Die exponentielle Nutzung von digitalen Technologien nimmt weiter zu. Schon lange tummeln sich nicht mehr nur die jüngeren Generationen in der digitalen Welt. Während der Pandemie haben es auch die Nachzügler dorthin geschafft. Damit geht der Effekt einher, dass immer mehr Menschen Marken ganzheitlicher, das heisst in allen Kanälen, on- und offline, wahrnehmen können.

Marken nehmen im Gegenzug ihre Kundschaft eher noch nicht ganzheitlich wahr. Doch die Kundinnen und Kunden sind heute grossteils keine passiven Beobachterinnen und Beobachter mehr. Sie sind informierter, wählerischer und haben höhere Erwartungen als je zuvor. Sie wollen nicht nur einfach Produkte oder Dienstleistungen kaufen: Sie möchten dazugehören, beeinflussen und sich mit den Markenwerten identifizieren können. Insgesamt wird die Kundeninteraktion wertegetrieben, kontextualisiert und dynamisch. 

Es liegt also auf der Hand, dass Marken nicht nur bei der Kundenakquise digital affiner sein müssen. Sie müssen auch die Fähigkeit haben, das Markenerlebnis über die gesamte Wertschöpfungskette und über alle Interaktionskanäle hinweg authentisch und überzeugend zu definieren und entsprechend zu implementieren.

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Über den Autor

Roger Lay ist Managing Direktor der Deloitte-Kreativagentur ACNE und leitet den Experience- und Innovationsbereich bei Deloitte Digital in der Schweiz. Er ist Experte für Digitalstrategien, Transformationen und Marketing. 

Damit gestaltet sich auch die Rolle der CMO facettenreicher und gleichermassen herausfordernder – sie sollen nebst den transformativen Themen in den eigenen Abteilungen auch Veränderungen des gesamten Unternehmens und darüber hinaus vorantreiben, so zum Beispiel in folgenden Bereichen: 

  • Marketing als Funktion im Unternehmen neu positionieren
    Unternehmen in der Schweiz priorisieren in der Regel immer noch die Steigerung von Effizienz und Produktivität. Marketing wird dabei nach wie vor als Kostenstelle wahrgenommen. Das ist kurzsichtig, denn ein ganzheitlicher Ansatz des Markenerlebnisses fördert die Kundenzentrierung und dadurch auch die gesellschaftlich positiven Auswirkungen der Marke. Das stärkt die Loyalität zur Marke und trägt mittelfristig signifikant zum Umsatzwachstum bei. 
  • Die Marke selbst neu definieren
    Kundinnen und Kunden wollen sich mit ihren Marken identifizieren können. Das heisst, dass die Markenwerte mit den Kundenwerten übereinstimmen müssen. In einer Zeit, in der die post-pandemische, umweltorientierte, diversitätsaffine Stimmung Gewicht hat, widersprechen intern gesetzte Kennziffern oft den Kundenerwartungen – und frei erfundene, schön ausformulierte Marketingphrasen reichen nicht mehr aus. CMO müssen die Absichten der Marke kommunizieren und dafür sorgen, dass diese auch in Taten umgesetzt werden. Dabei gilt es, den Balance-Akt zwischen dem Markenversprechen und den Fähigkeiten des Unternehmens so zu meistern, dass diese Versprechen konsistent und vertrauenswürdig eingehalten werden können – denn enttäuschte Kunden sind nur schwer bis gar nicht mehr zurückzugewinnen. Viele CMO stehen unter Druck, schon nach kurzer Zeit direkt spürbare Ergebnisse vorzeigen zu müssen. Sie werden also dazu getrieben, eher kurzfristig zu denken. Sie handeln dadurch nicht nachhaltig beziehungsweise nicht innovativ genug im Sinne der Marke oder des Unternehmens.
  • Die Barrieren im Unternehmen herabsetzen
    Der oder die CMO treibt den Wandel im Unternehmen voran. Das war schon immer so. Das heisst konkret: neue Ideen testen, manchmal scheitern, sich wieder aufrappeln und nach vorne schauen. Was sich ändert: Er oder sie sollte Ideen nicht nur mit Kreativität und technischem Wissen begegnen, sondern muss auch kulturelle und strukturelle Veränderungen im Unternehmen vorantreiben (siehe Box rechts: «Wie Barrieren im Firmen gesenkt werden können»).

