Es ist eine Kombination, die auf den ersten Blick so gar nicht zusammenpasst: die vermeintliche Öko-Latsche Birkenstock und die Wall Street. Und doch könnte ausgerechnet Birkenstock, der Sandalen-Hersteller mit Sitz auf einem Schlösschen mit Rheinblick, schon im kommenden Jahr an der US-Börse notiert sein. Kolportierte sechs Milliarden Dollar Firmenwert wären eine beachtliche Grösse für den deutschen Mittelständler.

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Klar ist: Ein Börsengang wäre der vorläufige Schlusspunkt des Wandels eines spleenigen Familienunternehmens zu einem Konzern, der nach den Logiken der Finanzszene tickt.

Noch sind die Pläne offenbar in einem frühen Stadium: Die globale Finanznachrichten-Agentur Bloomberg meldete am Freitagmorgen, die Eigentümer von Birkenstock prüften zwar zusammen mit den Finanzfachleuten von Goldman Sachs und JP Morgan intensiv den möglichen Schritt an die Börse. Eine offizielle Bestätigung gibt es aber nicht – und Bloomberg betont, dass die Pläne noch abgeblasen werden könnten.¨

Dennoch illustriert bereits die blosse Meldung den rasanten Wandel bei Birkenstock. Auf der einen Seite steht das Produkt: Aus dem Fussbett aus Kork, das der Schuhmacher Konrad Birkenstock vor 100 Jahren entwickelt hat, entstand in den 1960er-Jahren die Birkenstock-Sandale. Die krude Mischung aus Gesundheitsschuh, Alltagssandale und Hippie-Stil wurde schnell zum Erfolg – auch dank prominenter Träger wie Apple-Gründer Steve Jobs. Geschickt befeuerten die Birkenstock-Marketing-Leute den Hype durch Kooperationen mit Mode-Labels und eigene Läden.

Birkenstock in Düsseldorf: Fast die Hälfte des Umsatzes kommt aus den USA

Birkenstock in Düsseldorf: Fast die Hälfte des Umsatzes kommt aus den USA

Quelle: IMAGO/Michael Gstettenbauer

45 Prozent des Umsatzes kommen aus den USA

Die erstaunliche Geschichte der Sandale aus Deutschland ist seitdem Hunderte Male erzählt worden, quer durch Modemagazine und Wirtschaftsblätter. Heute kommen 45 Prozent des Umsatzes aus den USA, auch in Asien boomt das Geschäft. Birkenstock ist damit eine der wenigen echten Weltmarken im Schuh-Markt ausserhalb von Sneakern – und so ziemlich die einzige, die fast komplett selbst produziert. Und das auch noch im Hochlohnland Deutschland.

Dennoch hat sich das Unternehmen extrem verändert. Noch bis vor 15 Jahren machten absurde Familienstreits Schlagzeilen. Das Unternehmen gründete etliche Untermarken, um Eitelkeiten derjenigen Familienmitglieder stillen zu können, die eigene Spielwiesen suchten. Standortentscheidungen wurden, so wollte es jedenfalls die Gerüchteküche, auch danach getroffen, welches Familienmitglied welchem Verwandten die Mieteinnahmen für die im Privatbesitz befindliche Produktionshalle vorenthalten wollte.

Patriarch Karl Birkenstock wetterte einst gegen Betriebsräte und schloss im Zorn auf die Belegschaft sogar ein ganzes Werk – ohne Rücksicht auf negative Presse. Seine drei Söhne nabelten sich später konfliktträchtig ab. Eine abtrünnige Ehefrau nutzte den Familiennamen, um dem Unternehmen mit einer eigenen Sandale Konkurrenz zu machen. Es war das klassische Szenario für den Niedergang einer Familien-Dynastie – eigentlich.

