Im Hauptbahnhof Zürich wird am kommenden Donnerstag der erste Teil der Durchmesserlinie eingeweiht. Feiern können Politiker und die Spitzen von SBB und Zürcher Verkehrsverbund (ZVV) ein Meisterwerk der Ingenieurkunst.

Zürich ist die wichtigste Drehscheibe im schweizerischen Schienennetz. Gegen 400‘000 Personen steigen täglich im Hauptbahnhof ein, aus oder um. Bis ins Jahr 2025 soll deren Zahl gar auf weit über eine halbe Million anwachsen.

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Um diese zusätzlichen Pendlerströme zu bewältigen, wurde in den vergangenen fast sieben Jahren die Durchmesserlinie (DML) gebaut. Hinter dem technischen Begriff steht das grösste innerstädtische Bahnprojekt der Schweiz.

«Gespickt mit speziellen Herausforderungen»

Die zweispurige Linie führt von Zürich-Oerlikon in einer s-förmigen Kurve durch den neuen, 4,5 Kilometer langen Weinbergtunnel in den unterirdischen Durchgangsbahnhof Löwenstrasse. Von da geht es - allerdings erst Ende 2015 - weiter über die Kohlendreieck- und Letzigrabenbrücke nach Altstetten.

Die DML ist ein gigantisches und hoch komplexes Bauwerk. «Jeder Abschnitt auf der 9,6 Kilometer langen Strecke war gespickt mit speziellen Herausforderungen», sagt Gesamtprojektleiter Roland Kobel. In Oerlikon, wo im Bahnhofbereich praktisch kein Stein auf dem andern bleibt, waren es über 30 Meter hohe Stützmauern und Felsaushub. Zudem müssen 800 Züge durch die noch immer bestehenden Baustellen oder daran vorbei geführt werden.

Unter der Limmat durch in den Hauptbahnhof

Beim Bau des Weinbergtunnels mussten sich die Mineure nach dem problemlosen Bohren im Fels auf den letzten 300 Metern auf eine völlig neue Situation einstellen. In rund 15 Metern Tiefe galt es die Limmat und den denkmalgeschützten Südtrakt des Hauptbahnhofes zu unterqueren.

Zu diesem Zweck musste die 220 Meter lange und 3000 Tonnen schwere Bohrmaschine vom Hartgestein- auf Hydroschildmodus umgerüstet und abgedichtet werden, damit diese - einem U-Boot ähnlich - durch das Grundwasser und Lockergestein fahren konnte.

Nach etwas mehr als zwei Jahren war die Tunnelbohrmaschine am Ziel: Am 23. November 2010 kam das Schneidrad mit 50 Schneidrollen und 160 Schälmessern in einem 20 Meter tiefen Schacht beim Hauptbahnhof wieder ans Tageslicht. Der Zürcher Regierungsrat Ernst Stocker bezeichnete den Durchstich als «historischen Tag für Zürich» und zeigte sich tief beeindruckt von den Leistungen der Bauarbeiter.

Der Weinbergtunnel unterquert einige Liegenschaften mit sensibler Nutzung. Spezielle Vorkehrungen waren deshalb notwendig, damit das Universitätsspital oder die Studios von Radio SRF vom Zugsverkehr nicht erschüttert werden. So lagern die Schienen nicht auf einem Schotterbett, sondern auf gummigefederten Schwellenblöcken.

Grosses Gewicht beigemessen wurde auch der Sicherheit. Ein parallel zum Weinbergtunnel geführter Flucht- und Rettungsstollen mit 8 Notausgängen sorgt dafür, dass sich im Notfall die Zugpassagiere innert kurzer Zeit in Sicherheit bringen können. Der Stollen kann zudem von Rettungsfahrzeugen befahren werden.

Von oben nach unten gebaut

Herzstück der DML ist der neue Bahnhof Löwenstrasse. Während oben die Züge rollten, entstand 16 Meter unter den bestehenden Gleisen 4 bis 9 eine Halle mit vier Gleisen und 420 Meter langen Perrons. Vor schwierige Aufgaben stellten die Ingenieure dabei die Sihl, die den Hauptbahnhof quert, und der hohe Grundwasserspiegel.

Gebaut wurde deshalb von oben nach unten. Die Sihldurchlässe wurden etappenweise trockengelegt und das Grundwasser um einige Meter abgesenkt. Danach wurden Schlitzwände, die künftigen Seitenwände des neuen Bahnhofs, erstellt und darauf ein meterdicker Deckel betoniert.

Erst danach begann darunter der Aushub und der Ausbau des Bahnhofs. Eine zwei Meter dicke Bodenplatte verhindert, dass der im Grundwasser schwimmende Bahnhof keinen Auftrieb erhält.

Gefordert war aber nicht nur technisches Know-how, sondern auch Kreativität. Weil der Tiefbahnhof seitlich versetzt ist zu den bestehenden Gleisen an der Oberfläche, befördern schräg konstruierte Lifte die Reisenden auf die Perrons in der Bahnhofhalle.

Längste Eisenbahnbrücke der Schweiz

Bauen, ohne den Bahnverkehr auf dem dichtest befahrenen Netz der Schweiz zu behindern, galt ebenso für den Bau der Letzigrabenbrücke, die auf der Westseite des HB quer über das Gleisfeld nach Altstetten führt. Die knifflige Aufgabe lösten die Ingenieure, indem anstelle einer herkömmlichen Schalung mit Abstützung ein Vorschubgerüst gewählt wurde.

Das 650 Tonnen schwere und 90 Meter lange Ungetüm hangelte sich auf bis zu 20 Metern über dem Boden von einem Pfeiler zum andern, während unten die Züge vorbeirauschten. Inzwischen hat das Gerüst bereits den Boden in Altstetten erreicht.

Mit 1156 Metern ist die Letzigrabenbrücke, die auf mächtigen, bis zu 40 Meter im Boden gründenden Pfeilern lagert, die längste zusammenhängende Eisenbahnbrücke der Schweiz. Sie dient ausschliesslich den aus dem Bahnhof Löwenstrasse ausfahrenden Zügen.

Benutzung erst abn 2015

Benützt werden die Kohledreieck- und die Letzigrabenbrücke ab Dezember 2015, wenn auch die Fernverkehrszüge die DML befahren. Die langen Wartezeiten im Kopfbahnhof gehören dann der Vergangenheit an und die Fahrzeiten auf der Ost-West-Hauptachse verkürzen sich erheblich.

Der Bau der DML kostet insgesamt 2,031 Milliarden Franken. «Die Kosten haben wir im Griff», sagt Roland Kobel. Zwei Drittel übernehmen Bund und SBB, ein Drittel trägt der Kanton Zürich. Zur Beschleunigung der DML hatte der Kanton Zürich zudem Vorleistungen an den Bund von 500 Millionen Franken geleistet.

(sda/dbe)