Wie stark beschäftigt die Corona-Krise die Finanzmärkte?
Nun ja, im Augenblick beschäftigen sich die Märkte neben der Frage nach dem epidemiologischen Verlauf der Pandemie vor allem mit jener nach dem Einfluss der Lockdowns und der Veränderungen im globalen Wirtschaftsgefüge auf die Unternehmensgewinne.

Vergessen wir eines nie: dass an den Finanzmärkten alles mit allem zusammenhängt. Die Corona-Krise läutete dieses Jahr eine neue Ära der Geld- und Fiskalpolitik ein. Sie bewirkte, dass Geld- und Fiskalpolitik in Zukunft nicht mehr unabhängig voneinander gedacht werden können. Und sie erklärt, weshalb die Leitzinsen und Kapitalmarktrenditen wohl noch lange tief bleiben werden.

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Die Corona-Krise läutete dieses Jahr eine neue Ära der Geld- und Fiskalpolitik ein.

Das wiederum hat zwei wichtige Folgen für die Märkte: Erstens bringt der Rückgang von Zinsen und Renditen vor allem institutionelle Anleger in Bedrängnis. Sie müssen eine vergleichsweise hohe Rendite erwirtschaften, was angesichts negativer Realzinsen auf Staatsanleihen deutlich schwerer wird. Wohl deshalb werden in Zukunft Umschichtungen aus Anleihen in Aktien eine verlässliche Marktstütze sein – in guten und in schlechten Zeiten.

Zweitens hat die «neue Geldpolitik» über den Rückgang der Leitzinsen die Bewertung von praktisch allen Anlagen erhöht. Wie geht es weiter? Nun, eine rasche Fortsetzung der wirtschaftlichen Erholung dürfte den Aktien nützen, den Obligationen hingegen nicht. Das Gegenteil könnte eintreten, falls die zweite Welle erneut ein globales Lockdown-Domino auslöst. Sie sehen: Corona bleibt weiterhin das Top-Thema der Märkte.

Burkhard Varnholt

Burkhard Varnholt ist Anlagechef der Swiss Universal Bank und Vize-Chef des Global Investment Committee der Credit Suisse.

Quelle: ZVG

Wie wird sich die Schweizer Börse kurzfristig entwickeln?
Die Schweizer Börse ist für internationale Anleger überdurchschnittlich attraktiv. Denn sie verbindet defensive mit zyklischen Qualitäten, zählt neben Weltmarktführern und einem attraktiven Branchen-Mix starke «hidden champions».

Kommt dazu, dass der Franken auch 2021 die stärkste Währung der Welt bleiben dürfte. Doch, was sie strukturell attraktiv macht, schützt sie nicht vor Rückschlägen.

Kurzfristig und global bereiten die Pandemie, Lockdowns, die singulären Risiken aus Politik und globalen Konflikten einen Cocktail, der im vierten Quartal zur Zurückhaltung gemahnt. Die Antwort auf Ihre Frage hängt also vom Zeithorizont ab. Wer freie Liquidität für mehrere Jahre investieren kann, der sollte den Grundsatz beherzigen, dass die Zeit im Markt wichtiger ist als Timing des Marktes. Wer hingegen den schnellen Gewinn sucht, der sollte besser auf die nächste Krise warten.

Wo steht der SMI in zwölf Monaten?
Auf den Punkt genau weiss ich das ebenso wenig wie Sie. Aber wenn Ihre Frage auf die Richtung abzielt, dann antworte ich, dass er ein schönes Stückweit höher stehen wird als heute.

Denn die Zinsen bleiben tief, die Gewinnerholung setzt sich fort und der Anlagenotstand lässt wenig Alternativen. Und weil ich Ihrer Frage nicht ausweichen will, nenne ich Ihnen nun doch unser aktuelles SMI-Kursziel: es lautet 10’870. Let’s see...

Sie halten deutsche, chinesische und taiwanesische Aktien aktuell für besonders attraktiv. Aus welchen Gründen?
Betrachten Sie die zwei Märkte im Kontext. Sie sind unterschiedlich und doch haben Sie Gemeinsamkeiten. Nordasien ging als erste Region in die Krise hinein und kam als erste erfolgreich aus ihr heraus.

