Ohrenbetäubende Hupkonzerte, Rauchpetarden und brennende Autoreifen: Anfang dieser Woche gingen die Milchbauern aus ganz Europa in Brüssel auf die Barrikaden. Sie machten ihrem Unmut über den Milchpreiszerfall nach der Aufhebung des EU-Kontingentierungssystems Luft.

Auch in der Schweiz liegen die Nerven der Milchproduzenten blank. Zwar entschied sich die Milchbranche vor wenigen Tagen, den Preis für Molkereimilch bis Ende Jahr nicht anzutasten. Trotzdem geht für viele Betriebe die Rechnung nicht auf. Erst vor Wochenfrist wurde bekannt, dass im Kanton Zug ein Milchbauer mit 280 Kühen dem Melkroboter den Stecker zieht. Es braucht in dieser aufgeladenen Stimmung wenig, damit die Emotionen der Milchproduzenten hochkochen.

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«Schlicht nicht nachvollziehbar»

Genau dafür sorgt nun der Luzerner Milchverarbeiter Hochdorf: Er will in den nächsten sechs Monaten rund 800 Tonnen konzentrierte Magermilch in die Schweiz einführen - voraussichtlich aus Deutschland. Diese soll in den eigenen Anlagen zu Milchpulver verarbeitet und dann wieder aus der Schweiz ausgeführt werden, wie Recherchen der «Handelszeitung» ergeben. Vor wenigen Tagen hat die eidgenössische Zollverwaltung ein entsprechendes Gesuch des Milchverarbeiters bewilligt.

In der Landwirtschaft taxiert man dieses Vorgehen als Provokation. Markus Ritter, Präsident des Bauernverbands, bezeichnet es als «schlicht nicht nachvollziehbar»: «Das Unternehmen rühmt sich in der Werbung gerne seiner Swissness. Nun entfernt es sich von seinen eigenen Prinzipien.» Ausserdem sei es ein «ökologischer Unsinn», dass das Unternehmen Milch aus dem Ausland mit Lastwagen in die Schweiz karre.

«Schoggigesetz» funktioniert bloss halbwegs

Hinter der Kritik der Bauern steckt die Befürchtung, das Beispiel Hochdorf könnte Schule machen. Die Schweiz verfügt zwar mit dem «Schoggigesetz» über einen Mechanismus, mit dem der Staat die Preisunterschiede zwischen der einheimischen Milch und der EU-Milch im Exportgeschäft ausgleicht. Nur so bleibt die Nahrungsmittelindustrie mit einheimischen Rohstoffen international konkurrenzfähig.

Doch das Instrument funktioniert bloss halbwegs: Nur zwei Drittel der Preisdifferenz können derzeit abgedeckt werden. Lebensmittelhersteller erhalten damit einen Anreiz, inländisches Milchpulver durch billigeres aus dem Ausland zu ersetzen.

Nicht genug Milch in der Schweiz

Hochdorf nutzt für die Einfuhr einen speziellen Passus im Zollgesetz aus: Den sogenannten «aktiven Veredelungsverkehr». Dieser erlaubt es den Unternehmen, Rohstoffe aus dem Ausland zollfrei zu importieren, sofern diese nur vorübergehend im Land bleiben. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass der Rohstoff in der Schweiz nicht in genügendem Masse vorhanden ist.

Genau an dieser Frage scheiden sich allerdings die Geister: Hochdorf argumentiert, dass es im zweiten Halbjahr zu wenig Milch in der Schweiz gebe, um die eigenen Anlagen sinnvoll auszulasten: «Milch für den Export ist praktisch nicht mehr vorhanden», betont Sprecher Christoph Hug.

Harsche Kritik

Bauernvertreter indessen bestreiten dies vehement: «Milchlieferanten aus der Region erklären, sie seien gewillt, mehr Milch zu verkaufen», sagt Stephan Hagenbuch, stellvertretender Direktor des Verbands der Schweizer Milchproduzenten (SMP). Es sei falsch, wenn argumentiert werde, die Milchversorgung in der Schweiz sei zu gering.

Ins gleiche Horn stösst der Bauernverband. «In diesem Jahr wurden 60 Millionen Kilogramm Milch aus dem Markt herausgekauft und zu tiefen Preise auf den internationalen Märkten veräussert», sagt Martin Rufer, Leiter Produktion, Märkte und Ökologie beim Verband. Vor diesem Hintergrund zu sagen, es sei zu wenig Milch vorhanden, entbehre jeglicher Grundlage.

Rufer wirft Hochdorf vor, das Instrument des aktiven Veredelungsverkehrs zu missbrauchen, um Preisdruck zu erzeugen: «Den Bauern wird gedroht, dass man die Milch im Ausland einkauft, wenn sie ihre Milch nicht zu EU-Preisen verkaufen.» Damit werde dem Milchpreiszerfall Vorschub geleistet.

Verständnis für Bauern

Das Bundesamt für Landwirtschaft sieht das ähnlich. In einer Stellungnahme an die Zollverwaltung heisst es, dass es «nach unserem Stand des Wissens» genügend einheimische Milch habe, die zu einem bedeutend tieferen Preis als vor einem Jahr beschafft werden könne. Sollte die Branche zu einem anderen Schluss kommen, könne die Bewilligung erteilt werden.

Dabei zeigt sich, dass das Vopreschen von Hochdorf selbst innerhalb der Milchverarbeitungsbranche umstritten ist. Lorenz Hirt, Geschäftsführer des Verbands der Milchindustrie, erklärt auf Anfrage, er wolle sich neutral verhalten und könne deshalb keine Auskunft zum Fall geben.

Ein Kadermann eines anderen Milchverarbeiters äussert derweil viel Verständnis für die Kritik der Bauern. Der Milchpreis sei schon tief genug. Da sei es unnötig, mit der Einfuhr ausländischer Milch dem Preiszerfall weiter Vorschub zu leisten.

Hochdorf winkt ab

Laut Hochdorf sind diese Befürchtungen haltlos. Die eingeführte Milch habe auf den Schweizer Milchmarkt praktisch keinen Einfluss. «Wir kaufen deswegen nicht mehr und nicht weniger Schweizer Milch und zahlen keinen höheren und keinen tieferen Preis», so Unternehmenssprecher Hug.

Bei der eidgenössischen Zollverwaltung wollte man derweil keine näheren Angaben zum Gesuch machen, da es sich im Sinne des Öffentlichkeitsgesetzes um ein Geschäftsgeheimnis handle.