Die Schweiz hat Grund zur Freude: Sie hat ihren Titel als Weltmeister souverän verteidigt. Zum vierten Mal in Folge kann sie den Pokal in die Luft stemmen. Europameister ist sie sowieso schon seit langem. Das Land kann stolz sein.

Nein, die Rede ist nicht vom Eishockey und erst recht nicht vom Fussball, sondern von der Innovationsfähigkeit. Egal, welche Studie man anschaut, sei es «The Global Innovation Index» der Eliteuniversitäten Cornell und Insead zusammen mit der World Intellectual Property Organization, sei es das «Innovation Union Scoreboard» der Europäischen Kommission oder sei es sonst eine Erhebung: Fast immer schwingt die Schweiz obenauf, wenn es um Innovationsfähigkeit geht.

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Kein Land investiert mehr von seiner Wirtschaftsleistung in Forschungsausgaben, kein Land produziert mehr Nobelpreisträger pro Kopf der Bevölkerung, in keinem Land arbeiten Universitäten und Industrie bei der Entwicklung besser zusammen. «Die Schweiz ist immer auf der Shortlist, wenn ein Konzern ein neues Forschungszentrum errichten will», sagt Andrew Taylor, der beim Beratungsunternehmen The Boston Consulting Group (BCG) weltweit verantwortlich ist für Innovationsstrategien.

Alles bestens also?

Alles bestens also, man kann sich zurücklehnen? Leider nein. Denn aus der Schweiz kommen kaum disruptive Erfindungen – also jene Innovationen, die einen ganzen Markt auf den Kopf stellen und die eine entsprechend hohe Wertschöpfung generieren. Der Taximarkt wird gerade revolutioniert von US-Dienst Uber, die Musikbranche richtet sich neu aus am Streamingdienst Spotify aus Schweden, das Hotelleriebusiness wird von der amerikanischen Airbnb aufgemischt und nicht vom Schweizer Konkurrenten HouseTrip, der ein Jahr später startete. Dem Elektroauto hat Tesla zum Durchbruch verholfen, bei den selbstfahrenden Autos ist die Schweiz nirgends, anders als die USA oder Deutschland. Ähnlich sieht es aus bei 3-D-Druck oder Microgrids. Auch in die Vergangenheit liesse sich die Liste beliebig verlängern, von Smartphones über Gensequenzierung bis Social Media. Für die stolze Wirtschaftsnation Schweiz muss man weit in der Historie zurückgehen, um disruptive Innovationen zu finden: Valium in den 1960er Jahren, die Swatch in den 1980er Jahren, Nespresso in den 1990er Jahren.

Und auch wer sich die jüngste Liste der weltweit innovativsten Firmen anschaut, die BCG jedes Jahr erstellt, wird ernüchtert: Unter den Top 50 befindet sich nur ein einziges Schweizer Unternehmen, Nestlé auf Platz 44. Auf den vorderen Plätzen finden sich disruptive Firmen wie Apple, Google oder Amazon. Den hiesigen Konzernen, von ABB über Novartis und Roche bis zur Swatch Group, trauen die befragten 1500 CEOs offensichtlich kaum bemerkenswerte Innovationen zu. Auch auf der Watchlist jener Start-ups, die sich früh einen Namen als Innovator machen, findet sich keine Schweizer Firma.

Gefährdete Zukunft

Das gefährdet die Zukunft des Schweizer Wirtschaftsstandortes. «Disruptionen sind wesentliche Erfolgsbausteine für die Zukunft, weil sich die Welt immer schneller verändert», sagt Carsten Vollrath von der Unternehmensberatung Innovative Management Partner (IMP). Grenzen brechen auf, lange Zeit stabile Spielregeln gelten nicht mehr, plötzlich baut Google Autos und Apple Uhren. «Die Welt wird flüssig», nennt es Vollrath.

Er hat in einer Studie den Zusammenhang zwischen Wachstum und Innovation in Schweizer Firmen untersucht: «Der Grossteil der Schweizer Unternehmen setzt auf evolutionäre Innovationen, die auf eine Verbesserung des Bestehenden abzielen», sagt er. «Auf reifen Märkten kann das nicht jenen Differenzierungsgrad herbeiführen, der eine echte Wachstumsdynamik auslöst.» Denn inkrementell kann man sich nur verbessern, wenn das System stabil ist. «Die Unternehmen beschäftigen sich zu viel mit dem alten System», so seine Erkenntnis.

Das hat auch mit den Branchen zu tun, die in diesem Land stark sind: Industrie, Pharma und Chemie denken in langen Innovationszyklen, auch wegen der Lebensdauer der Produkte und der hohen finanziellen Mittel, die es für Neuentwicklungen braucht. Die Finanzindustrie bewegt sich traditionell ebenfalls nur sehr langsam.

Bekannt für Hidden Champions

Stark ist die Schweizer Wirtschaft besonders im B2B-Bereich. Disruptive Innovationen etwa bei Komponenten oder in Fertigungsmethoden werden jedoch weniger wahrgenommen als konsumentennahe Dienste wie Airbnb oder Uber. Novartis wurde vor zwei Jahren von der renommierten «MIT Technology Review» ausgezeichnet als eine der 50 disruptivsten Firmen weltweit – für einen neuen Herstellungsprozess, mit dem sich die Wirkstoffe von Präparaten schneller kombinieren lassen.

Und ABB sorgte vor knapp drei Jahren in Fachkreisen für eine Sensation, als es erstmals gelang, Gleichstrom-Hochspannungsübertragungen schnell und sicher zu unterbrechen – eine Grundvoraussetzung für das Stromnetz der Zukunft mit grossen Mengen erneuerbaren Energien. Von beiden Disruptionen hat das breite Publikum kaum etwas mitbekommen. Von anderen wohl auch nicht: Die Schweiz ist bekannt für ihre grosse Zahl an Hidden Champions – Weltmarktführern im Verborgenen.

Ein weiterer Grund: Die Schweiz ist exzellent, was die Grundlagenforschung angeht – auch wegen Institutionen wie der ETH, des Paul Scherrer Instituts oder des IBM-Forschungslabors Rüschlikon. Die Umsetzung der Erkenntnisse in konkrete Anwendungen gelingt aber nur mittelmässig. «Der Schweizer Markt ist häufig zu klein, um die kritische Grösse zu erreichen», sagt Martin Naville, CEO der Swiss-American Chamber of Commerce und Co-Autor diverser Wachstumsstudien. «Marktfähig wird eine neue Technologie dann oft anderswo.»

So bei der Logitech-Maus, die an der EPFL in Lausanne entwickelt wurde, ihren Durchbruch aber in den USA schaffte. Oliver Gassmann, Professor für Innovationsmanagement an der HSG, hat noch ein anderes Problem identifiziert: «Hierzulande werden wirtschaftlich tätige Professoren oft an den Medienpranger gestellt. Wir benötigen stärker eine Stanford-Mentalität. Dort sind unternehmerische Akademiker die Stars.»

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