Elf Jahre nach der Finanzkrise von 2008 ist ein neuer «schwarzer Schwan» aufgetaucht – ein sehr seltener, unvorhersehbarer Impuls, dessen potenzielle Folgen aussergewöhnlich sind. Das Covid-19-Virus ist weniger ein medizinischer Impuls im Sinne einer Krankheit, die mit einer vergleichsweise hohen Sterberate einhergeht, sondern ein Impuls für die öffentliche Gesundheit. Selbst eine relativ niedrige Sterberate hätte unverhältnismässige Folgen für die Menschheit, wenn sich ein grosser Teil der Bevölkerung vieler Länder anstecken würde. 

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Drei erschwerende Faktoren

Daher wird es immer notwendiger, radikale Quarantänemassnahmen wie in China umzusetzen, die zuerst von vielen als übertrieben bezeichnet wurden, sich dann aber doch als wirksam erwiesen. Die Regierungen werden keine andere politische Wahl – im positiven Sinne – haben, als eine harte Selbstbeschränkung der Wirtschaftstätigkeit zu verhängen, um das Gesundheitsrisiko so gut es geht einzudämmen. Die Herausforderung, die auf sie zukommt, ist umso grösser, weil drei erschwerende Faktoren zusammenkommen:

1) Bestimmte Regierungen haben die Herausforderung lange Zeit heruntergespielt und manche, etwa in den USA oder Brasilien, tun dies immer noch, obwohl die Zunahme der Seuchenherde in ihren Ländern die Eindämmung viel schwieriger macht als in China, wo es nur einen Hotspot gab.

2) Die fest verankerten persönlichen Freiheiten beziehungsweise die ständige Achtsamkeit gegenüber Angriffen auf die Demokratie erschweren die Umsetzung einschränkender staatlicher Massnahmen.

3) Die menschliche Fähigkeit, die Realität zu verleugnen, ist eine historische Konstante. Es ist viel verlockender, das zu glauben, was man gerne hätte, als das, worauf man sich eigentlich einstellen sollte. Daraus folgt ein notorischer Mangel an Disziplin bei der Befolgung elementarer Vorsichtsmassnahmen.

Multiplikative Verbreitung „schwarzer Schwäne“

Die Schwere von Ereignissen wie «schwarzen Schwänen» ist auf die daraus entstehende Impulswelle zurückzuführen, die sich nicht linear, sondern multiplikativ verbreitet. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um einen endogenen Impuls wie 2008 oder einen exogenen Impuls wie die Terroranschläge auf das World Trade Center 2001 handelt.

Denn aufgrund der sehr starken Verflechtung der Akteure – ob Banken, deren Bilanzen zusammenhängen, oder Bürger mit engen sozialen Kontakten – weist eine Verbreitung durch Ansteckung anfangs immer einen exponentiellen Verlauf auf. Diese sogenannte geometrische Progression ist ein Charakteristikum jeder viralen Verbreitung im eigentlichen oder übertragenen Sinne.

Sie führt zum einen zur Unterschätzung des Entwicklungspotenzials und -tempos und macht zum anderen eine Steuerung des Ereignisses schnell schwieriger, wenn es nicht frühzeitig eingedämmt wird. Mit genau solch einer Situation sieht sich Italien gegenwärtig konfrontiert. Situationen wie diese werden von den Gesundheitsbehörden von immer mehr Ländern befürchtet und rechtfertigen radikale Quarantänemassnahmen.

Dieses Risiko belastet auch die Finanzmärkte

Einen fast völligen Stillstand der Wirtschaftstätigkeit in den grossen Industrieländern gab es noch nie. Bisher waren nur entlegene kleine, von der Welt abgeschnittene Länder in einer solchen Situation. Niemand kennt die Kettenreaktionen, die von Liquiditätskrisen respektive der Insolvenz kleinerer Unternehmen ausgehen könnten, wenn diese ihre Gläubiger mit in den Abgrund reissen und damit auch Auswirkungen auf den gesamten Finanzsektor von China über Europa bis in die USA haben.

2008 hat gezeigt, wie schnell sich so etwas beschleunigen kann. Eine unbedingte Eindämmung dieses Risikos besteht darin, sicherzustellen, dass aus solchen Liquiditätskrisen keine Solvenzkrisen werden. Denn die Finanzialisierung der Wirtschaft ist heute mindestens so gross wie 2008, so dass eine reflexive Beziehung zwischen der Realwirtschaft und den Finanzmärkten besteht. Verwerfungen an den Finanzmärkten würden Länder und Unternehmen, die auf Kredite angewiesen sind, ebenso wie Sparer, deren zukünftige Erträge teilweise von einer guten Marktentwicklung abhängen, stark in Bedrängnis bringen.

Aus diesem Grund werden die Staaten auf jeden Fall dem Finanzsektor im weiteren Sinne Unterstützung zukommen lassen. Wobei sie darauf hoffen, dass dies ausreicht. Es ist richtig, dass die Banken heute dank einer viel strengeren Regulierung weniger anfällig als vor zwölf Jahren sind. Bei den Märkten selbst ist es eher umgekehrt, denn sie können schon seit Jahren auf äusserst günstige Geldpolitiken zählen. Verwerfungen sollten hier unbedingt vermieden werden.

Die gegenwärtige Gesundheitskrise, sei sie auch noch so schwerwiegend, ist von Natur aus ein vorübergehendes Phänomen, geht aber zum Teil mit einem heftigen wirtschaftlichen Impuls einher, der von einer Finanzkrise noch verstärkt werden könnte. Es ist daher wieder einmal unbedingt notwendig, dass der Staat im erforderlichen Ausmass interveniert, um die Auswirkungen auf die Finanzmärkte zu begrenzen.

Didier Saint-Georges ist Managing Direktor und Mitglied des Strategischen Investmentkomittees von Carmignac.