Neben diesen kulturellen und strukturellen Veränderungen innerhalb des Unternehmens müssen CMO auch die unvermeidliche, erlebnisgetriebene Transformation in den eigenen Marketingabteilungen auf Touren bringen. Wer sein Marketing noch ganz klassisch nach den 9P (Product, Price, Promotion, Place, People, Planning, Partners, Presentation und Passion) der Schulbücher ausrichtet, wird es schwer haben, sich mittel- bis langfristig erfolgreich zu positionieren. Denn es muss neben diesen P und deren dazugehörenden Variablen zusätzlich in transformative Massnahmen in den eigenen Marketingabteilungen investiert werden.

 
Ein (illustratives) Erlebnis-Ökosystem einer Marke

Ein (illustratives) Erlebnis-Ökosystem einer Marke: Eigene Kanäle und Medien (rot), beeinflussbare Kanäle und Medien (mögliche Kollaborationspartner – gelb) und nicht beinflussbare Kanäle und Medien (schwarz).

Quelle: ZVG

Grundsätzlich geht es darum, Kundinnen und Kunden nicht mehr wie eine potenzielle Käuferschaft, sondern wie Menschen zu behandeln – und wie wir wissen, sind Menschen eher sensorische Wesen und werden stark von Erlebnissen geprägt. Kundenerwartungen werden auf einer tiefen, sensorischen Ebene geformt. Aber wenn Unternehmen mit Menschen kommunizieren, überwiegen oft rationale Entscheidungen, Logik und allenfalls sogar Systemlimitationen, anstatt die Kundenbindung auf emotionaler Ebene stattfinden zu lassen. 

Das Erlebnis-Ökosystem ist ein nützliches Tool zur Darstellung, wo genau sich das Unternehmen im Bereich des Kundenerlebnisses befindet. Die derzeit beliebte Übung zur Erstellung von Customer Journeys reicht jedoch nicht mehr aus. Es soll nicht nur in Sequenzen, sondern ganzheitlich, über alle Kanäle und Touchpoints hinweg, überlegt werden. Das Erlebnis-Ökosystem hilft zu verstehen, wann welche Menschen wie mit der Marke interagieren, und ermöglicht es, Kundenerwartungen zu verstehen. 

Heute werden Ziele und Interaktionsmethoden der Marken gemäss den spezifischen Kundenerwartungen definiert, denn Marken können ihren Kundinnen und Kunden nicht diktieren, wie sie mit ihnen zu interagieren haben – weder wie noch wo oder wann. Und die Kundschaft will jederzeit die Markenwerte umgesetzt sehen, die ihr versprochen wurden. Wenn einem Brand beispielsweise die Umweltfrage besonders am Herzen liegt und genau das entsprechend prominent kommuniziert wurde, dann sollen bei der Warenlieferung keine übergrossen Pakete mit unnötiger Plastikverpackung ankommen.

Um diese Versprechen zu erfüllen, nutzen Unternehmen technologische Hilfsmittel, die Daten zum Kundenverhalten in Echtzeit sammeln und auswerten. Damit können sie Trends erkennen und früh auf sich verändernde Kundenerwartungen reagieren. Das geht nur mit Unterstützung von modernsten Werkzeugen, sogenannten Marketingtechnologien (Martech). Martech erleben gerade eine Renaissance: kanalfokussierte Lösungen wie Websites, E-Commerce-Lösungen, soziale und mobile Plattformen, Content-Management-Tools und die altbekannte Suchmaschinenoptimierung waren gestern.
 

