Wie stark beschäftigt die Corona-Krise die Finanzmärkte?
Die Corona-Krise mit all ihren Nebenwirkungen ist Thema Nummer 1 unter Anlegern – und das dürfte auch noch länger so bleiben. Ironischerweise hat sie wahrscheinlich einen globalen Bullenmarkt für Aktien ausgelöst. Denn Vorsorgewerke werden in Zukunft Umschichtungen aus Anleihen in Aktien vornehmen, die Zinsen bleiben tief und die Weltwirtschaft erholt sich. Diese Kombination stützt die Aufwärtsbewegung globaler Aktien, auch wenn sich das Tempo natürlich normalisieren wird.

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Burkhard Varnholt

Burkhard Varnholt ist Anlagechef der Swiss Universal Bank und Vize-Chef des Global Investment Committee der Credit Suisse.

Quelle: ZVG

Wie wird sich die Schweizer Börse kurzfristig entwickeln?
Kurzfristig könnten noch einige Herbstwinde durch die Börsen wehen. Die US-Wahlen, Geopolitik, die Pandemie und das Risiko von Insolvenzen beim Auslaufen der Fiskal-Stimuli sind augenscheinliche Risiken. Wir haben unsere Aktienquote vor diesem Hintergrund auf unsere strategische Gewichtung angepasst und würden aktuell keine zusätzlichen Risiken eingehen.

Wo steht der SMI in zwölf Monaten?
Diese Frage habe ich erwartet. Es ist ein bisschen wie Kaffesatzlesen, aber ok – unsere Annahme lautet 11'060 Punkte. Mein Grossvater antwortete mir früher auf solche Fragen regelmässig mit dem Sprichwort: «Kräht der Hahn auf dem Mist, dann ändert das Wetter oder bleibt, wie es ist.»

In der Ölindustrie scheinen sich zwei Lager zu bilden: Während europäische Ölkonzerne wie Shell, BP, Total und Eni auf erneuerbare Energien setzen, investieren US-Hersteller wie Exxon und Chevron weiter in neue Ölvorkommen. Welche Strategie ist für Anleger attraktiver?
Die Umstellung auf erneuerbare Energien bleibt ein zentrales Thema der globalen Energiepolitik. Viele Fiskalstimulus-Pakete bezwecken deren aktive Unterstützung. Wer früher umdenkt, wird langfristig die Nase vorn haben. Die CO2-Reduktions-Ziele der erwähnten europäischen Ölkonzerne betrachten wir als strategische Wettbewerbsvorteile der Zukunft. Diese werden den Marktkapitalisierungen und damit auch Anlegern helfen. Kurzum: Wir präferieren die Nachhaltigkeits-orientierten Energie-Konzerne.

Ex-Topbanker Oswald Grübel sagt im Interview mit der Handelszeitung das Ende des Euro in seiner heutigen Form voraus. Teilen Sie die Meinung Grübels – oder glauben Sie an eine Zukunft der EU-Einheitswährung?
Klar war der Euro eine unglückliche Konstruktion. Der Maastrichter Vertrag wurde in keinem einzigen Jahr von allen Mitgliedsstaaten eingehalten. Das macht den Solidaritätsgedanken politisch so unbeliebt. Die Eurozone war noch nie ein homogener Wirtschaftsraum. Deshalb wurde das «Projekt Euro» nicht zu dem erhofften Friedensstifter, sondern zu einem Spaltpilz. Aber: Ob man ihn mag oder nicht – der Euro ist eine nur äusserst schwierig aufzulösende Schicksalsgemeinschaft. Seine Auflösung würde eine wirtschaftliche, soziale und politische Katastrophe auslösen.

Sie verfolgen die wirtschaftliche Entwicklung in Afrika. Gibt es afrikanische Börsen, die auch für Schweizer Anleger attraktiv sein könnten?
Ich glaube an Afrika. Der Kontinent wird eines Tages wirtschaftlich auf eigenen Beinen stehen. Aber das ist ein langer Weg, der mit Governance, Bildung, Kapitalinvestitionen und Infrastruktur zu tun hat. Obwohl es 23 afrikanische Börsen gibt, sind über 80 Prozent der Marktkapitalisierung in Südafrika konzentriert, wo die Wirtschaft aktuell unter den Lockdowns leidet. Erfolgreiche Afrika-Investoren sind meist mit beiden Füssen auf dem Boden, kennen ihr Umfeld und managen ihre Investments persönlich.

Die US-Präsidentschaftswahlen rücken näher. Wie wichtig ist der Entscheid für die Entwicklung von Börsen und Wirtschaft in den USA im kommenden Jahr?
Ein Sprichwort behauptet, dass das etwa so relevant sei wie der Unterschied zwischen Coca Cola und Pepsi Cola. Tatsächlich hat der S&P 500 seit 1932 während den sechs demokratischen Präsidentschaften (insgesamt 48 Jahre) durchschnittlich jährlich 10,5 Prozent und während den sieben republikanischen Präsidentschaften (insgesamt 39 Jahre) 6,9 Prozent zugelegt. Aber Hand aufs Herz: Wahrscheinlich hatten diese Entwicklungen mehr mit Gewinnwachstum und weniger mit Präsidialentscheiden zu tun.

Das Interview wurde schriftlich geführt.