Auf der weltgrössten Luftfahrtmesse in Paris hing in diesem Jahr an der Tür eines kleinen Pavillons ein provozierendes Plakat. Danach wird die Luftfahrtindustrie die Umweltschutzauflagen bei künftig immer mehr Flugzeugen mit herkömmlichen Triebwerken oder alternativen Treibstoffen niemals erfüllen können. Nur mit elektrischen Antrieben oder Hybridlösungen sei dies möglich, lautete die Mahnung.

Das Plakat stammte nicht von einer Umweltschutzorganisation, sondern von Siemens. Der deutsche Technikkonzern sieht in Flugzeugen mit Elektroantrieb ein Zukunftsgeschäft und entwickelt und testet bereits intensiv Antriebe für Modelle, die mit Strom statt Kerosin funktionieren, und heimst dabei Weltrekorde ein.

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E-Flugzeugen gehört die Zukunft

Dies ist nur eines von zahlreichen Beispielen für den nächsten Umbruch. Nach den E-Autos auf der Strasse kommen die E-Flugzeuge, E-Drohnen oder neue E-Verkehrssysteme für den Luftverkehr. Und wie beim Auto künftig auch werden sie autonom gesteuert, fliegen also automatisch.

Manfred Hader, Luftfahrtexperte vom Beratungsunternehmen Roland Berger, fasst den Wandel in einem Satz zusammen: «Die Frage ist nicht mehr, ob, sondern wann elektrisch angetriebene Flugzeuge Normalität sein werden.» Die Branche werde sich in den nächsten Jahrzehnten stark verändern.

70 Modelle sollen bis 2030 fliegen

War es bei den E-Autos fast ausschliesslich der Technikunternehmer Elon Musk, der die etablierten Unternehmen mit seiner Firma Tesla wachrüttelte, ist die Basis für die Entwicklung neuer Luftfahrtideen deutlich breiter. So hat Roland Berger in einer Datenbank allein 70 aktuelle Projekte mit E-Modellen abgespeichert, die bis 2030 fliegen sollen.

Die Studie, die der WELT vorliegt, zeigt, dass etwa die Hälfte der Projekte von Firmenneugründungen, Start-ups und unabhängigen Entwicklern betrieben werden. Nur in 18 Prozent der Fälle sind die grossen Hersteller wie Boeing, Cessna, Agusta Westland und vor allem Airbus beteiligt. So hat Airbus eine enge Kooperation mit Siemens für E-Antriebe geschlossen und treibt die Entwicklung verschiedener E-Mobilitätsmodelle voran.

Boeing startet durch

Praktisch über Nacht hat jetzt auch Boeing in grossem Stil die Themen E-Fliegen und autonome Steuerung besetzt. Neben der schon bestehenden Zusammenarbeit mit Zunum, einem Entwickler für E-Regionalflugzeuge, hat Boeing nun die US-Firma Aurora Flight Sciences zu einem unbekannten Preis komplett übernommen.

Die private Firma mit 550 Beschäftigten gilt mit zahlreichen Prototypen und Technologien für E-Modelle und Lufttaxis sowie futuristischen Flugkonzepten als eines der weltweit innovativsten Unternehmen in diesem Segment. Für viele Entwicklungen bekam Aurora auch Gelder der Pentagon-Forschungsbehörde Darpa.

Durchbruch in Stufen

Dabei geht es nicht nur um elektrisches Fliegen, sondern auch um autonome Steuerung. Ein erster Schritt ist möglicherweise eine Ein-Mann-Pilotenkabine in Verkehrsflugzeugen, der nächste Schritt könnte dann das völlig automatische Fliegen sein. Aurora will auch den Autofahrdienstvermittler Uber mit autonomen Lufttaxis beliefern. Boeing plant, noch weitere Firmen mit besonderen Technikfähigkeiten zu übernehmen. Dies erklärte jüngst die Chefin der Boeing-Rüstungssparte, Leanne Caret. Im Gegensatz dazu sickerte jüngst durch, dass die Airbus-Rüstungssparte auf der Investitionsbremse steht, um besonders hohe Ausgaben zu vermeiden.

In der Roland-Berger-Studie über die künftige Verbreitung von E-Flugzeugen wird deutlich, dass der Durchbruch in Stufen erfolgen wird. Zunächst kommen die summenden Motoren bei Drohnen und Lufttaxis zum Einsatz sowie bei dem Wandel zu insgesamt mehr Elektrik statt Hydraulik in Flugzeugen. Im nächsten Schritt sind dann E-Regionalflieger und schliesslich grössere E-Passagierjets zu erwarten. 2018 soll beispielsweise erstmals ein Prototyp des hubschrauberähnlichen City-Airbus für vier Passagiere abheben, und rund um das Jahr 2023 soll die Maschine in Dienst gestellt werden.

Zukunft ohne Kerosin

Etwa im Jahr 2025 wollen nach bisherigen Ankündigungen Airbus und Boeing ihre Nachfolger für die meistverkauften Modelle A320 und Boeing 737 präsentieren. «Je nach Fortschritt in der Batterietechnik könnte sich die Frage stellen, ob die Neueinführungen womöglich hinausgezögert werden, um den Antrieb dann auf hybrid-elektrisch umzustellen», sagt Roland-Berger-Luftfahrtexperte Hader.

In der Studie wird beispielsweise auf das US-Start-up Wright Electric verwiesen, das ein elektrisch angetriebenes 150-Sitze-Modell plant. Binnen 20 Jahren sollen Kurzstreckenflüge komplett elektrisch erfolgen, prognostiziert das junge US-Unternehmen. Das amerikanische Unternehmen Wright Electric plant mit Easyjet einen elektisch angetriebenen Jet für 150 Passagiere. Einengrossen Interessenten gibt es bereits. Die britische Billigfluglinie Easyjet unterstützt das Vorhaben.

Herausforderungen bleiben

«Zum ersten Mal wird eine Zukunft ohne Kerosin denkbar, und wir freuen uns, dabei zu sein», sagt Carolyn McCall, die Chefin der Billigairline. Trotz aller hochfliegenden Pläne müssen noch einige Hürden überwunden werden. Erst in der Zeitspanne 2025 bis 2030 sei mit der erforderlichen Batteriespeicherdichte von 0,5 Kilowattstunden pro Kilo Batteriegewicht für grössere Flugzeuge zu rechnen, heisst es in der Studie. Das sei aber selbst dann noch um ein Vielfaches niedriger als die Energieausbeute aus Kerosin.Zu den grossen Herausforderungen gehören auch regulatorische Fragen, die beispielsweise die Zulässigkeit von autonomen Lufttaxis betreffen, sowie das Thema Sicherheit von Superbatterien in Flugzeugen.

Dieser Artikel erschien zuerst bei der «Welt» unter dem Titel: «Bald fliegen wir mit Strom und ohne Pilot».

Was die Autobauer beim autonomen Fahren planen, sehen Sie in der Bildergalerie: