In Deutschland kennt ihn jeder aus dem Fernsehen: Ranga Yogeshwar. Dort erklärt der Wissenschaftsjournalist seit Jahrzehnten komplizierte Wissenschaftsthemen auf erfrischende Art und begeisterte damit ein Millionenpublikum – die «Sendung mit der Maus» für Erwachsene. Inzwischen ist der Sohn eines indischen Ingenieurs und einer luxemburgischen Kunsthistorikerin mit seinem letzten Buch «Nächste Ausfahrt Zukunft» unter die Bestsellerautoren gegangen. Von Haus aus ist Yogeshwar Astrophysiker und hat früher auch am CERN in Genf gearbeitet.

In Berlin sprach Yogeshwar an der Digitalkonferenz Re:publica zum Thema «Mensch und Maschine – wer programmiert wen?» Am Rande der Veranstaltung sprach er im Interview über Künstliche Intelligenz, schwindende Jobs und die daraus resultierende gemeinsame Definition eines neuen Gesellschaftsvertrags.

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Warum hat unsere Gesellschaft so ein laues Gefühl beim Thema Künstliche Intelligenz?
Ranga Yogeshwar*: Die Künstliche Intelligenz könnte die letzte Erfindung des Menschen sein, habe ich schon oft gelesen. Ich sehe das nicht ganz so schwarz. Wir werden aber massive Veränderungen auf dem Jobmarkt haben. Das betrifft die Autoindustrie, oder in der Schweiz auch die Banken. Dann ist die Frage, wie viel Arbeitslosigkeit eine Gesellschaft erträgt, bis es zu einer demokratischen Instabilität kommt. Selbst wenn noch 50 Prozent der Taxifahrer weiter fahren, nimmt diese Entwicklung neue Dimensionen an. Heute geht es den meisten Menschen noch gut. Doch sie spüren, dass es ihren Kindern durch all die technologischen Veränderungen vielleicht nicht mehr so gut geht. Viele Menschen suchen nach ihrer künftigen Bedeutung in der Gesellschaft.

Das bedeutet, die Demokratie ist auch durch die Technologie bedroht?
Wir brauchen einen neuen Gesellschaftsvertrag. Wenn KI künftig vieles erledigt und Jobs, die wir nicht mögen, obsolet werden, müssen wir eine soziale und ökonomische Gleichheit schaffen. Ideen wie ein bedingungsloses Grundeinkommen werden dabei nicht reichen. Es geht um das Selbstverständnis des Menschen. Dieser definiert sich heute durch bezahlte Arbeit und eine daraus resultierende Daueroptimierung.

Der Welterklärer

Ranga Yogeshwar wurde 1959 als Sohn eines indischen Ingenieurs und einer luxemburgischen Künstlerin geboren. Seine Kindheit verbrachte Yogeshwar in Indien in der Stadt Bangalore. Nach dem Abitur in Luxemburg studierte er Physik, forschte am Genfer Teilchenlabor CERN und ist seit 1983 journalistisch tätig. 1987 wurde er Redakteur beim Westdeutschen Rundfunk Köln und leitete später das Ressort Wissenschaft. Dabei moderierte er zahlreiche TV-Sendungen. Seine Bücher «Sonst noch Fragen?», «Ach so!» oder «Nächste Ausfahrt Zukunft» avancierten zu Bestsellern.

Ranga Yogeshwar
Quelle: ullstein bild/Getty Images

Wie erschaffen wir ein neues Selbstwertgefühl abseits der klassischen Arbeit?
Die Griechen hatten das auch schon: Um 600 vor Christus hat man im alten Griechenland nicht gearbeitet. Das überliess man den Sklaven. Die Griechen haben das praktiziert, was sich «schole», also abgeleitet Schule, nennt. Das Höchste der Gefühle war, über die Dinge nachzudenken und ein kulturreiches Leben zu führen, ohne mit schweisstreibender Arbeit um seine Existenz kämpfen zu müssen.

Aber wer handelt diesen Gesellschaftsvertrag aus?
Mein Motiv, ein Buch zu diesem Thema zu schreiben, war, die Glocke zu läuten. Wir müssen als gesamte Gesellschaft diesen Vertrag aushandeln und unsere Rolle definieren. Wollen wir akzeptieren, dass wenige, grosse Konzerne eine globale Monopolstellung erhalten – und zwar nicht nur in einem, sondern in vielen Bereichen? Müssen wir die Grammatik der Kommunikation neu überdenken, wenn wir verstehen, dass Soziale Netzwerke möglicherweise unsere Demokratie gefährden? Als vor hundert Jahren die Autos aufkamen, hat schliesslich auch jemand Verkehrsregeln und Strassenschilder entwickelt. Dasselbe müssen wir für die digitalisierte Gesellschaft tun.

