Wir sind so klein, dass sich Amazon nicht für uns interessiert», sagt ein Mann, der fast zwei Meter gross ist. Jan Bomholt hat einen festen Händedruck und ein herzliches Lächeln. 2012 kam der Wahlschweizer beim Spaziergang durch Konstanz auf eine geniale Geschäftsidee. Sechs Jahre später setzt er mit MeinEinkauf.ch einen tiefen zweistelligen Millionenbetrag um und beschäftigt 60 Leute.

Bomholt bewegt Ware aus deutschen Onlineshops in die Schweiz, die sonst nicht hierher geliefert wird oder hier viel zu teuer ist. Er zählt fast 200 000 registrierte Kunden. Jeden Tag kommen 200 neue dazu. Man könnte MeinEinkauf.ch als eine Art Marktplatz bezeichnen. Als einen Kanal, der den Konsumenten die Ware bereitstellt. Wie Amazon. Der US-Gigant macht geschätzt die Hälfte seines Handelsumsatzes mit dem Marktplatzmodell. Dass Amazon nun einen Deal mit der Post abgeschlossen hat, um einfacher Ware ins Nicht-EU-Land Schweiz zu liefern, müsste Bomholt eigentlich Sorgenfalten auf die Stirn zeichnen. Denn auf der Mehrheit der Päckli, die über MeinEinkauf.ch laufen, prangt das Amazon-Logo.

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Doch Bomholt bleibt cool. «Ich schlafe weiterhin gut», sagt er. 82 Prozent seiner Amazon-Bestellungen stammen von Marktplatzhändlern. Die haben keinen Deal mit der Schweizer Post, weil sie ihre Ware selber verschicken. Amazon ist für sie nur die Verkaufsplattform. Noch dieses Jahr soll die Post die digitale Verzollung für Amazon-Pakete starten. Die Marktplatzware wird nicht dazugehören. Weiterhin sind bei diesen Dritthändlern die Retouren nicht geregelt, und es besteht die Gefahr, dass dem Besteller nach der Lieferung eine zusätzliche Rechnung vom Zoll ins Haus flattert. «Es wird sich also kaum etwas ändern», sagt Bomholt. Weder die Post noch Amazon wollen das kommentieren. Auch der Amazon Prime Day, den der Konzern für den Montag ausgerufen hat, spielt für Bomholt kaum keine Rolle. Zwar haben rund 100'000 Schweizer Kunden ein Prime-Abonnement – es nützt ihnen allerdings wenig.

Die Gefahr für Bomholt kommt nicht von aussen. Vielmehr müsste ihm Sorgen machen, was Migros und Coop gerade aufbauen. Wie überall im Schweizer Detailhandel wollen die beiden Grossverteiler auch online den Markt beherrschen. Und die Stimmung zwischen den beiden ist mehr als gereizt.

Niederlage für Joos Sutter

Ende Mai in Jegenstorf BE. Coop-Chef Joos Sutter schüttelt freundlich Hände. Kaderleute und Lokalpolitiker stossen an. An der Einweihung des neuen Logistikzentrums der Coop-Töchtergesellschaften Interdiscount und Microspot lässt er sich an diesem Morgen die Niederlage nicht anmerken. Kurz zuvor beschloss Coop das Ende des Online-Marktplatzes Siroop. Ein Mega-Flop, sagen einige. Andere finden, man hätte noch ein paar Jahre durchhalten sollen. Sutter lächelt das Versagen routiniert weg. In seiner Rede zeichnet er das Bild einer organischen Fusion.

«Siroop ist die ideale Ergänzung für Microspot», bekräftigt er. Man setze nun auf eine Marke statt auf verschiedene. Der schöne Erweiterungsbau ist an diesem Morgen nur Nebenschauplatz. Der Coop-Chef nutzt die Veranstaltung, um eine Kampfansage an die Migros zu platzieren. Die Einbindung von Siroop in Microspot werde die Wirkung einer Giesskanne haben, «die man vorne mit einer Düse versieht».

Jegenstorf

Lager von Microspot und Interdiscount in Jegenstorf: Effiziente Logistik ist im Onlinehandel matchentscheidend.

Quelle: Keystone

Noch während Sutter spricht, veröffentlicht die Migros-Tochter Digitec Galaxus eine Medienmitteilung, in der sie eine Kooperation mit der Premium-Möbelmarke Teo Jakob ankündigt. Bald würden «hochwertige Kleider sowie Schmuck und Beauty-Produkte» dazukommen. Coop kontert mit einer Mitteilung zur Lager-Eröffnung: «Interdiscount und Microspot starten Online-Offensive.»

