Von China über Südafrika bis hin zu Mexiko und den Golfstaaten: Die Schweiz verfügt über ein weit verzweigtes Netz von dreissig Freihandelsabkommen. Trotzdem wird immer noch ein Fünftel der importierten Industriegüter – der Wert dürfte deutlich über 50 Milliarden Franken liegen – mit Einfuhrzöllen belegt. Im Gegensatz zu den Agrarprodukten sind die Zollansätze zwar tief, sie spülen dem Bund pro Jahr jedoch immer noch rund eine halbe Milliarde Franken in die Kasse.

Viel spricht dafür, dass dem Bund diese Einnahmen bald entfallen. Denn das Departement von Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann arbeitet unter Hochdruck daran, eine komplette und einseitige Abschaffung der Industriezölle in die Wege zu leiten.

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Bereits im November soll der Bundesrat einen Bericht des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) verabschieden, indem es sich für den einseitigen Zollabbau starkmacht, erklären Insider. Das Seco wolle damit den argumentativen Boden legen für die Debatte im Parlament. Dort wird nächstes Jahr ein Vorstoss behandelt, der ebenfalls einen umfassenden Zollabbau fordert. Im Seco äussert man sich derweil zurückhaltend: Man sei daran, die Vor- und Nachteile einer solchen Massnahme zu prüfen, erklärt ein Sprecher sibyllinisch.

Konsumenten und Firmen profitieren

Dabei steht die Abschaffung der Industriezölle schon länger auf der Agenda des Seco. Bereits 2015 hat es die Hochschule Chur beauftragt, die volkswirtschaftlichen Effekte einer autonomen Aufhebung aller Industriezölle zu prüfen. Studienautor Peter Moser – bis vor zwei Jahren war er persönlicher Berater von Bundesrat Schneider-Ammann – kommt darin zum Schluss, dass eine Abschaffung der Zölle mit substanziellen Wohlfahrtseffekten verbunden wäre. Diese sind grösser als die Ausfälle bei den Zolleinnahmen. Sie werden in der Studie auf eine Bandbreite von 160 Millionen bis 2,4 Milliarden Franken geschätzt. Davon würden Konsumenten und Unternehmen gleichermassen profitieren.

Aufseiten der Firmen führt der Zollabbau zu einer Kostenreduktion: Sie können ihre Roh- und Zwischenmaterialien, die in der Schweiz weiterverarbeitet werden, günstiger beschaffen. Da die Industriezölle schon heute tief sind – der durchschnittliche Zollansatz liegt bei lediglich 2,4 Prozent –, sind die Vorteile für die Unternehmen auf den ersten Blick bescheiden. Weil jedoch die Schweizer Industrie grosse Volumen an Maschinen, Geräten und elektronischen Erzeugnissen einführt, ist der Wegfall der Zölle trotzdem von Belang.

Dies gilt besonders für die Textilindustrie: Dort beträgt der durchschnittliche Zollansatz 5,5 Prozent. Da sich die Produktion von textilen Vormaterialien immer mehr von Europa nach Asien verlagert, kann die Industrie nur bedingt von Freihandelsabkommen profitieren. «Wir unterstützen den Abbau der Industriezölle deshalb klar», betont Peter Flückiger, Direktor des Branchenverbands Swiss Textiles.

Administrative Entlastung für Firmen

Noch stärker als der eigentliche Zollabbau fällt indes die administrative Vereinfachung ins Gewicht, die mit der Aufhebung aller Einfuhrzölle verbunden ist. Unternehmen müssen den Behörden heute einen Ursprungsnachweis erbringen, wenn sie ihre Waren zollfrei aus einem Land importieren wollen, mit dem die Schweiz ein Freihandelsabkommen unterhält. Damit soll verhindert werden, dass Güter aus Drittstaaten zollbefreit importiert werden können.

Für viele Unternehmen ist die Erbringung des Ursprungsnachweises jedoch aufwendig und teuer. In der Textilbranche zum Beispiel muss ein KMU dafür mit rund 20 000 Franken Aufwand jährlich rechnen. Häufig ist es für sie gar nicht möglich, den Ursprungsnachweis zu erbringen, weil aufgrund der Spezialisierung viele Prozessschritte nicht mehr in der Schweiz durchgeführt werden.

Bei einem autonomen Zollabbau würden diese aufwendigen Formalitäten für Konsum- und Industriegüter wegfallen. Nicht länger müsste überprüft werden, ob eine Spülmaschine, ein Auto oder ein Klavier in Deutschland, Japan oder den USA produziert wurde – und ob dafür die Belege vorhanden sind. «Die Abschaffung der Zölle würde insbesondere den grenzüberschreitenden Warenverkehr zwischen der EU und der Schweiz erleichtern», sagt Rudolf Minsch, Chefökonom von Economiesuisse.

Minsch rechnet damit, dass der Abbau an Zollformalitäten den Wettbewerb stärken würde, weil Parallelimporte vereinfacht und die Markttransparenz erhöht würde. Dies führe auch zu tieferen Preisen für die Konsumenten.

Mittel gegen Hochpreisinsel

Dass der Abbau von Zöllen Bewegung in die Preisinsel Schweiz bringen würde, davon ist man auch bei der Stiftung für Konsumentenschutz (SKS) überzeugt. Rund 200 Millionen Franken fallen jährlich an Zöllen für Kleider an. Fallen diese weg, sollte dies der Kunde in Form von tieferen Preisen zu spüren bekommen: «Die Bekleidungsbranche hat uns in Gesprächen mehrfach bestätigt, dass sie die eingesparten Zölle an die Konsumenten weitergeben würde», sagt SKS-Geschäftsleiterin Sara Stalder. Weil der Preiswettbewerb mit den umliegenden Ländern in der Branche so hoch sei, seien diese Aussagen glaubhaft.



 Nicht überall ist man so optimistisch. Ein wesentlicher Abbau des «Zuschlags Schweiz» auf Importgütern ist laut Volkswirt Moser nur möglich, wenn der Bund weitere Handelshemmnisse abbaut: Wenn beim Import keine Zollrechnung mehr anfalle, jedoch weiterhin die Mehrwertsteuer erhoben werde, sei wenig gewonnen. «Die administrativen Prozesse bleiben dieselben.»

Ebenfalls lässt das geplante Streichkonzert bei den Industriezöllen die Frage aufkommen, ob der Wirtschaftsminister auch die Zollsätze auf den Agrarprodukten ins Visier nimmt. Dort nämlich beträgt der durchschnittliche Zollsatz nicht weniger als 30 Prozent. Und die letzten Öffnungsschritte im Agrarbereich liegen schon Jahre zurück. Wenn der Bundesrat also den Rotstift bei den Zöllen ergreift, sollte er bei dieser Gelegenheit auch die Landwirtschaft nicht schonen – schon gar nicht bei Agrarprodukten, die nicht in der Schweiz hergestellt werden.