Ist diese Regulierung die Aufgabe des Staates?
Es wird ein Punkt kommen, wo der Leidensdruck so gross wird, dass wir mutiger werden. Durch den Umgang mit unseren Daten ist Cambridge Analytica jetzt von der Bildfläche verschwunden. Im Zuge der Diskussion um den Datenskandal habe ich in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» einen Artikel mit dem Titel «Entzieht Facebook die Betriebserlaubnis!» geschrieben. Warum kann ein Staat Facebook eigentlich nicht vorübergehend die Betriebslizenz entziehen? Wenn ein Flugzeug wegen eines mangelhaften Teils abstürzt, dann ist es akzeptiert, dass dieser Flugzeugtyp vorerst am Boden gehalten wird. Hier geht es aber um eine Bedrohung der Spielregeln einer Demokratie.

Wie geht die alteingesessenen Industrie und Unternehmen mit Künstlicher Intelligenz um?
Sie haben alle dasselbe Problem: Fehlendes Know-how in den neuen Technologien. Die Banken haben wenig Ahnung von Kryptowährungen. Sie können aber ein Aus für das klassische Bankensystem mit sich bringen. Im Moment ist die grosse Triebfeder des technologischen Fortschritts ein reines ökonomisches Denken aus dem Silicon Valley. Langsam lichten wir aber diesen blinden Fleck und sagen, dass wir nicht alles nach ökonomischen Prinzipien beurteilen wollen. Das schafft neue Möglichkeiten und Geschäftsmodelle.

Ranga Yogeshwar an der Re:publica 2018

Ranga Yogeshwar an der Re:publica 2018 in Berlin: «Kryptowährungen können ein Aus für das klassische Bankensystem mit sich bringen.»

Quelle: Handelszeitung

Also eine Welt ohne Banken?
Ich kann mir gut eine Welt ohne Banken vorstellen. Aber keine Welt, in der die Menschen wie Maschinen beurteilt werden. Mittlerweile passt sich der Mensch aber schon in vielen Bereichen den Maschinen an. Es gibt bereits heute Bewerbungsprozesse, wo Automatisierung die Kandidaten aussortiert. Das bewirkt eine Verflüssigung der Gesellschaft. Wir müssen darauf achten, wo die normative Kraft dieser KI uns so beginnt zu formen, dass wir uns angleichen.

Aber es gibt doch kein Zurück mehr?
Wir wollen nicht in eine Welt zurück, in der es manuelle Fliessbandarbeit gibt. Aber es gibt diesen Schritt zurück nach vorne. In der Lebensmittelindustrie hat man in den 1970er-Jahren so viele synthetische Stoffe entwickelt, dass ein Pudding keine Spur mehr von Natur enthielt. Heute ist vieles bio, vegan und aus regionalen Erzeugnissen. Wir haben entschieden: Wir wollen Technik in unseren Smartphones, aber nicht auf unserem Teller.

Unternehmen können viel Geld mit diesen Technologien sparen.
Wir werden in eine Zukunft schreiten, wo die Grenzkosten gegen null laufen. Der grosse Umbruch der Musikindustrie war nicht die Verviefältigung auf CD, sondern das Streamen. Der Verteilungsprozess hat sich auf Null reduziert. Wir erleben den Kollaps der Grenzkosten. Es ist absehbar, dass wir irgendwann für Energie nichts mehr zahlen, da wir vielleicht keine fossilen Brennstoffe mehr brauchen. Wir haben eine ganze Generation, die anders über Konsum nachdenkt. Nutzen anstatt Besitzen. Meine Kinder möchten jedenfalls kein Auto mehr.

Wie funktioniert der Wirtschaftskreislauf in dreissig Jahren?
Es wird eine andere Wirtschaft sein. Das Ziel der jetzigen Wirtschaft ist Wachstum und die Maximierung des Gewinns. In der digitalen Kultur werden elementare wirtschaftliche Gesetzte gebrochen. Es gibt nur noch das eine Soziale Netzwerk, die eine Suchmaschine, der eine Streamingdienst. Wirtschaft ist aber nicht nur Selbstzweck. Die Ökonomie wollte die Gesellschaft bereichern. Wir haben der Marktwirtschaft vertraut, weil wir alle teilhaben konnten. Jetzt merken wir, dass dieser Zustand bröckelt.