Lange galt er als der rechte Querschläger der Partei, als Rechtsausleger, als Exponent der umstrittenen Stahlhelmfraktion innerhalb der CVP-Familie. Doch jetzt, am 23. April, soll Gerhard Pfister das Präsidium der CVP übernehmen. Und er freut sich, daran lässt er keinen Zweifel. Umso mehr, als es ein langer und nicht ganz hindernisfreier Weg an die Spitze der Partei war.

Pfister ist gerne Politiker, tagt gerne in Bern, tritt gerne auf der nationalen Politbühne auf. Und er hat genügend Kapazitäten dafür: Schon vor einigen Jahren hat der ehemalige Besitzer eines Internats dieses geschlossen und sich ein Leben als Profi-Verwaltungsrat aufgebaut – in Schulen, Kliniken, Immobiliengesellschaften und Stiftungen. Er hat also Zeit für die neue aufwendige Aufgabe, für all die Besuche in den über alle Landesteile verstreuten Parteisektionen, für Fernsehauftritte, Interviews und Treffen mit wichtigen Interessengruppen. Schon jetzt füllt sich sein Terminkalender, die freien Abende werden rar.

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Hoffnungsvolle Wirtschaftsverbände

Nebst den Delegierten der CVP wählen auch FDP und SVP im April einen neuen Präsidenten. Mit dem dreifachen Chefwechsel wird im bürgerlichen Lager alles neu. Doch keine Personalrochade stimmt die Wirtschaftsverbände so hoffnungsvoll wie die Stabübergabe bei der CVP, vom Walliser Ingenieur-Agronom Christophe Darbellay zu Pfister, der zwar Philosophie studiert, aber letztlich Karriere im Zuger Wirtschaftsmilieu gemacht hat.

«Ein Unterschied wie Tag und Nacht», sagt ein Verbandsexponent. Zuverlässig, verbindlich und wirtschaftsaffin: Das sind die Eigenschaften, die im Zusammenhang mit Pfister immer wieder genannt werden. Die Erwartungen sind also hoch. Und Pfister will sie nicht enttäuschen. Er möchte die CVP auf Bundesebene wieder stärker als Wirtschaftspartei positionieren, aus der CVP eine Art AWG machen, ein Pendant zur «Arbeitsgemeinschaft für Wirtschaft und Gesellschaft», wie der parteieigene Verein heisst, den Pfister präsidiert.

«CVP kann wieder freier entscheiden»

Vor allem aber will der designierte CVP-Präsident eines: seine Partei wieder eigenständiger positionieren. «Wir müssen vermehrt wieder machen, was wir wollen – und nicht, was die anderen gerne hätten», sagt Pfister. Die Zeiten sind vorbei, in denen sich die CVP vor allem auf ihre Funktion als Zünglein an der Waage beschränkte. Das verschaffte ihr zwar eine gemessen am Wähleranteil überproportional hohe Bedeutung, machte sie aber auch erpressbar.

Künftig ist die CVP nicht mehr schuld, wenn ein Anliegen von rechts keine Mehrheit findet: Denn SVP und FDP verfügen seit den eidgenössischen Wahlen im Oktober 2015 alleine über eine knappe Mehrheit im Nationalrat. Geht also etwas schief, dann müssen sie die Schuldigen in den eigenen Reihen suchen. «Eine Chance für die CVP», sagt Pfister. «Sie kann wieder freier entscheiden und geschlossener auftreten.»

Gewerbe und Industrie

Bei den beiden anderen bürgerlichen Parteien ist Kontinuität angesagt. Petra Gössi, die am 16. April an die Spitze der FDP gewählt werden soll, wird kaum etwas am Kurs ihres Vorgängers Philipp Müller ändern, umso weniger, als ihre Partei bei den letzten Wahlen erstmals seit 1979 wieder zulegen konnte. Davon gehen jedenfalls die meisten Politbeobachter aus, obschon die wenigsten Gössi kennen – mit Ausnahme der Exponenten aus dem Gewerbe- und dem Hauseigentümerverband, wo sie im Vorstand sitzt.

In ihrer ersten Legislatur hat sie nur einmal national für Schlagzeilen gesorgt: als sie als Vertreterin ihres Geberkantons zum zivilen Ungehorsam aufrief und vorschlug, dass Schwyz seine Zahlungen in den Finanzausgleich auf ein Sperrkonto einzahlen solle, bis Bundesbern seine Hausaufgaben gemacht habe. Diese Geschichte, ihr Pakt mit der SVP bei den Schwyzer Wahlen vom März sowie ihre kritische Haltung gegenüber dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte – all das zementierte das Bild einer rechten, konservativen, einzig an Steuerfragen interessierten Innerschweizerin.