Wie immer: Migros und Coop. «Es ist ein harter Kampf um die Nummer eins im Schweizer Onlinehandel», stellt Patrick Kessler fest, Präsident des Verbands des Schweizer Versandhandels (VSV). «Keiner der beiden mag dem anderen etwas gönnen», beobachtet Thomas Lang vom E-Commerce-Berater Carpathia.

Der Eindruck täuscht nicht: Es geht 2018 Schlag auf Schlag im Schweizer Onlinehandel. «Die Nervosität in der Branche ist sehr hoch», sagt Roland Brack, Gründer von Brack.ch. Offenbar wurde nun nach dem Siroop-Ende eine Regel in Stein gemeisselt: Wer nicht schon seit Jahren im Markt ist, hat kaum mehr eine Chance.

Die wichtigsten Online-Player:

Microspot gibt es seit 1980 und war früher ein seriöser Interdiscount-Konkurrent. 1996 kaufte Coop beide Formate auf und schloss die Microspot-Filialen. 2007 erweckte Joos Sutter, damals Interdiscount-Chef, die Marke als Onlineshop zu neuem Leben. Die Bekanntheit ist noch heute bescheiden.

Microspot.ch ist allenfalls für Tiefstpreise bekannt. Experten loben aber Aufbau und Schnelligkeit des Onlineshops: «Die Startseite kommt ohne sichtbares Produktemenu aus», sagt Thomas Lang. «Das ist schon sehr innovativ.» Microspot wird einzelne Siroop-Leute übernehmen und für sie einen Standort in Zürich betreiben. Die ehemaligen Siroop-Kunden lockt man dieser Tage per Gutschein herüber: Wer sich auf Microspot.ch registriert, erhält 50 Franken Rabatt.

Digitec Galaxus wagt Abenteuer Deutschland

Ob Microspot das Zeug hat, Galaxus als Marktplatz gefährlich zu werden, ist fraglich. Der Name ist noch stark mit Heimelektronik verbunden. Aus genau diesem Grund hat Erzfeind Digitec 2012 auch Galaxus gegründet. Die Frage ist eher, ob man überhaupt an der Marktmacht von Digitec Galaxus rütteln kann. Die beiden listen zusammen fast zwei Millionen Produkte. Die Migros hatte 2012 den besseren Riecher als Coop und beteiligte sich an der Firma. Dank einer Marketingrakete, wie sie nur der orange Riese zünden kann, erhöhte sich der Umsatz von Digitec Galaxus auf zuletzt 861 Millionen Franken. Viermal so viel wie Microspot. 2018 werde man wohl die Milliardengrenze knacken, stellte der Einkaufschef kürzlich an der E-Commerce-Konferenz «Connect» in Aussicht.

Gut möglich, dass die Deutschland-Expansion von Galaxus nur eine Tarnung für die Migros ist.

Noch im laufenden Jahr will man in Deutschland starten. Mit ihrem Umsatz wäre Digitec Galaxus dort der fünftgrösste Onlinehändler. Doch über die Chancen von Galaxus streiten sich die Experten. «Kein Netzwerk, keine Erfahrung, keine Credibility», urteilt ein Branchenkenner, für den die Expansion «absolut null Sinn» macht. Carpathia-Mann Lang hingegen findet den Schritt «mutig und durchaus erfolgversprechend».

Genauso uneins sind sich die Kenner in Deutschland: «Ich glaube nicht, dass Galaxus hier eine grosse Chance hat», sagt Mark Steier von Wortfilter.de. «Wenn sie wie angekündigt nur moderat ins Marketing investieren, reicht das höchstens für 25 bis 35 Millionen Umsatz pro Jahr.» Optimistisch dagegen ist Jochen Krisch von Exciting Commerce, der den Schweizern fünf Jahre nach Markteintritt einen dreistelligen Millionenumsatz zutraut.

Dabei könnte die Deutschland-Expansion nur eine Tarnung sein. Sie sei der Versuch der Migros, jenseits des Rheins an günstigere Markenprodukte in hohen Mengen zu gelangen, hallt es aus der Branche. Die Hersteller verkaufen ihre Ware den Schweizer Händlern seit Jahren über ihre hiesigen Tochtergesellschaften zu überteuerten Preisen. Galaxus.de könnte so Pampers, Gillette oder Nivea günstiger direkt in Deutschland einkaufen und über ihren «EU-Hub», ein neues Verzollungscenter in Weil am Rhein, in die Schweiz holen.

Bei Digitec Galaxus widerspricht man lächelnd: Das sei durchaus eine ernste Sache. Die Logik liege in der Skalierbarkeit, für einen Onlinehändler, der mit der Weltspitze mithalten wolle, sei der Schweizer Markt eben viel zu klein.

