Schon als die Buchung einging, hatte Hotelier Thomas Frei ein ungutes Gefühl. Der Gast machte in seiner Reservierungsmail unumwunden klar, dass er vor Ort im Viersternehotel Bernerhof in Gstaad ein Upgrade erwarte, obwohl er die günstigste Kategorie buchte. Frei lehnte ab.

Der Gast buchte dennoch, setzte bei seiner Ankunft aber gleich nach: Er werde hier unfreundlich behandelt und sei gewillt, auf TripAdvisor eine miserable Bewertung zu schreiben. Es sei denn, man gebe ihm eine Suite. «Wir blieben hart», sagt Frei, «und es gab dann tatsächlich eine sackschwache Bewertung.» Aber lieber kassiere er eine manipulierte Bewertung, als sich von einem Gast erpressen zu lassen.

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Bewertungsportale ersetzen den Testkauf

Sie heissen TripAdvisor, Booking.com, Yelp oder HolidayCheck. Sie sind die neuen Grössen im Tourismusgeschäft, das ein weltweites Volumen von rund 1,3 Billionen Franken hat. In wenigen Jahren haben sich die Portale zu mächtigen Plattformen für die Urlaubsplanung entwickelt – und das wollen einige Reisende eiskalt ausnutzen.

Kaum ein Ferienhotel, das nicht mit seiner guten Einstufung auf TripAdvisor wirbt. Die Bewertung mit dem Eulensymbol ist heute mindestens so wichtig wie die Sterneklassifizierung der offiziellen Tourismusverwaltung. «Bewertungen wie jene auf TripAdvisor haben für Nutzer eine Relevanz, denn sie ersetzen quasi den Testkauf eines Produkts», urteilt Christian Laesser, Professor für Tourismus der Universität St. Gallen. Ein gutes oder ein schlechtes Ranking schlägt sich auch direkt auf die Umsätze eines Hotels nieder: «Dank guter Bewertungen können Hotels in der Tendenz etwas höhere Preise verlangen.»

Viele Manipulierer auf Onlineportalen

Erhebungen aus Europa und den USA zeigen, dass sich 50 bis 60 Prozent der Onlinebucher von Bewertungen beeinflussen lassen. Acht von zehn Reisenden beginnen die Suche nach einer Unterkunft auf Google, wo wiederum in den obersten Rängen der Suchresultate die gängigen Internetportale erscheinen.

Doch zuletzt häuften sich Klagen über unseriös verfasste oder gar gekaufte Bewertungen. Was taugen also die Einträge auf TripAdvisor, bei denen nicht sicher ist, ob der Autor wirklich je im Restaurant gespeist oder im Hotel genächtigt hat? Experten mahnen zur Vorsicht: Die Bewertungen seien nicht repräsentativ, zudem sei das Portal anfällig für Manipulationsversuche.

Experte empfiehlt die Profis

Schon eine Stichprobe bei Zürcher Restaurants zeigt, dass Nutzer Onlinekritiken nicht blind vertrauen sollten. Das mit einem «Michelin»-Stern und 15 «Gault Millau»-Punkten ausgezeichnete «Mesa» im Kreis 6 wird auf TripAdvisor gerade mal auf Platz 58 der besten Zürcher Lokale im gehobeneren Segment aufgeführt. Unter den 211 Bewertungen finden sich 22 in den Kategorien «befriedigend» bis «ungenügend».

Der Gambero rosso 
habe ihm eine «Lebensmittelvergiftung» beschert, klagt User Remo B. und verpasst dem Feinschmeckerlokal im September 2016 ein «mangelhaft». Sein Fazit: «Eine Riesenfrechheit bei den Preisen!» Da nützt auch die Antwort des «Mesa»-Teams nichts, dass andere Gäste, die dasselbe Gericht gegessen hatten, keine Klagen geäussert hätten. Der vergiftete Eintrag blieb auf TripAdvisor.

«Solche Beiträge sind verantwortungslos und können geschäftsschädigend sein», sagt der unabhängige Foodblogger und Journalist David Schnapp. Gerade beim «Mesa», das er gut kennt, entsprächen viele Einträge nicht der Realität. Bei den Onlinebewertungen stellt er fest, «dass viele User schnell an ihre Grenzen kommen, wenn sie ein Lokal bewerten wollen». Gastrokritik sei um einiges komplexer als die Wertung einer Uber-Fahrt. Entsprechend seien die Beliebtheitslisten auf den Portalen alles andere als repräsentativ. Es sind letztlich nicht die kulinarisch anspruchsvollsten Lokale, die in den Vergleichsportalen die besten Bewertungen erhalten, sondern meist jene mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis.