Nicht aus der Ruhe zu bringen

Gössi lässt sich von solchen Vorurteilen nicht aus der Ruhe bringen. Für alles hat sie eine nüchterne Erklärung parat. Auch sonst gibt sich die Juristin unaufgeregt: Sie stellt sich nicht etwa als Unternehmerin vor, wie es so viele Politiker gerne tun. Sondern als «Angestellte» bei der Rechts- und Steuerberatungsfirma Baryon, die von Martin Wipfli gegründet und vom früheren FDP-Präsidenten Franz Steinegger präsidiert wird.

Und auch wenn sich ihr Arbeitsplatz im «Weissen Schloss» der «Zürich»-Versicherung am General-Guisan-Quai befindet, platziert zwischen dem Lebensversicherer Swiss Life und der Bank J. Safra Sarasin, sieht sich Gössi nicht als Vertreterin des Finanzplatzes. «Ich stamme aus einem gewerblichen Milieu und habe jetzt beruflich viel mit Industrieunternehmen zu tun», sagt sie. Ihre Eltern hatten ein Spenglereigeschäft, bei Baryon kümmert sie sich nebst anderen Mandaten um die börsenkotierte Beteiligungsgesellschaft Nebag, die unter anderem Anteile an der Büromaterialherstellerin Biella-Neher, am Kunststoffverpacker Plaston und an der Saftproduzentin Thurella hält.

Etwas mehr US-Flair

Freiheit und Eigenverantwortung, das sind für Gössi die Kernwerte. Und sie wünscht sich für die Schweiz etwas mehr US-Flair: dass man also auch mal eine Niederlage erleiden kann, ohne gleich abgestempelt zu werden. Bei neuen Gesetzen sollten zuvor immer Nutzen und Kosten abgewogen werden, sagt sie und verweist auf die Abzockerinitiative.

Die Diskussion um die exorbitanten Chefgehälter fand sie zwar richtig, die Lösung aber falsch. Auch weil damit die «Falschen» mitbestraft würden. Die Implementierung der Minder-Vorschriften könne ein Unternehmen 100 000 Franken kosten. «Und der Nutzen?» Laut Gössi tendiert er bei kleineren börsenkotierten Firmen gegen null. Deshalb ist sie skeptisch gegenüber allen neuen Regulierungsvorlagen sowie der in jüngster Zeit so beliebt gewordenen «Zeichen setzen»-Politik, die letztlich nie etwas bringe.

SVP setzt auf Linientreue

Auch die SVP setzt auf Linientreue. Die wichtigsten Botschaften des designierten Präsidenten Albert Rösti sind: die Unabhängigkeit der Schweiz bewahren, die Einwanderung senken sowie Steuern, Abgaben und Regulierungsdichte abbauen. Der Neue an der Spitze, der wie Pfister am 23. April das Zepter übernehmen soll, unterscheidet sich also kaum von Vorgänger Toni Brunner. Dennoch glauben manche Vertreter von Wirtschaftsverbänden, dass er kompromissfreudiger sei und insbesondere in der Europapolitik Abstriche machen werde.

Diese Hoffnung, die sich sehr schnell zerschlagen dürfte, hat Rösti mit seinem freundlichen Umgangston genährt. Zudem schreibt man ihm als Gemeindepräsidenten Exekutivqualitäten zu und mehr Offenheit wegen seiner Herkunft: Seine Berner SVP galt lange Zeit als eingemitteter als der Zürcher Flügel. Doch diese Zeiten sind längst vorbei. Spätestens seit der Gründung der BDP 2008 sind die letzten gemässigten Kräfte ausgetreten. Zudem steht Rösti eine einflussreiche Geschäftsleitung zur Seite, in der mit Christoph Blocher, Walter Frey und Thomas Matter die Zürcher die grösste Delegation stellen. In der erweiterten Geschäftsleitung sitzen auch Roger Köppel als Dossierverantwortlicher für die Europa- und Magdalena Martullo-Blocher für die Wirtschaftspolitik.

Rekordergebnis ein Verdienst von Rösti

Bei den letzten Wahlen hat die SVP mit einem Wähleranteil von 29,4 Prozent ihre Position als grösste Partei im Lande gestärkt. Dieses Rekordergebnis ist auch ein Verdienst von Rösti, war er doch Wahlkampfleiter. Als Kampagnenchef war er auch massgeblich beteiligt am Erfolg der Masseneinwanderungsinitiative. Bei der Verkündung des Abstimmungsresultats stemmte er denn auch die Arme in Siegerpose in die Höhe und jubelte am lautesten.

