In den kommenden zehn Jahren gehen die Babyboomer in Rente – jene Generation, die nach dem Zweiten Weltkrieg bis Mitte der sechziger Jahre geboren ist. Sie machen heute 10 Prozent aller Schweizer Arbeitskräfte aus.

Das sei eine Riesenchance für mehr Frauen in Führungspositionen, sagt Alkistis Petropaki, Leiterin von Advance – Women in Swiss Business, einer Vereinigung zur Unterstützung von Frauen in Führungspositionen.

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Ein Drittel der männlichen Führungskräfte in der Schweiz ist über 50 Jahre alt, während 80 Prozent der Frauen im Management jünger sind. Wenn erstere in den nächsten Jahren in Pension gehen, stehen die Frauen in den Startlöchern: Bereits heute sind Frauen mit 36 Prozent im unteren Kader vertreten.

Gender Intelligence Report

Dennoch gibt es viel zu tun. Über alle Führungsebenen hinweg liegt der Frauenanteil in der Schweiz bei rund einem Drittel. Dieses Gesamtbild deckt sich ungefähr mit den Erkenntnissen, welche die Organisation Advance und die Universität St. Gallen in ihrem jüngsten «Gender Intelligence Report» gewonnen haben.

Sie haben rund 300 000 Mitarbeiterdaten von 75 Unternehmen ausgewertet. Demnach sind im Topmanagement nur noch 18 Prozent weiblich, obwohl die Belegschaft zur Hälfte aus Frauen besteht. Das heisst, Frauen stehen beim Aufstieg in höhere Positionen vor grossen Hürden.

Weniger Beförderungen von Frauen

Ein Hauptgrund: Nur 37 Prozent der Frauen in den teilnehmenden Firmen werden überhaupt befördert. Denn in den entscheidenden Jahren für die Karriere zwischen dreissig und vierzig gründen viele Frauen eine Familie, die meisten reduzieren dann das Arbeitspensum, weil Kinderbetreuung heutzutage in der Schweiz immer noch vorwiegend den Frauen zufällt.

Damit seien sie weniger sichtbar im Unternehmen und bei Beförderungen klar im Nachteil gegenüber ihren männlichen Kollegen, so die Studienautorinnen. Gerade in Führungspositionen sei es unüblich, in Teilzeit zu arbeiten: Das Arbeitspensum im Management liege durchschnittlich bei 99 Prozent für Männer und 94 Prozent für Frauen, erklärt Ines Hartmann, Projektleiterin an der Forschungsstelle für Internationales Management der Universität St. Gallen und Co-Autorin des Berichts.

«Beförderungen sind ein wichtiger Hebel für mehr Geschlechtervielfalt in der Führung», sagt Alkistis Petropaki. Doch viele Unternehmen tun sich dabei schwer. Damit es nicht beim Lippenbekenntnis in Sachen Gleichstellung bleibt, empfehlen die Studienautorinnen den Unternehmen konkrete Beförderungsziele für einen bestimmten Frauenanteil über alle Managementebenen hinweg.

Flexible Arbeit für alle

Ein Schritt in Richtung Gleichstellung wäre, wenn nicht erwartet würde, dass Führungspersonen ausschliesslich Vollzeit arbeiten. Allerdings ist das Arbeitspensum nur ein Teil des Problems. «Viel wichtiger sind Massnahmen, die es Frauen mit Kindern ermöglichen, im Arbeitsleben zu bleiben, etwa durch flexibles Arbeiten oder durch die Aufteilung der Familienarbeit zwischen beiden Partnern», sagt Petropaki. Flexible Arbeit für alle schaffe für Männer und Frauen die gleichen Ausgangsbedingungen bei Beförderungen.

Die Realität sieht jedoch häufig anders aus: In vielen Schweizer Unternehmen herrscht immer noch eine starke Präsenzkultur. Solange Leistung nicht an Ergebnissen gemessen wird, sondern an der Präsenz der Mitarbeitenden, wird sich daran nicht viel ändern.

«Wir haben die einmalige Chance, mehr Diversität in Unternehmen zu erreichen.»

Alkistis Petropaki, Leiterin von Advance

Dass sich diese Kultur allmählich wandelt, hat die Corona-Pandemie gezeigt: Flexibles Arbeiten und Homeoffice haben sich bewährt. Der Wandel zu flexiblen Arbeitsformen wurde durch die Pandemie beschleunigt, bestätigt Ines Hartmann und hofft, dass die Firmen sie in Zukunft beibehalten werden. Laut einer Umfrage von Syndicom sind neun von zehn Schweizer Angestellten zufrieden mit dem Homeoffice und wollen nicht darauf verzichten – zumindest als Ergänzung.

