Der Bund bereitet sich seit Monaten auf eine mögliche Mangellage beim Strom vor. Am Mittwochnachmittag hat Wirtschaftsminister Guy Parmelin nun die sogenannten «Bewirtschaftungsmassnahmen» präsentiert, die der Bundesrat in die Vernehmlassung gibt. Bis Mitte Dezember läuft die Frist, um sich dazu zu äussern.

Sollte es tatsächlich zu einer Mangellage kommen, wird der Bundesrat mit zeitlich begrenzten Massnahmen die Stromversorgung regeln, heisst es im Communiqué zur Pressekonferenz. Ziel der Interventionen sei es, die Netzstabilität und damit die Stromversorgung aufrechtzuerhalten. Die entsprechenden Verordnungen gehen jetzt in die verkürzte Vernehmlassung – um Zeit zu sparen.

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Im Falle einer unmittelbar drohenden Mangellage richte der Bund zuerst dringliche Sparappelle an alle Stromverbraucher, heisst es in der Medienmitteilung. Parallel dazu könne der Bundesrat erste Verwendungsbeschränkungen und Verbote erlassen. Sie erfolgen in Eskalationsschritten, angefangen bei Komforteinschränkungen wie dem Verbot von Objektbeleuchtungen bis hin zu einschneidenden Massnahmen wie Betriebsschliessungen. Lebenswichtige Güter und Dienstleistungen dürfen nicht wesentlich tangiert werden. 

Die Medienkonferenz zum Stromnotfall

Auf dem Podium: Bundesrat Guy Parmelin, Vorsteher Eidgenössisches Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF); und Bastian Schwark, Leiter Fachbereich Energie der Wirtschaftlichen Landesversorgung. Leitung: Vizekanzler André Simonazzi, Bundesratssprecher.

Als weitergehende Massnahme können Endverbraucher mit einem Jahresverbrauch von mindestens 100 Megawattstunden kontingentiert werden. Dies betreffe über 34'000 Grossverbraucher, schreibt der Bund. Sie würden knapp die Hälfte des Stromverbrauchs der Schweiz ausmachen. Die Fokussierung auf diese Verbrauchergruppe habe neben dem grossen Einsparpotenzial den Vorteil, dass die Massnahme verbindlich umgesetzt werden könne und die Wirkung schnell messbar ist.

Die Kontingentierung, schreibt der Bund weiter, werde im Notfall auf einen Tag oder einen Monat angelegt. Bei der Monatskontingentierung könnten Grossverbraucher das Kontingent nach ihren Bedürfnissen auf den Monat verteilt einsetzen.

Netzabschaltungen als Ultima Ratio

Die Kontingentierung sei eine wesentliche Massnahme, um Netzabschaltungen zu verhindern, schreibt der Bund. Deshalb seien keine Ausnahmen vorgesehen. Die Wirtschaft und insbesondere die Betreiber von Infrastrukturen für die Versorgung des Landes mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen seien jedoch auf einen flexiblen Umgang mit Kontingenten angewiesen. Deshalb wolle der Bundesrat während diesem Winter versuchsweise in einem eingeschränkten Rahmen die Weitergabe von Kontingenten ermöglichen. Für den Winter 2023/24 strebe die Landesregierung dann eine umfassende Lösung an.

Für die konzessionierten Unternehmen des öffentlichen Verkehrs würden  bei einer Kontingentierung besondere Bestimmungen gelten. Eine separate Verordnung regelt, wie der versorgungsrelevante Verkehr von Bussen und Zügen aufrechterhalten werden könne.

Netzabschaltungen seien die Ultima Ratio. Sie sind lediglich als letztmögliche Bewirtschaftungsmassnahme vorgesehen. Sie sollen einen umfassenden Netzzusammenbruch und somit einen Blackout verhindern. Zu diesem Zweck würden im Stromnetz einzelne Teilnetzgebiete abwechselnd abgeschaltet. Verbrauchergruppen mit lebenswichtigen Dienstleistungen wie zum Beispiel die Energie- und Wasserversorgung, Blaulichtorganisationen oder die medizinische Grundversorgung könnten ausgenommen werden, sofern dies technisch möglich sei, was aber nur vereinzelt der Fall sein dürfte. Die Folgen für Wirtschaft und Bevölkerung wären gravierend.

Abschaltungen «eher unwahrscheinlich»

Im Vorfeld der Pressekonferenz äusserte sich Werner Luginbühl, Präsident der Elektrizitätskommission (Elcom), ausführlich zur Situation. Eine Strommangellage mit möglichen Stromabschaltungen, wie noch im Sommer befürchtet, sei unwahrscheinlicher geworden, sagt er. Entwarnung gibt es aber nicht. «Es gibt tatsächlich eine gewisse Entspannung», sagt Luginbühl im Interview mit der Nachrichtenagentur AWP. Das heisst: «Wir können etwas ruhiger in diesen Winter gehen.»

Stromabschaltungen seien «eher unwahrscheinlicher» geworden, ausschliessen könne man sie aber nicht. Es seien Szenarien denkbar, bei denen es «trotzdem eng werden könnte». Es herrsche ja immer noch Krieg in Europa. «Und wir haben in diesem Jahr gelernt, dass Dinge passieren können, die wir uns vorher nicht vorstellen konnten.»

Es sei daher sicher ratsam, immer noch haushälterisch mit Strom umzugehen. «Alles, was wir im frühen Winter nicht brauchen und in den Speicherseen verbleibt, steht zur Verfügung, wenn es gegen Ende Winter noch ein Problem geben könnte.»

Sollte es beispielsweise einen sehr kalten Winter geben oder es in Europa zu Anschlägen auf Gas-Infrastrukturen kommen. Insofern sei es auch richtig gewesen, die Bevölkerung auf mögliche Probleme vorzubereiten und Massnahmen zu ergreifen, um allenfalls kritische Situationen zu überbrücken.

Kein russisches Gas im 2023

Und auch mit Blick bereits auf den nächsten Winter 2023/24 gibt es Unwägbarkeiten: So sei heute nicht sicher, ob die europäischen Gasspeicher im nächsten Sommer gefüllt werden können. Denn 2022 habe es – trotz der Kürzungen – bis Mitte Jahr noch beträchtliche Gaslieferungen aus Russland gegeben. «Nächstes Jahr wird Europa aber wahrscheinlich gar kein russisches Gas mehr bekommen, und es muss sich erst noch zeigen, wie weit dies substituiert werden kann.»

«Wir sind daher froh über die inländischen Reserven, die jetzt im Schnellzugtempo geschaffen wurden und uns dieses, aber auch nächstes Jahr zur Verfügung stehen.» Gemeint sind die Wasserkraftreserve sowie das thermische Notkraftwerk in Birr, das im Moment gebaut wird. In diesem Winter würde dieses allerdings mit Heizöl betrieben und nicht mit Erdgas.

Ein Risikofaktor bleiben auch die französischen Atomkraftwerke: Angesichts der entdeckten Korrosionsschäden an einigen der Anlagen gebe es nach wie vor Unsicherheiten. Einer der Gründe für die Entspannung sei aber gerade auch die Tatsache, dass die Franzosen angekündigt haben, dass sie einen wesentlichen Teil ihrer Kernkraftwerke in diesem Winter wieder ans Netz bringen werden. (ise)