Klar, dass er in dieser Frage auch keine Kompromisse eingehen will: Eine softe Umsetzung, mit der letztlich die Migration kaum gesenkt wird, kommt für ihn nicht in Frage. «Heute wandert nur die Hälfte der Migranten in eine Arbeitsstelle ein», sagt Rösti. «Wird noch der Inländervorrang berücksichtigt, müsste die Zuwanderung also schon heute sehr deutlich unter 40'000 zu liegen kommen.» Je nach Wirtschaftsverlauf könne sie durchaus mal höher oder tiefer sein.

Knacknuss Europapolitik

Die Knacknuss bleibt die Europapolitik. Pfister und Gössi stellen die Bilateralen über alles, Rösti ist nicht per se gegen das Vertragswerk, ist aber nicht bereit, dafür jeden Preis zu zahlen. Wenn er vor der Frage steht, die Bilateralen zu bewahren oder die Masseneinwanderungsinitiative korrekt umzusetzen, dann entscheidet er sich, ohne zu zögern, für die zweite Option. «Wir verdanken unseren Wohlstand unserer Unabhängigkeit», sagt Rösti. Er stemmt sich deshalb mit seinen Parteikollegen «gegen den schleichenden EU-Beitritt».

Das Kroatien-Abkommen, das der Bundesrat nach zweijährigem Taktieren nun doch unterschrieben hat, wird seine SVP ablehnen. Ob sie ein Referendum ergreift, ist aber noch offen. «Wir müssen unsere Kräfte konzentrieren. Das Kroatien-Abkommen ist nicht unser Hauptanliegen, uns geht es um die Grundsatzfrage: um die Personenfreizügigkeit», betont Rösti. Gebe es hier eine Lösung, dann sei auch die Kroatien-Frage gelöst. Wenn nicht, muss laut Rösti das Personenfreizügigkeitsabkommen gekündigt werden, damit der Volkswille vom 9. Februar 2014 umgesetzt wird.

Aber zuerst steht ein anderes Volksbegehren an: die Selbstbestimmungsinitiative, die das Landesrecht vor Völkerrecht setzen will. «Wir werden sie bald einreichen», sagt Rösti. Diese stillschweigend zu entsorgen, wie es nicht wenige Wirtschaftsverbandsexponenten möchten, ist für den neuen SVP-Präsidenten jedenfalls kein Thema.

Amtszeit startet mit Auseinandersetzung

Die drei neuen Parteichefs starten ihre Amtszeit gleich mit einer Auseinandersetzung, die sehr emotional geführt werden dürfte: Während Pfister und Gössi für die Asylgesetzesrevision in den Ring steigen, bekämpft Rösti diese. In wirtschafts-, finanz- und sozialpolitischen Dossiers hingegen werden CVP, FDP und SVP zusammenarbeiten – also etwa bei der Unternehmenssteuerreform III oder bei der Vorsorgereform 2020. Gut möglich, dass diese Kooperation sogar intensiviert wird, «gezwungenermassen», wie Gössi meint.

«Der wirtschaftliche Druck auf Reformen steigt», sagt sie und verweist auf das erste Quartal 2016, das «nicht gut war». Am besten funktioniert der «Schulterschluss» von CVP, FDP und SVP aber noch immer, wenn die drei gemeinsam gegen links antreten können.

Bauern als heimliche Sieger

Aber letztlich bestimmt das Thema die Koalition. Und so kam es, dass in der Frühjahrssession nicht etwa die nach den Wahlen viel beschworene Allianz von FDP und SVP zum Tragen kam, sondern jene von SVP und CVP: Gemeinsam kämpften sie gegen die Individualbesteuerung, gegen ein Adoptionsrecht für Stiefkinder von homosexuellen Paaren und für den Ausbau der Landwirtschaft. Die Bauern könnten ohnehin die grössten Gewinner der Personalrochade an den Parteispitzen werden: Denn bei der SVP folgt auf den Bauern Brunner mit Rösti der langjährige Geschäftsführer des Milchproduzentenverbands, und mit Pfister kommt einer bei der CVP ans Ruder, der seinem Rats- und Parteikollegen, dem Bauernverbandspräsidenten Markus Ritter, volle Unterstützung zugesichert hat.

Der Graben in der Bundespolitik verläuft also nicht nur zwischen links und rechts und zwischen den europapolitisch offeneren oder restriktiveren Parteien, sondern vor allem auch zwischen den reformorientierten und den protektionistischen Kräften, zwischen den liberalen und den konservativen Parteien, zwischen ordnungspolitisch rigiden und toleranten Politikern, das heisst letztlich zwischen der FDP und dem Duo CVP und SVP. Den Bürgerblock, der bloss die Leitlinien von Economiesuisse und den anderen Verbänden verteidigt, wird es also auch in Zukunft nicht geben. Auch mit Hoffnungsträger Pfister nicht.