Vielfalt ist kein Trend – sie ist Ausdruck zentraler Werte wie Chancengleichheit, Respekt und Gerechtigkeit. In Zeiten des Wandels, wachsender Unsicherheit und zunehmender gesellschaftlicher Polarisierung kommt es mehr denn je darauf an, sich zu diesen Werten nicht nur zu bekennen, sondern sie aktiv zu leben. Als CFO von Ringier und Initiantin der EqualVoice-Initiative beschäftigt mich genau das: Wie gelingt es uns, Vielfalt nicht nur zu feiern, sondern strukturell zu verankern – in Führung, Organisationen und in der Gesellschaft?
In einem Umfeld geprägt von globalen Krisen, disruptiven Technologien und tiefgreifenden Transformationsprozessen stehen Führungskräfte in besonderer Verantwortung. Leadership bedeutet heute mehr als operative Exzellenz oder die Erfüllung kurzfristiger Zielvorgaben – es verlangt Haltung. Haltung heisst, für Fairness und Teilhabe einzustehen, auch wenn es unbequem ist. Es heisst, Räume zu öffnen für andere Perspektiven, zuzuhören, sich selbst zu hinterfragen – und auch den Mut zu haben, bestehende Machtstrukturen zu verändern, um Platz für neue Stimmen zu schaffen.
Heterogenität als Treiber
Vielfalt ist kein «Nice to have», sondern ein strategischer Erfolgsfaktor. Zahlreiche Studien belegen: Unternehmen mit diversen Führungsteams sind nicht nur kreativer, sondern auch profitabler, innovativer und resilienter. Unterschiedliche Hintergründe, Erfahrungen und Sichtweisen führen zu besseren Entscheidungen und zu Lösungen, die in einer komplexen Welt nachhaltiger wirken. Und Vielfalt ist nicht nur ein Wirtschaftsthema – sie ist auch ein Innovationstreiber in Wissenschaft, Politik und Kultur. Fortschritt entsteht selten in homogenen Gruppen; er wächst dort, wo Unterschiede aufeinandertreffen und respektvoll in Neues transformiert werden.
Doch Diversität passiert nicht automatisch. Sie braucht klare Ziele, verbindliche Strukturen und Führungspersönlichkeiten, die Vielfalt nicht nur zulassen, sondern bewusst fördern – auch dann, wenn dies unbequem ist oder bestehende Gewohnheiten hinterfragt werden müssen.
Kritische Stimmen sind dabei nicht neu: Vielfalt sei ein Modewort, Gleichstellung koste Effizienz, Quoten würden Leistung untergraben. Solche Einwände sind ernst zu nehmen – und ihnen muss mit Fakten, Dialog und Entschlossenheit begegnet werden. Die Realität zeigt: Monokulturen in Entscheidungsstrukturen bergen das Risiko von Denkblasen, blinden Flecken und Fehlentscheidungen, während heterogene Teams breitere und tragfähigere Lösungen entwickeln. Unternehmen, die Vielfalt ignorieren, laufen Gefahr, den Anschluss an Märkte, Talente und gesellschaftliche Erwartungen zu verlieren.
Gerade jetzt, wo gesellschaftliche Spannungen zunehmen und Errungenschaften der Gleichberechtigung infrage gestellt werden, ist es entscheidend, an unseren Grundüberzeugungen festzuhalten. «Stick to your values» ist kein Marketing-Slogan – es ist ein Aufruf zur Verantwortung. Fortschritt entsteht nicht zufällig, sondern durch konsequentes Handeln. Dazu gehört, Missstände offen anzusprechen, Brücken zwischen unterschiedlichen Gruppen zu bauen und Räume für Dialog zu schaffen – nicht nur in Vorstandsetagen, sondern auf allen Ebenen einer Organisation.
Verantwortung übernehmen
Mit Equal Voice messen wir Sichtbarkeit – und wir wollen mehr: Bewusstsein schaffen für Strukturen, die echte Teilhabe ermöglichen. Sichtbarkeit ist ein erster Schritt, doch nachhaltige Wirkung entsteht erst, wenn Organisationen Barrieren abbauen, gleiche Chancen schaffen und systematische Benachteiligungen überwinden. Mit dem Netzwerk Equal Voice United verbinden wir Unternehmen und Persönlichkeiten, die Gleichstellung nicht als kurzfristige Imagekampagne verstehen, sondern als unternehmerische und gesellschaftliche Notwendigkeit. Sie handeln aus Überzeugung – weil sie erkannt haben, dass Vielfalt und Zukunftsfähigkeit untrennbar miteinander verbunden sind.
Leadership mit Wirkung zeigt sich vor allem in schwierigen Momenten: Wenn man nicht schweigt, sondern Position bezieht. Wenn man inspiriert, statt nur zu reagieren. Wenn man nicht nur bestehende Prozesse verwaltet, sondern den Mut hat, neue Wege zu gehen – auch wenn diese am Anfang unbequem erscheinen. Jetzt ist die Zeit, Verantwortung zu übernehmen – für eine inklusive Wirtschaft, eine gerechte Gesellschaft und eine Zukunft, in der niemand zurückgelassen wird.
Vielfalt ist dabei kein Ziel, das man «erreicht» und abhakt. Sie ist ein kontinuierlicher Prozess, ein ständiges Lernen, ein ständiges Überprüfen unserer Perspektiven. Wer heute führt, muss die Fähigkeit entwickeln, in Vielfalt nicht Chaos zu sehen, sondern Potenzial – und die Entschlossenheit, dieses Potenzial freizusetzen. Das erfordert Mut, Klarheit und vor allem eines: Haltung.