Und je mehr Bewertungen ein Lokal hat, desto glaubwürdiger ist das Resultat. Bei Yelp wurden die zehn angeblich besten Lokale Zürichs im Schnitt nur gerade 56-mal bewertet. Beim Branchenführer TripAdvisor sind es immerhin 630 Einträge. Für den Kulinarikexperten macht aber auch das den Braten noch nicht feiss. Darum David Schnapps Fazit: «Onlinebewertungen sagen wenig über die Qualität aus.» Stattdessen empfiehlt er den Blick in die grossen Restaurantführer: «Deren Autoren arbeiten mit genau definierten Kriterien.»

Ersatz für Inserate

Dazu kommt das Problem der Transparenz: «Ich sehe nur in Einzelfällen, wie viele Nächte ein Gast in einem bewerteten Hotel übernachtet hat oder wie oft er in einem Restaurant gegessen hat», sagt Tourismusprofessor Laesser. Daher zweifelt auch er an der Qualität solcher Websites: «Aussagekräftig wären systematische Bewertungen von regelmässigen Hotelgästen. Doch die machen sich in der Regel nicht die Mühe, eine Analyse zu schreiben. Daher stammt eine Vielzahl der Wertungen von der Grossmehrheit der Menschen, die eher selten in Hotels übernachten.»

Daniel Lauber hat dagegen kein Problem mit Bewertungsportalen. Der Gastgeber im Zermatter Fünfsternehotel Cervo zählt auf seinem TripAdvisor-Profil stolze 599 Rückmeldungen, 90 Prozent davon tragen das höchste Label «ausgezeichnet». «Es gibt für uns keine bessere Gratiswerbung», schwärmt Lauber. «Dank den narzisstischen Neigungen der Menschen muss ich keine Inserate mehr schalten.»

Problematischer sei die Tatsache, dass Konkurrenten einander schlechte Kritiken schreiben könnten, ohne im Hotel übernachtet oder im Restaurant gegessen zu haben. Von solchen Fällen habe er mehr als einmal gehört. Im Gegensatz zu TripAdvisor erlaubt das Buchungsportal Booking.com Bewertungen nur, wenn man auch gebucht und bezahlt hat. TripAdvisor kann sich eine solche Limitierung nicht leisten. Das Unternehmen ist von der Masse abhängig. Sprecherin Pia Schratzenstaller verteidigt diese Politik: «Wir halten an dem Prinzip fest, dass nicht nur derjenige bewerten soll, der bei einem Restaurant die Rechnung bezahlt hat. Jede Erfahrung zählt.» Ferner gebe es keinerlei Hinweise dafür, dass Kritiken bei geschlossenen Plattformen verlässlicher seien.

Aus eigenem Interesse

In der Gastrobranche kommt jedenfalls kaum jemand am US-Riesen vorbei: Rund 435 Millionen Bewertungen in 28 Sprachen bietet heute TripAdvisor, jede Minute kommen 280 neue Restaurant- oder Hotelkritiken dazu. Gegründet hat das Unternehmen im Jahr 2000 der Harvard-Informatiker Stephen Kaufer mit neun Mitstreitern. Die Idee zu dem Bewertungsportal war Kaufer bei der Planung eines Mexiko-Urlaubs 1998 gekommen. Beim Vergleich zwischen Ferienkatalogen und Bildern im Internet stellte er fest, dass seine Wunschdestination in Wirklichkeit ganz anders aussah als in den Hochglanzprospekten. Also fing Kaufer an, auf TripAdvisor Nutzererfahrungen zu sammeln.

Heute ist das Unternehmen an der Börse 7,6 Milliarden Dollar wert und erwirtschaftet pro Jahr rund 1,5 Milliarden Dollar Umsatz. Die wichtigste Einnahmequelle sind klickbasierte Erträge von Buchungsplattformen. Sucht ein Nutzer ein Hotel in Zürich oder Hamburg, erscheinen in der Auflistung gleich die Preise, die Buchungsplattformen wie Booking.com, Expedia oder HRS für das fragliche Zimmer verlangen. Sprich: TripAdvisor ist auch eine Meta-Suchmaschine. Die Buchungsplattformen bieten dabei um die beste Platzierung bei der Anzeige der Suchergebnisse: Wer am meisten bietet, bekommt die beste Platzierung. Fast die Hälfte des Umsatzes von TripAdvisor steuern auf diese Weise die grossen Buchungsplattformen Expedia und Priceline – die Mutter von Booking.com – bei.