Wachstum Online
Quelle: Bilanz


Es zeigt, dass die Ambitionen hoch sind. Genauso wie das Selbstvertrauen. Der Siroop-Flop hat seinen Teil dazu beigetragen. Es wird gerne gespottet im M-Konzern am Zürcher Limmatplatz, wo CEO Fabrice Zumbrunnen viele Mittel in die Online-Expansion steckt. Man sieht sich als Speerspitze des E-Commerce. Die Umsätze geben der Migros recht. Sie weist derzeit 1,95 Milliarden aus, Coop kommt auf 1,71 Milliarden. Das Wachstum ist bei beiden gross.

Seit Jahren kopiert man sich schamlos und versucht, Schwächen des Gegners auszunutzen. Als Siroop Ende 2015 an den Start ging, nannte sich Galaxus plötzlich auch Marktplatz. Zwar bot Galaxus schon zuvor Waren von Dritthändlern an, sah das selber aber nie als marketingtechnischen Vorteil. Nebenbei holte sich Galaxus als kleinen Coup den Haustierbedarfshändler Qualipet exklusiv ins Boot. Siroop wiederum vermeldete das Angebot von Brack.ch auf seinem Marktplatz als Grosserfolg. Hinter vorgehaltener Hand verweisen beide Seiten gegenüber Journalisten regelmässig auf Verfehlungen der Konkurrenz. Als im April das Ende von Siroop bekannt gegeben wird, macht ein Hinweis auf Twitter die Runde: Wer bei Galaxus das Stichwort «Reissleine» in die Suchmaske eingibt, dem wird ein Sirup empfohlen. «Marketing at its best», kommentierte einer.

Siroop

Auch wenns am Siroop-Sitz in Zürich aussah wie bei Google: Die Firma scheiterte an ihrem Qualitätsanspruch – und an der schlechten Werbung.

Quelle: Keystone

Dass Siroop gegenüber Galaxus den Kürzeren zog, hat auch mit fehlendem Mut zu tun. Man wollte explizit keine ausländischen Händler auf der Plattform. Eine Anbindung an ein deutsches Onlinehändler-Netzwerk wurde von der Chefetage explizit unterbunden. Qualität statt Masse: eine fatale Fehleinschätzung. Von den vielen kleinen Schweizer Händlern hatten die wenigsten Online-Erfahrungen. Ihre Anbindung an die Siroop-Software scheiterte in zahlreichen Fällen, und die Qualität der Sendungen ging weit auseinander. Selbst Coop-Mitarbeiter, welche bei Siroop bestellten, klagten am Hauptsitz wiederholt über den unberechenbaren Service.

Immerhin im Food-Bereich wird Coop der Migros langsam gefährlich. Hier teilen sich die beiden Riesen 99 Prozent des Marktes. Zwar verweist die Migros-Tochter LeShop Coop@home auch hier auf Platz zwei, doch Letztere wächst inzwischen viel schneller. Strategisch werden die beiden Töchter noch immer eher stiefmütterlich behandelt. Der Konkurrenzkampf ist darum auch kleiner. «Wir haben gemeinsam daran gearbeitet, den Schweizer Konsumenten zum Onlinekauf zu animieren», resümiert Ex-LeShop-Chef Dominique Locher sein Verhältnis zu Coop@home-Chef Philippe Huwyler.

Dritthändler aus Deutschland auf Galaxus

Ganz anders im Non-Food, wo Galaxus nun Dritthändler aus Deutschland auf ihren Marktplatz holt. Die Ware kommt via EU-Hub ins Land. Wie es Galaxus nach eigenen Angaben schafft, dank einer Softwarelösung mit relativ wenig Personal die komplexe Verzollung zu vollziehen, will das Unternehmen «aus Konkurrenzgründen» im Detail nicht verraten. Stefan Fraude, der Marktplatzverantwortliche bei Galaxus, betont, dass man nur mit Dritthändlern zusammenarbeite, die ihre hohen Qualitätsansprüche erfüllen. «Wir wollen mit einer überschaubaren Anzahl an Händlern aus dem europäischen Raum das Optimum für unsere Kunden erzielen», sagt Fraude.

Klasse statt Masse? Wenn Galaxus daran festhält, wird Jan Bomholt und sein Fast-Marktplatz MeinEinkauf.ch kaum Kunden verlieren. Denn der sogenannte Long Tail – Produkte jenseits der Megaseller iPhone und Co. – ist seine Basis. «Je grösser Galaxus im Long Tail wird, desto mehr verlieren wir», erklärt Bomholt. Doch auf absehbare Zeit rechnet er mit höchstens fünf Prozent Umsatzeinbruch. Behält der Unternehmer recht, entkäme er für diesmal den Detailhandels-Walzen Migros und Coop.