Commitment von ganz oben

Ohne das Engagement von CEO und Geschäftsleitung geht es nicht. «Sie müssen das Thema ernst nehmen und Vorbilder sein, nur so kann sich etwas verändern», sagt Hartmann. Gleichstellung müsse Teil der Unternehmensstrategie sein und nicht ein «Nice to have».

Anders als bei Beförderungen machen die meisten Firmen Fortschritte, was den Frauenanteil bei der Rekrutierung und Mitarbeiterbindung angeht. Das liegt vor allem daran, dass im Einstellungsprozess mehrere Personen beteiligt sind, während meist nur Chefs oder eine Kaderperson über Beförderungen entscheidet. Die Gefahr des «Unconscious bias», das heisst der Befangenheit, und sei sie auch nur unbewusst, sei dadurch viel grösser.

Kulturwandel in Wirtschaft und Gesellschaft

Letztlich brauche es sowohl in der Gesellschaft als auch in der Wirtschaft einen Kulturwandel. Jene Firmen, die es geschafft haben, die gläserne Decke abzuschaffen, haben diesen Kulturwandel hinter sich. Wichtig dabei: Diversität dürfe nicht als «Frauenthema» verstanden werden. Bei der Gleichstellung geht es nicht darum, Frauen zu helfen. Es geht um ein neues Gesellschaftsmodell, in dem alle profitieren. «Erst wenn Männer erkennen, dass sie genauso viele Vorteile von der Gleichstellung haben, kommen wir vorwärts», sagt Petropaki.

Seit dem ersten «Gender Intelligence Report 2017», den die Universität St. Gallen und Advance jährlich durchführen und an dem immer mehr Unternehmen teilnehmen, hat sich etwas getan: Im Topmanagement ist der Frauenanteil seither um 6 Prozent gestiegen.

Drei Firmen durchbrechen die gläserne Decke

Um die Fortschritte noch anschaulicher zu machen und den teilnehmenden Firmen ein Instrument an die Hand zu geben, haben die Studienautorinnen nun eine Art Gradmesser lanciert. Der Gender Maturity Compass zeigt, auf welcher Stufe sich die Firmen in Sachen Geschlechtervielfalt befinden: Auf der ersten Stufe «We commit» wollen die Unternehmen etwas verändern – und hier befinden sich die meisten der teilnehmenden Unternehmen –, bis zur höchsten Stufe «We advance», auf die es immerhin drei Firmen schaffen. Sie haben die sogenannte gläserne Decke durchbrochen, das heisst, Männer und Frauen sind auf allen Hierarchieebenen gleich vertreten.

Diese Unternehmen werden aufgrund der anonymisierten Teilnahme an der Studie jedoch nicht genannt. Eine Reihe von Best-Practice-Beispielen zeigt allerdings, welche Unternehmen mit speziellen Programmen auf einem guten Kurs sind. Bei der ZKB etwa können Frauen einen Monat lang den Chefsessel «testen». Die Post bietet Jobsharing für Führungskräfte an und führt ab 2021 transparente Löhne in Stellenausschreibungen ein.

Chefsessel auf Zeit

Mehr Visibilität für Frauen 

Bei der Zürcher Kantonalbank liegt der Frauenanteil im Kader bei tiefen 22 Prozent – in der gesamten Belegschaft ist er doppelt so hoch. Die Bank hat erkannt, dass ihr dadurch grosses Potenzial verloren geht. Das will sich die ZKB nicht länger leisten und steuert nun dagegen. Im vergangenen Jahr hat die grösste Kantonalbank der Schweiz ein Programm lanciert, um Frauen in Führungsgremien sichtbarer zu machen. 

«Driver Seat» der ZKB 

Einen Monat lang können Mitarbeiterinnen im sogenannten Driver Seat erleben, was es heisst, Führungsverantwortung zu übernehmen. Zudem werden sie von der Stelleninhaberin oder vom Stelleninhaber gecoacht. Die ZKB will damit ihre Mitarbeiterinnen zum nächsten Karriereschritt ermuntern. 2019 nahmen sechzig Mitarbeiterinnen teil. Das Ergebnis: Acht haben seither eine neue Stelle im Kader.

Die Studienautorinnen sind sich bewusst, dass ihr Bericht nur bedingt repräsentativ für die gesamte Schweizer Wirtschaft ist, schliesslich nehmen nur Unternehmen teil, die sich das Thema Geschlechtervielfalt ohnehin schon auf die Fahnen schreiben. «Viele Firmen stehen noch am Anfang. Ihre Teilnahme an der Studie zeigt aber, dass sie etwas verändern wollen» Das decke sich nach Einschätzung von Ines Hartmann mit dem Bild in der hiesigen Wirtschaft.