Darf die Polizei das? Diese Frage ist legitim, wenn man sich die Auftritte verschiedener Polizeibehörden in den sozialen Medien anschaut. Wir erinnern uns alle noch an die Tänze diverser Behörden im Zuge der Jerusalema-Challenge in der Corona-Zeit. Auch auf den Tiktok- und Instagram-Accounts der Kantonspolizei (Kapo) Aargau gibt es zahlreiche Videos, die einem zuerst einmal ein Lachen entlocken. Oft sehr locker, aber eben auch polarisierend geben die Beamten seit dem Jahr 2023 hier Einblick in ihren Alltag. Gerade erst diesen Spätsommer haben sie über zwei Stunden live aus der Einsatzzentrale in Aarau gestreamt. Und daher: Ja, die Frage nach dem «Dürfen» ist berechtigt. Denn wie transparent und lustig darf eine Behörde wie die Polizei eigentlich sein? Wie weit darf Marketing mittels digitaler Kanäle gehen? Und das vor allem online …
«Wir haben sicher auch intern Kritiker», sagt Roduner. «Nicht jeder bei uns ist von dem, was wir tun, überzeugt. Doch wir haben einen starken Rückhalt, auch in den oberen Etagen – und nein, getanzt haben wir nicht.» Roduner selbst ist Frontpolizist und Mediensprecher der Kapo Aargau – und zudem seit zwei Jahren Content-Creator. In seinem Büro in Aarau liegen deshalb neben den klassischen Polizeisachen wie Weste und Funkgerät auch eine Kamera und ein Stativ – griffbereit, aber nicht mit der Hoffnung auf Sensationen. Denn darum geht es nicht. Statt Klicks und Followerzahlen ist das Ziel ein anderes. Es geht darum, Aufmerksamkeit rund um Themen wie Prävention oder auch Recruiting zu schaffen. «Es geht um Sichtbarkeit und ebenso um Erreichbarkeit», erklärt Roduner. «Kommunikation hat sich in der digitalen Welt grundlegend verändert, und das betrifft auch uns. Vor allem, wenn wir die jüngeren Zielgruppen erreichen möchten.»

Vanessa Rumpold ist ebenfalls Teil des Social-Media-Teams der Kapo Aargau.
Ideen bringt der Alltag
Die meisten Ideen des fünfköpfigen Teams, zu dem neben Marco Roduner auch Vanessa Rumpold, Daniel Wächter, Lisa Wickihalter und Bernhard Graser gehören, stammen aus dem Alltag. Viral ging zum Beispiel ein Spot, in dem Roduner selbst vor einem 60er-Tempobegrenzungsschild steht und darauf hinweist, dass man nicht geblitzt wird, wenn die Zahl auf dem eigenen Tacho unterhalb der Zahl auf solchen Schildern bleibt. Der Hintergrund: «Gerade in den warmen Sommermonaten wird der Wunsch nach Tempo oft grösser. Wir haben das auf humorvolle Weise thematisiert.» Bis heute wurde das Video auf Tiktok mehr als 300 000-mal angeklickt. Mehr als 17 000 Menschen haben es gelikt, und rund 1100 haben einen Kommentar hinterlassen. Ein echter Erfolg, denn der Post hat Aufmerksamkeit gebracht. Und ist sicher eindrücklicher als ein Plakat mit der Aufschrift «Runter vom Gas» an einem Brückengeländer über der Autobahn. Und genau darum geht es beim neuen Weg in Sachen Marketing der Kapo Aargau.
Mit der Digitalisierung hat sich die Art, wie Menschen miteinander kommunizieren, grundlegend verändert. Wer heute eine Frage hat, wendet sich an Chat GPT oder Google. Wer heute Sorgen hat, sucht anonym Hilfe im Netz. Leider jedoch oft erst zu spät. Soziale Kanäle zu nutzen, um präventiv zu wirken, ist daher eine echte Chance. «Über die Kanäle, die wir nutzen, erreichen wir alle Altersgruppen», sagt Vanessa Rumpold, die bereits seit drei Jahren im Bereich Kommunikation der Kapo Aargau arbeitet. «Gerade die jüngeren Generationen sind dabei Multiplikatoren.» So wie beispielsweise im Fall eines Videos zum Thema Enkeltrickbetrug, von dem das Team weiss, dass viele Enkel es mit Grossmami und Grosspapi geteilt haben.
