens entwickelt.

Angestrebt werden verbesserte Behandlungserfolge, erschwinglicher und gerechterer Zugang zu Pflegeleistungen und übertragbare Lösungen, die globale Gesundheitsstandards anheben.

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Die Konferenz Stanford Medicine X, welche im September stattgefunden hat, hat sich all dieser Herausforderungen angenommen, doch aus unserer Sicht kommt drei Aspekten eine besondere Bedeutung zu. Es mag erstaunen, dass es dabei nicht um Technologie, Gadgets und Apps geht, sondern darum, Gesundheit und Pflege als Gesamtbild zu sehen.

1. Nicht jedermann lebt in einer digitalen Welt

Es mag seltsam anmuten, dass eine Tech-Konferenz diese Tatsache hervorhebt, doch handelt es sich um eine ihrer wichtigsten Erkenntnisse. Die Kultur der Innovation und des technologischen Fortschritts im Silicon Valley zeugt von einem unerschütterlichen Glauben an die Technologie. Damit einher geht die Annahme, dass die Instrumente der Zukunft die Probleme von heute lösen können. Natürlich benötigen wir Lösungen für morgen, doch sollten sie sich an alle richten und nützlich für die Gegenwart sein.

Exponentiell wachsende Märkte wie die digitale Gesundheit sind aufgrund ihrer unermesslichen Möglichkeiten interessant. Dank besserem Zugang, steigenden Investitionen und erhöhter Nutzerfreundlichkeit werden bald medizinische Technologien auf unseren iPhones verfügbar sein, welche unsere Lebensqualität drastisch erhöhen oder gar Leben retten können.

Wenn man denn über ein iPhone – und den für dessen Betrieb notwendigen Strom – verfügt. Tatsächlich sind lediglich 58 Prozent der Amerikaner im Besitz eines Smartphones; weltweit sind es weniger als 25 Prozent. Die Frage, ob neue Technologien die digitale Ungleichheit lindert oder verschlimmert, ist also brennender denn je.

Mit der Frage nach innovativen Gesundheitslösungen für Patienten ohne Smartphone ermöglichten Organisationen wie das Center for Care Innovations einen wohltuenden Blickwechsel. Dass diese Präsentation Seite an Seite mit den Erklärungen der jüngsten Durchbrüche von Tech-Startups im 3D-Drucken für medizinische Zwecke erfolgte, führte zu einem besonders grossen Erkenntnisgewinn.

Sich die nicht-digitalen Patienten in unserer digitalen Welt in Erinnerung zu rufen, ist auch eine Frage der Gerechtigkeit im Gesundheitsbereich. In den USA liegt der Anteil der Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandprodukt bereits im astronomischen Bereich. Gesundheitsversorgung nimmt einen grossen Teil des Budgets von Mittelstandsfamilien in Anspruch.

So bahnbrechend es ist, dass das menschliche Erbgut heute zu einem Bruchteil der Kosten der vergangenen Jahre entschlüsselt werden kann, und dass Diabetiker ihre Krankheit mit einer App in Echtzeit überwachen können – diese unbestrittenen Erfolgsgeschichten haben auch einen unerwünschten Nebeneffekt: «Statt Lösungen für Probleme der Gegenwart zu schaffen, entwerfen wir Lösungen für die Gadgets, die wir benutzen.»

Das heisst jedoch nicht, dass wir die neuesten Technologien nicht nutzen sollten. Wir sollten dies unbedingt tun. Doch wir müssen uns davor hüten, die Technologie als Selbstzweck zu betrachten. Vielmehr sollten wir beim Entwerfen, Entwickeln, Regulieren und Erneuern stets den Endnutzer im Blick haben.

2. Hören Sie Ihrem Patienten zu

Auch diesen scheinbar selbstverständlichen Punkt sollten wir uns immer wieder in Erinnerung rufen. Die allgemeine Euphorie für das Neuste führt oft dazu, dass Lösungen im  Gesundheitsbereich auf die Möglichkeiten der jüngsten Innovationen abgestimmt werden. Das ist, wie oben erklärt, nicht immer hilfreich.

Doch Technophilie ist nur ein Teil des Problems. Klinische Tests von grossen Pharma-Unternehmen zielen auf die behördliche Zulassung ihrer Produkte ab, statt die Bedürfnisse der an den Tests teilnehmenden Patienten zu berücksichtigen. Tatsächlich ist es eine Neuheit, dass Patienten von den Unternehmen überhaupt miteinbezogen werden.

Die meisten von uns tappen im Dunkeln darüber, wer die uns verschriebenen Medikamente herstellt, und die Bemühungen, etwas daran zu ändern, waren bisher bescheiden. Konferenzen wie Stanford Medicine X wollen dies ändern, indem sie Patienten in der Debatte um Gesundheitstechnologien und medizinische Innovation eine aktive Rolle zuweisen.

