Marken sind weit mehr als Kommunikationssymbole. Sie sind ökonomische Ressourcen, die Unternehmenswert und Resilienz entscheidend beeinflussen. Studien zeigen, dass starke Marken den Börsenwert um bis zu 20 Prozent steigern können – durch Preispremium, Loyalität oder Krisenfestigkeit. Der von FehrAdvice erhobene Identitätsindex Schweiz bestätigt das: Marken, die Identität, Vertrauen und emotionale Bindung vereinen, erzielen eine signifikant höhere Loyalität und Stabilität.
Gerhard Fehr, VR, Partner & Executive Behavioral Designer, FehrAdvice & Partners AG, Zürich
Doch die Daten zeigen auch die Grenzen der klassischen Logik. Differenzierung über Preis, Produktqualität oder Distribution reicht in globalisierten Märkten kaum mehr aus. Produkte sind rasch imitierbar, Kostenvorteile erodieren, Reichweiten lassen sich über digitale Plattformen jederzeit skalieren. Damit entsteht ein strategisches Vakuum: Wenn funktionale Unterschiede verschwinden, worauf gründet sich nachhaltige Markenstärke?
Die Antwort liegt in den Beziehungsqualitäten von Marken. Orientierung, Vertrauen und emotionale Bindung sind die Faktoren, die heute über Erfolg und Misserfolg entscheiden. Sie bilden den Kern des ITL-Frameworks: Identity, Trust, Love. Drei Dimensionen, die sich messen, strategisch gestalten und in ökonomische Modelle integrieren lassen.
Identity, Trust, Love
Identität bedeutet, dass ein Unternehmen klar formuliert, wofür es steht – und wofür nicht. Diese Selbstdefinition schafft Orientierung nach innen wie nach aussen. Der Identitätsindex Schweiz zeigt: Marken, die Swissness authentisch verkörpern, weisen die höchste Resilienz auf. Migros, Swiss oder Ricola bieten in einer volatilen Zeit klare Ankerpunkte. Überraschend ist, wie stabil diese Werte selbst dann bleiben, wenn Produkte austauschbar erscheinen oder der Service kritisiert wird – Identität wirkt tiefer als einzelne Transaktionen. Gleiches gilt für Vertrauen, das als ökonomische Grundlage gesehen werden sollte. Vertrauen ist kein «weicher Faktor», sondern eine ökonomisch messbare Ressource. Es reduziert Transaktionskosten, erleichtert Entscheidungen und stabilisiert Beziehungen. Im Finanz- und Gesundheitswesen entscheidet Vertrauen über Marktanteile. Die Schweizer Daten zeigen: Wo es gelingt, Transparenz und Verlässlichkeit glaubwürdig zu verankern, bleibt Kundenbindung hoch. Wo Vertrauen verloren geht, helfen auch funktionale Vorteile nicht mehr.
Und schlussendlich die «Liebe». Denn ein kleiner Teil der Marken schafft es, Teil der Identität ihrer Kunden zu werden. Love-Brands erzielen Wiederkaufraten und Empfehlungswerte, die selbst in Krisenzeiten Bestand haben. In der Schweiz erreichen nicht nur Luxusmarken hohe Werte, sondern auch alltägliche Konsumgüter. Global Player wie Apple oder Spotify zeigen zudem: «Love» entsteht nicht nur aus lokaler Identität, sondern auch aus nahtlos funktionierenden Ökosystemen, die Routinen prägen.
ITL im Branchenkontext
Markenwirkung entfaltet sich stets im Kontext von Märkten und Wettbewerb. Aus industrieökonomischer Sicht lassen sich die drei Dimensionen präzise einordnen. So wirkt Identität wie eine Eintrittsbarriere (Bain, Porter). Neue Anbieter können funktionale Features kopieren, aber keine kulturelle oder nationale Verankerung. Vertrauen reduziert Koordinations- und Informationskosten (Coase, Williamson). Und Liebe erzeugt Lock-in-Effekte (Tirole, Shapiro). Kunden, die emotional gebunden sind, wechseln nicht – auch wenn Alternativen günstiger erscheinen.
Mit Blick in die Zukunft lässt sich sagen: Die strategische Bedeutung von Marken wird weiter steigen – aber die Logik verändert sich. Entwicklungen wie Factful Storytelling sind prägend. So verknüpfen beispielsweise Schweizer Marken wie Migros oder Ricola ihre Narrative mit überprüfbaren Fakten: Genossenschaftsstruktur, Rückverteilung in die Gesellschaft oder transparente Herkunftsgarantien. Genau diese Kombination von Story und Daten schafft Glaubwürdigkeit. Dazu entwickeln sich andere Marken – wie zum Beispiel die SBB – zu Ökosystem-Marken. Sprich: Statt Transportunternehmen bietet man nun ein Mobilitäts-Ökosystem. Und schlussendlich wird die Markenarchitektur immer mehr durch KI gestützt. Unternehmen wie Swisscom oder Digitec Galaxus setzen KI bereits ein, um Kundenerlebnisse individuell zu gestalten und Narrative in Echtzeit zu testen. Markenführung wird dadurch datenbasiert, skalierbar und gleichzeitig persönlicher. Marken sind damit keine statischen Symbole, sondern dynamische Architekturen der Aufmerksamkeitsökonomie, die sich in Echtzeit weiterentwickeln. Das ITL-Framework liefert den Rahmen, um diese Entwicklungen strategisch zu nutzen.