Doch es kam anders: Die Erben Alex und Christian Birkenstock zahlten ihren Bruder aus und installierten 2012 erstmals familienfremde Geschäftsführer. Seitdem ist, auch so eine Unvorhersehbarkeit, der ehemalige Chef des Deutschen Sportfernsehens das Unternehmens-Gesicht mit Hipster-Bart: Oliver Reichert. Und das trotz zeitraubender Pendelei zwischen München und Linz am Rhein. «Reichert ist Motor und treibende Kraft hinter dem Wandel von Birkenstock zur globalen Lifestylemarke», lässt sich der sendungsbewusste Chef auf der Firmen-Homepage feiern.

Birkenstock-Chef Oliver Reichert

Birkenstock-Chef Oliver Reichert

Quelle: Marc Wetli/13 Photo

Modernisierung unter Reicherts Führung

Der Medien-Manager krempelte das Sandalen-Unternehmen um – besonders betriebswirtschaftlich. Es blieb zwar bei der Produktion nur in Deutschland. Bei steigenden Absatzzahlen modernisierte Reichert jedoch Werke, ergänzte in Teilen die Handarbeit durch neue Maschinen.

Vor allem aber verordnete er der Gruppe moderne Holding-Strukturen. Untermarken gibt es nicht mehr, alle Kraft fliesst in die Kernprodukte. 5000 Menschen arbeiten inzwischen an 16 Standorten. Derzeit entsteht für 120 Millionen Euro in Mecklenburg-Vorpommern ein weiteres Werk, das Lieferengpässe bei hoher Nachfrage beseitigen soll.

«Mit 12,4 Millionen verkauften Paar konnte ein Umsatz von 462,7 Millionen Euro erzielt werden», heisst es für das Jahr 2021 im Bundesanzeiger. 141 Millionen Euro operativer Gewinn vor Abschreibungen (Ebitda) wären so zusammengekommen – wären nicht komplizierte Finanztransaktionen dazugekommen, die rechnerische Verluste verursachten. Daher fielen 2021 auf dem Papier 158 Millionen Euro Gruppenverlust an. Zuletzt stieg der Umsatz im Geschäftsjahr 2022/23 auf 646 Millionen Euro, Birkenstock kehrte in die Gewinnzone zurück.

 Zwei Frauen tragen Sandalen der Schuhmarke Birkenstock.
Foto: imago images/Ina Fassbender
Foto: imago images/Ina Fassbender

Die komplexen Finanztransaktionen einschliesslich Anleihen haben ihren Grund: 2021 verkauften die beiden Brüder die Mehrheit am Unternehmen. Die Inhaber versilberten ihr Familienunternehmen, das sich auf 250 Jahre Familiengeschichte beruft. In einem Bieterwettbewerb übernahm der Finanzinvestor L. Catterton die Mehrheit – angeblich zu einer Bewertung von vier Milliarden Euro.

Dahinter steht eine 1989 gegründete New Yorker Private-Equity-Gesellschaft, die sich mit dem französischen Luxusgüter-Konzern LVMH und dessen Eigentümerfamilie Arnault zusammengetan hat. Zu LVMH gehören Weltmarken wie Louis Vuitton und Tiffany.

Birkenstock-Chef Reichert sprach 2021 zur Übernahme von einem «Partner für die nächsten 250 Jahre», der Birkenstock vor allem im globalen Marketing unterstützen werden. Die Produktion bleibe komplett in Deutschland.

Nun allerdings sieht es so aus, als würde der Investor schon nach drei Jahren an der Börse zumindest einen Teilausstieg suchen – und dabei seinen finanziellen Einsatz immerhin um fast 50 Prozent steigern wollen. Das entspräche der Logik eines Finanzinvestors, der üblicherweise Unternehmen kauft, um innerhalb weniger Jahre ihren Wert zu steigern und dann Kasse zu machen.

Eine Stellungnahme zu den kolportierten Börsenplänen gibt es von Birkenstock nicht. Das Unternehmen ist ungewohnt zurückhaltend. «Kein Kommentar von unserer Seite», teilte ein Sprecher auf Anfrage mit.

Dieser Artikel erschien zuerst bei Die Welt unter dem Titel «Der spektakuläre Wandel von Birkenstock».