An einem emotionalen runden Tisch mit einem Multiple-Sklerose-Patienten und einem Morbus-Crohn-Patienten hat Joseph Kim, der als Berater für den Einbezug von Patienten bei der Firma Ely Lilly tätig ist, während der Medicine-X-Konferenz eingeräumt, dass seine Branche Patienten zu lange als «Rohstoff in der Versorgungskette» zur Entdeckung neuer Medikamente behandelt hat. Heute werden Patienten zunehmend in den Prozess ihrer Behandlung und Genesung eingebunden, statt sich mit der Rolle des passiven Zuschauers begnügen zu müssen.

Dieser erst vor kurzem eingeleitete Wandel hin zu einer Anerkennung des Patienten als Kunde belegt in Kims Augen einen radikalen Wandel von «Old Pharma» hin zu «New Pharma». Ein überaus wichtiges Ergebnis dieser neuen Sicht auf den Patienten ist ein neuer Fokus auf Kundenservice. Dies ist eine Kernvoraussetzung für den Einbezug der Patienten.

Medikamente und Behandlungspläne, die für Patienten entwickelt und diesen ohne weiterführende Erklärungen oder Auswahlmöglichkeit aufgebürdet werden, führen nicht zu den erwünschten Ergebnissen und sind daher eine Verschwendung von Ressourcen. Intelligente Gesundheitsversorgung basiert auf der Erkenntnis, dass Lösungen gemeinsam mit Patienten entwickelt werden müssen.

Intelligente Gesundheitsversorgung benötigt möglicherweise Anreize für Leistungsanbieter. Bisher gibt es für Ärzte keinen direkten Anreiz, Patienten zuzuhören. Stattdessen liegt es in ihrem Interesse, bereitwillig Medikamente zu verschreiben und Tests anzuordnen, deren Kosten Patienten erst klar werden, wenn sie die Rechnung dafür erhalten.

3. Alle Akteure miteinbeziehen

Der verantwortliche Direktor von Stanford Medicine X, Larry Chu, erklärt, dass das X in deren Namen das Denken jenseits von Zahlen und Trends fördern soll und für die «unbegrenzten Möglichkeiten gegenwärtiger und zukünftiger Informationstechnologien im Gesundheitsbereich steht».

Hier im Silicon Valley sprechen alle von der Zukunft. Umso erfrischender ist es, einem Wissensaustausch beizuwohnen, dessen Schwerpunkt auf der Schaffung und Pflege eines fruchtbaren Bodens für Innovation liegt, statt auf der Einführung des next big thing. In diesem Sinn war Medicine X kein Demonstrationstag für existierende Lösungen, sondern eine Plattform, um Menschen, Gruppen und Ideen zusammenzubringen, die letztlich die Lösungen von morgen schaffen werden.

Allen Teilnehmern ist bewusst, dass jeder seinen Teil zur Lösung der Probleme im Gesundheitsbereich beitragen muss. Notwendig ist nichts weniger als eine Gesamtüberholung des Systems.

Medicine X engagierte alle Akteure von der medizinischen Forschung zu praktizierenden Ärzten, Pharma-Unternehmen, Tech-Firmen im Gesundheitsbereich, Startups in den Bereichen Wearables und digitale Gesundheit, Nonprofit-Gesundheitsorganisationen, Regulatoren und, am wichtigsten, Patienten. Herausforderungen wurden aus einem akademischen, rechtlichen, ökonomischen, kreativen und emotionalen Blickwinkel angegangen.



Wie wichtig ist Empathie im Behandlungsprozess? Wie können bessere User Interfaces bessere Resultate generieren? Wie können Patienten ohne Smartphone erreicht werden? Fragen dieser Art, die üblicherweise nicht gestellt werden, kamen bei Stanford Medicine X zur Diskussion.

Alle Akteure thematisch einzubeziehen ist das Eine. Dr. Chu und seinem Team war es jedoch ein Anliegen, die Teilnehmer auch vor, während und nach der Konferenz zu engagieren. Namensschilder mit Quick-Response-Codes für Diskussionen in der Online-Community sind nur ein Beispiel dafür, wie man interdisziplinäre Vielfalt und Potenzial der Teilnehmer über den Konferenzsaal hinaus nutzen kann.

Emina Reissinger von swissnex San Francisco war an der Konferenz

Bei swissnex haben wir Interdisziplinarität verinnerlicht, weil wir der Überzeugung sind, dass unvorhersehbare Partnerschaften die besten Resultate hervorbringen. Mit dem Einbeziehen aller Akteure und dem Sprengen von Denkrahmen befindet sich Stanford Medicine X auf fruchtbarem Boden.

*Christian Simm ist Gründer und CEO von swissnex San Francisco. Mitarbeit : Emina Reissinger & Ramona Krucker