Ein Begriff fällt in der Diskussion um die Altersvorsorge spätestens nach wenigen Minuten: Gerechtigkeit. Denn es gibt vieles anzuklagen. Es ist ungerecht, dass Frauen im Durchschnitt 37 Prozent weniger Rente beziehen als Männer. Es ist ungerecht, dass Witwer von der Rente ihrer verstorbenen Frau nur profitieren, bis die Kinder volljährig sind – Witwen dagegen lebenslang. Und es ist ungerecht, dass die Jungen mehr zahlen und künftige Generationen länger arbeiten werden müssen, um ihre Versorgung im Alter zu gewährleisten. 

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Doch das Ringen um Gerechtigkeit ist zur Falle geworden. Wieder und wieder sind Reformen der Altersvorsorge daran gescheitert. In der Folge lebt das einst bewunderte Dreisäulensystem zunehmend in der Vergangenheit. Es bildet eine Gesellschaft der traditionellen Kleinfamilie ab, mit einem männlichen Hauptverdiener, der sich nicht von seiner Frau scheiden lässt. Andere Lebensmodelle verlieren. Und die Finanzierung der ersten und zweiten Säule steht ernsthaft unter Druck.

Angleichung des Rentenalters für Frauen

Am Mittwoch hat das Parlament den neusten Wurf der «AHV 21» auf den Weg gebracht, die Schlussabstimmung am Freitag ist Formsache. Zentrale Punkte: Angleichung des Rentenalters für Frauen auf 65 Jahre, dafür Ausgleichsmassnahmen für die ersten neun Jahrgänge, Erhöhung der Mehrwertsteuer und eine Pensionierung in Raten. Die Volksabstimmung dürfte im September 2022 erfolgen. 

Es ist zu befürchten, dass die Emotionen im Abstimmungskampf erneut hochkochen werden. SP und Grüne haben – wie auch die Gewerkschaften – schon in der Parlamentsdebatte deutlich gemacht: Sie tragen ein Rentenalter 65 für Frauen nicht mit. Sie wollen stattdessen höhere AHV-Renten für Frauen, um die Rentenlücke zu verringern.

Diese Verknüpfung ist problematisch. Das Rentenalter für Frauen wurde in den Fünfzigern aufgrund angeblicher «physiologischen Nachteile» von Frauen gesenkt – eine zutiefst patriarchalische Argumentation, der das Bild der Frau als «schwaches Geschlecht» zugrunde liegt. Schon allein darum gibt es keinen Grund, an dieser überholten Unterscheidung festzuhalten. 

Gender Pension Gap wird so nicht gemildert

Darüber hinaus puffert die Altersdifferenz bei Rentenbeginn nicht die niedrigeren Renten für Frauen. Der Gender Pension Gap entsteht hauptsächlich in der zweiten Säule, der beruflichen Vorsorge. Da Frauen einen grösseren Teil der Familienarbeit übernehmen und daher häufiger in Teilzeit arbeiten, leisten sie deutlich geringere Beiträge an die Pensionskassen. Hier wirkt stark der Koordinationsabzug, der die Beiträge bei kleinen Einkommen schmälert. Eine Studie der UBS hat es soeben bestätigt: Der grösste Hebel, um die Rentenbezüge in Zukunft zu verändern, wäre die Abschaffung des Koordinationsabzuges. Dies würde allerdings individuell weniger Lohn bedeuten, weil die Beiträge der Einzelnen zur Altersvorsorge steigen. Bei kleinen Einkommen ein wichtiger Faktor. 

Vor diesem Hintergrund ist verständlich, dass SP, Grüne und die Gewerkschaften auf einen Ausbau der AHV abzielen. Es ist trotzdem kontraproduktiv. Denn scheitert auch dieser Reformversuch, ist nichts gewonnen, auch nicht für die Sache der Frauen. Stattdessen läuft der Gesamtgesellschaft, allen voran den kommenden Generationen, die Zeit davon.