TripAdvisor hinkt hinterher

Das grosse Geld im Tourismusgeschäft wird aber mit den Buchungen gemacht. Daher ist Priceline mit fast 78 Milliarden Dollar Börsenwert rund zehnmal so wertvoll wie TripAdvisor. Das Bewertungsportal will sich nun sein Stück vom Buchungskuchen abschneiden und bietet seit zwei Jahren «Instant-Booking» an: Der Reisende kann damit direkt seine Buchung auf TripAdvisor abschliessen. Tatsächlich wird er dabei auf die Plattformen von Booking.com oder Expedia umgeleitet, merkt es aber nicht mehr.

Statt Einnahmen pro Klick bekommt TripAdvisor bei Instant-Booking eine Kommission von bis zu 15 Prozent von den Buchungsplattformen. Die verschärfte Konkurrenz der Reiseportale merkt auch TripAdvisor, so sind die Umsätze in den ersten neun Monaten 2016 leicht rückläufig gewesen.

Fake-Bewertungen sind ein Problem

Den wichtigsten Input, die Bewertungen, bekommt TripAdvisor nach wie vor gratis von den Nutzern. Je wichtiger aber Onlinekritiken werden, desto stärker rückt das Thema Manipulation in den Fokus. Exakte Zahlen dazu gibt es nicht. Die französische Verbraucherschutzbehörde DGCCRF warnte 2014 in einer Studie, dass bei knapp einem Drittel der Nutzerbewertungen im Internet etwas nicht stimme – Tendenz steigend. Das Fazit der Behörde bezieht sich dabei nicht nur auf die Reisebranche, sondern auf Onlinekritiken aus allen Sektoren, also etwa Modehandel, Elektroversand oder Autos.

Aber auch TripAdvisor hatte wegen Fake-Bewertungen schon Ärger: So verdonnerte 2014 die italienische Kartellbehörde TripAdvisor zu einer Busse von 500 000 Euro, da das Bewertungsportal nicht strikt genug gegen gefälschte Bewertungen vorgegangen war.

Mehrstufige Prüfung

TripAdvisor wehrt sich: «Neue Bewertungen werden rigoros geprüft», sagt Sprecherin Schratzenstaller. Die erste Prüfung verlaufe automatisiert. Dabei analysiert eine Software das Surfverhalten des Autors einer Bewertung auf der TripAdvisor-Seite. Stellt das System hierbei Abweichungen zum typischen Surfverhalten eines normalen Kritikautors fest, spuckt es die Bewertung als verdächtig aus. Dann schaut sich ein Mitarbeiter des Integritätsteams die verdächtige Bewertung genauer an. Rund 300 Mitarbeiter sind hiermit beschäftigt. «Allein 2015 haben wir dank unserer Prüfung 30 Unternehmen, die Optimierung der E-Reputation anbieten und gefälschte Bewertungen verkauften, aus dem Verkehr ziehen können», sagt die Konzernsprecherin.

Wie viele Fake-Bewertungen TripAdvisor jedes Jahr lösche, dazu macht sie keine Angaben. Aufmerksame Nutzer werden an mehreren Mustern erkannt. Sind innert kurzer Zeit sehr viele positive oder negative Rückmeldungen eingegangen, ist Vorsicht geboten. Ebenso bei allzu knappen oder langen Bewertungen. Wo anonym kritisiert werden kann, ist Skepsis angebracht.

Zeitalter des Bewertungswahnsinns

In den grösseren Tourismusregionen haben die Hoteliers und Gastronomen den Umgang mit Onlinebewertungen längst gelernt. Viele Hoteliers beziehen gesammelte Bewertungen von der deutschen Gästefeedback-Plattform TrustYou, die nach eigenen Angaben für 500 000 Hotels jede Woche über drei Millionen Gästebewertungen, Fragebögen und Social-Media-Einträge im ganzen Netz sammelt und analysiert. Die Gesamtbewertungen sind ebenso für Nutzer sichtbar, die nach einem Hotel suchen.

Auch der Gstaader Hotelier Thomas Frei hat ein TrustYou-Abo. Man könne es sich heute nicht mehr leisten, den Anschluss zu verlieren, sagt er: «Wer im Internet schlecht bewertet wird, fällt raus. Das ist eigentlich auch gut so.» Besser wäre zwar, man könnte miteinander reden, so wie früher. «Aber wir sind nun halt im Zeitalter des Bewertungswahnsinns.»