Wie Barrieren in Firmen gesenkt werden können
  • Das Physische, Digitale und Emotionale miteinander verschmelzen
    Bauen Sie Fähigkeiten auf, mit denen sich hybride Kundenerlebnisse gestalten und implementieren lassen, die die Kundschaft begeistern; physische Verkaufsflächen sind keine reine Vertriebsangelegenheit mehr.
  • Die DEI-Agenda (Diversity, Equity und Inclusion) integrieren 
    Setzen Sie Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion im Unternehmen als gelebte Werte um. Diese sollen in allen Botschaften, Interaktionen spürbar und auch durch Taten sichtbar werden.
  • Enger mit Data Privacy zusammenarbeiten 
    Die Kontextualisierung von Content muss schon bald ohne 3rd-Party-Cookies auskommen. Es muss also eine 1st-Party-Data-Strategie definiert und umgesetzt werden. Das heisst auch, mit Marketing- und Kundendaten so umgehen zu können, dass neue regulatorische und datensicherheitsbedingte Normen immer eingehalten werden. 
  • Nicht nur Kundenerlebnisse erzeugen, sondern die Chancen des Ökosystems nutzen 
    Das Markenerlebnis geht über die eigenen Grenzen hinaus. Integrationsplattformen sollen Ihren Zusammenschluss mit Ökosystem-Partner vereinfachen. 
  • Mögliche Konfliktpotenziale mit CIO schlichten 
    Marketing im digitalen Zeitalter bedeutet auch, grössere Vorhaben in der IT voranzutreiben. Neue Tools zur Personalisierung des Kundenerlebnisses oder die Modernisierung des CRM stehen hier im Vordergrund. CIO werden aber mehr als genug mit anderen strategischen Themen wie der Erneuerung von Legacy-Kernsystemen zu tun haben, während der Kostendruck insgesamt wächst. 

Heute geht es um eine neue Generation von Systemen,die ein noch nie dagewesenes Level der Kundenvertraulichkeit, zielsicheres Engagement und eine einzigartige Personalisierung erlauben. Wir sprechen hier von sogenannten Experience-Management-Plattformen. Analytik und kognitive Fähigkeiten beleuchten hier den Kontext der Kundenbedürfnisse und zeigen mithilfe von Algorithmen und Machine Learning den optimalen Weg auf, wie mit Kundinnen und Kunden wann genau interagiert werden soll. 

Marketingverantwortliche in erfolgreichen Unternehmen bauen hierfür gemeinsam mit den IT-Verantwortlichen einen Katalog an erlebnisfokussierten Marketingtools auf, auch mit experimentellen und exponentiellen Technologien. Ziel ist es, Marketing von einem kostenbasierten Modell der Kundenakquise zu einem erlebnisorientierten und damit auch mittel- bis langfristig gewinnorientierten Modell umzuwandeln, welches auf einer Erlebnisstrategie aufbaut (Stichwort Experiential Marketing). 

Heute stehen die Kundinnen und Kunden im Zentrum – und die Unternehmen bedienen sie mit unzähligen Optionen und Interaktionskanälen. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen diese ein differenzierteres, menschlicheres und authentischeres Erlebnis-Ökosystem für ihre Marke erschaffen. 

Schlüsselrolle der CMO

CMO mit der Gesamtverantwortung für die Marke nehmen hier die Hauptrolle ein und treiben die Veränderung im Unternehmen voran. Die gesamte Organisation muss davon überzeugt werden, dass das Unternehmen nicht nur Produkte oder Dienstleistungen verkauft, sondern im digitalen Erlebniszeitalter angekommen ist. Dabei müssen neue Fähigkeiten erworben und ebenso muss die Unternehmenskultur stetig angepasst werden.

Sogar für die erfahrensten und sachkundigsten CMO ist es selten leicht, transformative Themen ganzheitlich voranzutreiben. Glücklicherweise müssen diese Veränderungen nicht in einem grossen, strukturellen Programm durchgeführt werden, das mit massiven Investitionen verbunden ist. Sie können in iterativen, agilen Schritten angegangen werden, sofern die richtigen strategischen Fragestellungen definiert und beantwortet wurden.

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