In China, Taiwan und Südkorea läuft die Wirtschaft wieder stark, die Epidemie ist weitgehend unter Kontrolle und die börsenkotierten Unternehmen wachsen mit vergleichsweise günstigen Bewertungen. Darüber stimuliert in China die Administration die Börse und auch ein starker Remnimbi liegt in ihrem Interesse. Internationale Anleger sind in diesen Märkten untergewichtet, doch das dürfte 2021 ändern. Nicht zuletzt, weil ihr Gewicht in den globalen Kapitalmarktindizes wächst.

Deutsche Aktien hingegen sind oft «Value»-Titel, doch sie sind zugleich sehr stark konjunkturzyklisch. Beides gefällt uns. Die Gewinn- und Dividendenrendite aber auch die tiefen Bewertungen sind attraktiv, ergeben gerade im Kontext mit unserer Präferenz für Nordasien eine gute Portfolio-Diversifikation.

Deutsche Aktien sind oft «Value»-Titel, doch sie sind zugleich sehr stark konjunkturzyklisch. Beides gefällt uns.

Der Schweizer Immobilienmarkt ist bei Anlegerinnen beliebt. Gibt es andere europäische Immobilienmärkte, die Sie für Investitionen empfehlen können – und wie sollte man dabei vorgehen?
Wichtig bei Immobilien sind immer die Nutzung, die Lage, die Finanzierung, die Bewertung und das Verhältnis von Angebot zu Nachfrage. Der deutsche Immobilienmarkt, vor allem in den sechs grössten Ballungszentren ist recht attraktiv.

Denn das Angebot ist vergleichsweise gering, was politische Gründe hat. Die Nachfrage hingegen wächst seit Jahren aus ähnlichen Gründen wie in der Schweiz: Das Bedürfnis nach mehr Wohnfläche, die günstige Finanzierung – insbesondere im Vergleich zur Miete und eine stetige Zuwanderung.

Das tiefe Zinsniveau in Deutschland ist ein weiterer Faktor, welcher nicht nur Bewertungen stützt, sondern auch die institutionelle Nachfrage fördert. Zugleich müssen Anleger bei Immobilienanlagen jeweils beachten, über welche Rechtsform sie investieren.

Offene Fonds, die zum inneren Wert handeln, weisen deutlich weniger Volatilität auf als geschlossene Immobilienfonds, die oft starke Abweichungen zwischen Börsenkurs und innerem Wert kennen.

Der deutsche Immobilienmarkt, vor allem in den sechs grössten Ballungszentren ist recht attraktiv.

Der Schlussspurt des Börsenjahrs 2020 beginnt. Welche drei Schweizer Titel dürften sich besonders stark entwickeln – und von welchen drei Aktien raten Sie ab?
Gute Frage. Also die Aktien von Georg Fischer und auch von Schindler haben gutes Potenzial. Als Industrie-Werte sind sie Konjunktur-sensitiv, es sind hervorragend geführte Unternehmen und ihre Bewertung bietet noch Raum nach oben. Zudem sollte man Schweizer Immobilien nicht unterschätzen.

Die PSP Swiss Property Aktien profitieren von den nochmals günstigeren Finanzierungskonditionen, der unvermindert starken Nachfrage nach Wohn-Immobilien und einem attraktiv bewerteten Portfolio. Meiden würden wir hingegen Aktien der VZ Group, der Adecco Group und von Aryzta.

Wagen wir einen Ausblick auf 2021: Gibt es bereits Signale, an denen sich eine wirtschaftliche Prognose ableiten lassen?
Ja. Wir sehen klare Zeichen einer globalen wirtschaftlichen Erholung im 2021. Natürlich: die zweite Pandemie-Welle wird die Wirtschaft vielerorts zurückwerfen.

Aber das ist noch kein Grund für Pessimismus. Denn erstens sollten die gezielten Massnahmen helfen, chronische Probleme zu vermeiden. Zweitens werden Geld- und Fiskalpolitik erneut die wirtschaftlichen Kosten abfedern. Und die starken Gewinnerholungen im abgelaufenen, dritten Quartal haben belegt, wie tiefgreifend Unternehmen ihre Geschäftsmodelle, Kosten und Wertschöpfungsketten den neuen Umständen angepasst haben.

Glücklicherweise ist die aktuelle, zweite Welle auch nicht mehr so global synchron wie im ersten Quartal und die hohen Ersparnisse von Privathaushalten sprechen für eine kräftige Erholung, wenn Konsumenten wieder Vertrauen in eine Normalisierung ihres Arbeitslebens haben.

Das Interview wurde schriftlich geführt.