Seit gut drei Wochen blockiert Russland das Abkommen zum Getreideexport aus der Ukraine über das Schwarze Meer, beschiesst verstärkt ukrainische Häfen und droht mit Angriffen auf Frachtschiffe. Internationale Sorgen vor Hungerkrisen konterte der russische Präsident Wladimir Putin mit der Ankündigung kostenloser Lieferungen aus russischer Ernte in einzelne afrikanische Staaten. Doch die mit dem Boykott ukrainischer Getreideausfuhren einhergehende Eskalation verschärft auch für Russland die Exportprobleme. Denn die Ukraine nimmt in dem von Russland begonnenen Angriffskrieg nun ihrerseits russische Schifffahrtswege ins Visier.

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Beide Staaten zählen zu den weltgrössten Getreideversorgern und sind dafür auf die Routen über das Schwarze Meer angewiesen. Während die Ukraine den Seeweg für den Löwenanteil ihrer Getreideexporte nutzt, verschifft Russland sogar annähernd sämtliche Ausfuhren an Weizen, Mais und Gerste über dieses Binnenmeer. Rund zwei Drittel der russischen Getreideausfuhren gehen über die Schwarzmeerhäfen des Landes. Rund ein Drittel läuft über Häfen am Asowschen Meer, aus dem Schiffe ebenfalls nur über das Schwarze Meer in internationale Gewässer gelangen.

Das von den Vereinten Nationen (UN) und der Türkei im Juli 2022 vermittelte Abkommen sollte die weltweite Nahrungsmittelkrise lindern, indem es die Ausfuhr von ukrainischem Getreide über deren Schwarzmeerhäfen ermöglichte. Nach Angaben der UN ging es dabei weniger um eine Belieferung bestimmter Länder, sondern vor allem um die globalen Lebensmittelpreise. Diese steigen bei einem knapperen Angebot auf dem Weltmarkt, was besonders ärmere Länder in Schwierigkeiten bringt.

Russland erwartet Rückgang der Getreideexporte

Russland hat das Abkommen Mitte Juli aufgekündigt. Die Regierung in Moskau beklagte, dass russische Getreide- und Düngemittelausfuhren behindert würden. Zwar haben die EU und die USA nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar des vergangenen Jahres keine Sanktionen gegen die russische Agrarbranche verhängt. Jedoch kritisiert Russland unter anderem, Bezahlungen für eigene Exporte könnten wegen westlicher Sanktionen gegen russische Banken nicht abgewickelt werden. So solle die Russische Landwirtschaftsbank wieder an das internationale Zahlungssystem Swift angeschlossen werden.

Die russische Vereinigung der Getreideexporteure spricht von «versteckten Sanktionen», die die Agrarbranche infolge der Massnahmen gegen Banken und Einzelpersonen indirekt träfen. Bei einer Verschärfung könnten die Kosten für den Getreidetransport wie auch dessen Versicherung steigen, sagte der Chef der Exportvereinigung, Eduard Sernin, der Nachrichtenagentur Reuters. «Das wird sich im Preisniveau für Weizen und andere Getreidesorten auf dem Weltmarkt niederschlagen.» 

Russland hat in der zurückliegenden Saison ein Rekordvolumen von 60 Millionen Tonnen Getreide exportiert. Für die laufende Saison erwartet das Landwirtschaftsministerium einen Rückgang um acht Prozent.

Ukraine beschiesst Ziele im Meer

Nach dem jüngsten russischen Beschuss ukrainischer Häfen attackierte die Ukraine Ziele in der Meeresenge zwischen Asowschem und Schwarzem Meer und im wichtigen russischen Schwarzmeerhafen Noworossijsk. In der Meeresenge von Kertsch am Ufer der von Russland annektierten Krim wurde ein Öltanker von einer Seedrohne getroffen, in Noworossijsk ein Kriegsschiff. Die ukrainische Schifffahrtsbehörde erklärte die gesamte russische Schwarzmeerküste zum Kriegsrisikogebiet.

Das verstärkt die Unruhe in der Schifffahrtsbranche. Versicherer verlangen für Schiffe, die russische Schwarzmeerhäfen anlaufen, bereits Zusatzprämien von mehreren Zehntausend Dollar pro Tag, wie drei Insider aus der Versicherungsbranche Reuters sagten. Dass Russland seinerseits neben Seehäfen der Ukraine auch deren Donauhäfen angreife, treibe die Preise weiter in die Höhe.

Auch die Schiffsbetreiber selbst lassen sich das gestiegene Risiko für das Anlaufen russischer Häfen teuer bezahlen, wie ein weiterer Insider sagte. Selbst für die noch unversicherte Fracht würden bei der Verschiffung aus russischen Häfen täglich bis zu 10'000 Dollar mehr berechnet als aus vergleichbaren Schwarzmeerhäfen der EU- und Nato-Mitglieder Rumänien und Bulgarien.

Reeder und Rohstoffhändler ziehen sich zurück

Bereits jetzt haben sich mehrere am internationalen Getreidehandel beteiligte Unternehmen wie Reeder und Rohstoffhändler aus dem Geschäft mit Russland zurückgezogen. «Das meiste wird von russischen Händlern über Schiffsflotten abgewickelt, mit denen internationale Händler nichts zu tun haben wollen», sagt ein Spitzenmanager aus der Branche. Wie andere von Reuters befragte Insider bat auch er darum, seinen Namen im Zusammenhang mit diesem Thema nicht zu veröffentlichen.

Drei weitere Personen mit Kenntnis der Vorgänge sagten, Russland versuche die Transportengpässe mit einer «Schattenflotte» zu überbrücken. Es handle sich meist um ältere Schiffe von Betreibern aus der Türkei oder China. Wie aus Daten der Schifffahrtsplattform Shipfix hervorgeht, ist die Zahl der Charteranfragen aus Russland im Juli auf 257 gestiegen, was einem Anstieg um 40 Prozent seit Juni und einer Verdopplung binnen Jahresfrist entspricht. Aus den Daten geht nicht hervor, ob die Anfragen erfolgreich sind und wenn ja, welcher Schiffsbetreiber sich auf das Geschäft einlässt.

Russlands Schiffe reichen nicht aus

Russlands eigene Schiffe reichen für den Getreideexport bei weitem nicht aus. Derzeit besitzt das Land 31 Schüttgut-Frachter, wie aus Daten der Plattform VesselsValue hervorgeht. Es handelt sich demnach grossteils um kleinere Schiffe, von denen zudem viele älter als 30 Jahre sind. Damit unterliegen sie weltweit Beschränkungen in einer Reihe von Häfen, die für ältere Schiffe strengere Anlaufbestimmungen haben.

Bereits im Dezember hatte das Landwirtschaftsministerium die Beschaffung 61 neuer Frachter für Getreidetransporte angekündigt, im März waren erste Aufträge an Werften erteilt worden. Zur Begründung hatte das Ministerium die Sanktionen genannt - und die Weigerung internationaler Schifffahrtsunternehmen, mit Russland zusammenzuarbeiten. Doch der Bau eines Schiffs dauert üblicherweise drei Jahre. Deshalb sei die Aufstockung der eigenen Flotte keine kurzfristige Lösung, sagt Analystin Victoria Mitchell von der Beratungsfirma Control Risks. Russland werde sich weiter auf dem Weltmarkt nach kooperationswilligen Reedern umsehen müssen.

(reuters/gku)