Sich der Verantwortung bewusst sein
Grundsätzlich lässt sich sagen, dass soziale Kanäle und gewisse KI-Tools zur Lebensberatung geworden sind. Die Frage ist: Wie gut sind die Antworten, die man erhält? Wie ernst ist die Absicht derer, die online Hilfe bieten? Ist der Absender die Polizei, und das ganz offiziell, verleiht dies den Posts und Inhalten Gewicht. Dessen ist man sich sehr bewusst. «Wir verfolgen keine Trends und verstellen uns nicht», sagt Roduner. «Aber ja, wir polarisieren und nehmen auch Dinge auf die Schippe, die man der Polizei gerne vorwirft.» Wie eben zum Beispiel, dass man «willkürlich» Kontrollen durchführe, beginnend bei der Geschwindigkeit bis hin zu eventuellem Tuning. «Als Frontpolizist bin ich regelmässig im direkten Kontakt mit den Menschen», sagt er. «Und so erlebe ich, was die Menschen bewegt, bin aber auch nah dran, wenn es um neue Betrugsmaschen geht.» Drei Anzeigen an einem Tag wegen Vorfällen auf dem Auktionsportal Ricardo, bei dem Betrüger interessierte Käufer von Ricardo weg- und auf eigene Bezahlwebsites lockten, führten zu einem Post, den Zehntausende anschauten: Verunsicherte, Neugierige, Betroffene.
Rahmenbedingungen klar definieren
Grundsätzlich geht es bei jedem Post um den Mehrwert, den die Kapo Aargau über diese Kanäle bieten kann. Und dabei werden auch schwierige Themen wie häusliche Gewalt nicht ausgelassen, wobei die Videos in solchen Fällen nicht wie ein Grossteil der Posts entstehen – also nicht ad hoc und keinesfalls «hemdsärmelig». Bei schwierigeren Themen sind es informelle Videos mit einer entsprechenden Storyline und einer Freigabe durch Verantwortliche. Grundsätzlich gilt jedoch, dass es für einen neuen Post keine Freigaben und keine langen Planungszeiten braucht. «Wir haben zu Beginn Rahmenbedingungen festgelegt, also entstehen die meisten Videos eben wirklich aus der Situation heraus», sagt Roduner. «Aber sicher checken wir zum Beispiel regelmässig die Apps, auf denen wir aktiv sind, in Bezug auf Nutzer- und Datenschutzregeln.» Und sonst gelten in Bezug auf Datenschutz die Regeln, die auch sonst im Polizeialltag eingehalten werden müssen. Aber klar, es ist ein schmaler Grat in Bezug auf das «Dürfen» … Denn ja, man ist sich auch bei der Kapo Aargau bewusst, dass ein Missbrauch der geposteten Inhalte möglich wäre. Deepfakes sind an der Tagesordnung. Doch bisher hat das Team erfolgreich eine Brücke zwischen behördlicher Ernsthaftigkeit und der lockeren, humorvollen Sprache auf Social Media schlagen können und damit eine neue Kommunikationsebene zwischen der Bevölkerung und der Polizei im Kanton Aargau sowie weit darüber hinaus erreicht. Und gezeigt, dass die Polizei auch in der digitalen Ära ein unverzichtbarer und zugänglicher Ansprechpartner bleiben kann. Zudem wird durch die Posts klar, dass ein starkes menschliches Element in der Welt der KI und Automatisierung unentbehrlich bleibt. Und dass sich auch mit geringem Aufwand grosse Wirkung erzielen lässt.

