Kaum eine Branche – abgesehen vielleicht vom Banking – steht derzeit so heftig in der Kritik wie die Landwirtschaft und die verarbeitende Industrie. Die Vorwürfe haben es in sich: Umweltverschmutzung, Emission von Pestiziden, Düngemittel, hoher Wasserverbrauch, grosser Flächenbedarf.

Innovative Produzentinnen und Produzenten sowie Verarbeiter arbeiten schon lange an Lösungsansätzen. Einer davon ist das Vertical Farming (VF), eine landwirtschaftliche Technik, die eine gross angelegte Lebensmittelproduktion in Hallen umfasst. Dies ermöglicht ein schnelles Wachstum und eine geplante Produktion, indem sie die Umweltbedingungen und Nährstofflösungen für Pflanzen auf der Grundlage von Hydroponik kontrolliert. Dadurch werden Schäden verhindert, welche die konventionelle Freilandlandwirtschaft verursacht.

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Anbau ohne Limit

Der Hauptunterschied zwischen VF und traditioneller Landwirtschaft liegt in der Vielfalt der Produkte, die zu einem bestimmten Zeitpunkt produziert werden können. In der traditionellen Landwirtschaft wird jeweils nur eine Kultur angebaut, während im VF mehrere Arten von Pflanzen gleichzeitig auf verschiedenen Ebenen übereinander aufgeschichtet angebaut werden.

Beim Vertical Farming lassen sich alle idealen Bedingungen, die für ein optimales Pflanzenwachstum erforderlich sind, im Innenbereich erreichen, wie etwa Heizung, Beleuchtung, Wasser, Luftfeuchtigkeit, Nährstoffmenge, Nährstoffkonzentration und geeignete Einstellungen, die alle für eine bestimmte Kultur gesteuert und verwaltet werden können. Da die Pflanzen tageslichtunabhängig im Innenbereich angebaut werden, hat der Wechsel der Jahreszeiten keinen Einfluss auf die Ernte. Dies ermöglicht mehrere Ernten im Jahr. Zudem kann VF überall auf der Welt eingesetzt werden, da es nicht vom Boden abhängig ist. Dies ist vor allem in und um dicht besiedelte Gebiete ein Vorteil.

Die grössten Herausforderungen bei diesen mehrschichtigen «Indoor-Pflanzenanbausystemen» sind derzeit die Erforschung in den Bereichen Pflanzenwachstum, Produktqualität, Automatisierung, Robotik und Systemsteuerung. Die erfolgreiche Umsetzung der vertikalen Landwirtschaft erfordert aber Verbesserungen in Bezug auf Rentabilität, Energieeffizienz und Akzeptanz bei den Konsumentinnen und Konsumenten.

 

Ökonomische Faktoren bremsen

Vertical Farming hat durchaus das Potenzial, dereinst die industrielle Landwirtschaft zu ersetzen. Es ist jedoch noch eine relativ neue Technologie, und ihre Kosteneffizienz, Skalierbarkeit und ökologische Nachhaltigkeit übertreffen derzeit herkömmliche landwirtschaftliche Praktiken kaum. Vor allem ökonomische Faktoren wie zum Beispiel hohe Investitionskosten, hohe Bodenpreise ausserhalb der Landwirtschaftszonen, strenge Bauvorschriften und der hohe Energieverbrauch bremsen die Ausbreitung des Konzepts.

Das dürfte sich in den kommenden Jahren ändern. So konnte das ETH-Spin-off Yasai auf finanziellen Support der Agrargenossenschaft Fenaco zählen. Yasai baut Kräuter und Blattgemüse an, die im Coop, Jelmoli und auf Farmy.ch angeboten werden. Offensichtlich läuft es rund. Das Unternehmen plant eine Verzehnfachung seiner Produktionskapazität, um die ständig wachsende Nachfrage zu befriedigen und das Produktportfolio mit Handelspartnern zu erweitern.

Und im St. Galler Sittertobel baut das Unternehmen Lokal 365 AG in einer vertikalen Indoor-Anlage Kräuter an, die hauptsächlich über die Spar-Gruppe vermarktet werden. Doch es gibt auch Rückschläge. Das Startup Growcer etwa lancierte in Kooperation mit der Migros Basel eine rund eineinhalb Jahre dauernde Pilotphase. Nach deren Ablauf wurde die Zusammenarbeit von der Migros beendet und die Growcer AG wurde liquidiert.

 

Zukünftige Agrarpolitik

Auch die Landesregierung ist nicht untätig. Im Bericht «Zukünftige Ausrichtung der Agrarpolitik» zieht der Bundesrat das gesamte Ernährungssystem von der Produktion bis zum Konsum mit ein. So müssen Verarbeiter sowie Konsumentinnen und Konsumenten ihren Beitrag leisten, indem etwa die Lebensmittelverluste entlang der gesamten Wertschöpfungskette bis ins Jahr 2050 um drei Viertel reduziert werden sollen.

Angesichts der unterschiedlichen politischen Interessen im National- und Ständerat ist jedoch anzunehmen, dass die angepeilten Ziele noch manche Hürden zu überwinden haben. Anzunehmen ist ebenfalls, dass innovative Produzenten und Verarbeiter nicht auf das Parlament warten und ihre Bestrebungen auch ohne politische Begleitung hin zu mehr Nachhaltigkeit vorantreiben werden. Unter anderem mit Vertical Farming.