Liebe Leserin, lieber Leser

Geld, heisst es, sei das Schmiermittel einer florierenden Wirtschaft. Dieser Rohstoff des Kapitalismus soll nun via Osthilfegesetz, auch bekannt unter dem Zungenbrecher Kohäsionsmilliarde, aus Schweizer Geldtresoren in die aufstrebenden, noch jungen osteuropäischen EU-Mitgliedsländer fliessen. Insgesamt eine Milliarde Franken im Zeitraum von zehn Jahren. Viel Geld. Und wo es um Geld geht, scheiden sich die Geister. «Die Befürworter», meint etwa ein «Blick»-Leser aus dem Aargau, «wollen dem Volk die Verschwendung von einer Milliarde Steuerfranken schmackhaft machen.» Und SVP-Chefideologe Christoph Mörgeli kommentiert in gewohnt knapper und undifferenzierter Art: «Eine Milliarde Kröten» hätte das Schweizervolk bei einem Ja am 26. November zu schlucken. Natürlich folgt der Hinweis auf dem Fuss, dass besagte osteuropäische Volkswirtschaften zum Teil zweistellige jährliche Wachstumszahlen aufwiesen, wogegen die Schweiz im tiefen einstelligen Prozentbereich vor sich hin dümple. Klingt alles sehr plausibel und rückt die Frage ins Blickfeld: Brauchen die unsere sauer verdienten Kröten überhaupt? Oder sind die Fordernden nichts weiter als clevere ehemalige Kommunisten, die im Eiltempo gelernt haben, wie man sich milliardenschwere staatliche Subventionen unter den Nagel reisst?

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Es würde sich lohnen, den Blick etwas zu öffnen. Was von praktisch allen Zahlenakrobaten aus dem Lager der Skeptiker unterschlagen wird, ist die Tatsache, dass die osteuropäischen Volkswirtschaften bei ihrem beeindruckenden Wachstum von einem niedrigen Niveau ausgehen. Niemand würde behaupten, China sei auf westlichem Wohlstandsniveau angelangt, nur weil auch dort die Wachstumszahlen beeindruckend sind. Stattdessen wird auf die Risiken und Instabilitäten im Reich der Mitte hingewiesen. Im Falle von Europa können die im Osthilfegesetz vorgesehenen Zahlungen nur eine Anschubhilfe sein, um die Wirtschaft in diesen Ländern dauerhaft zu stabilisieren. Wie dies die EU in der Vergangenheit mit früheren Beitrittsländern bereits getan hat. Beispiel Spanien: Das Land kam aus der Franco-Diktatur und verfügte über eine binnenzentrierte und landwirtschaftlich geprägte Wirtschaft und ist heute – auch dank EU-Hilfe – ein fortschrittlicher Staat mit moderner Volkswirtschaft. Dieser Patient ist gesund und im Gegensatz zu den Oststaaten wohl nicht mehr auf EU-Subventionen angewiesen. Dass das einmalige Gewähren von Subventionen mitunter zum Gewohnheitsrecht zu mutieren droht, spricht nicht gegen Anschubsubventionen an sich – sie müssen sich lediglich wieder abschaffen lassen, wenn sie nicht mehr benötigt werden.

Dies zu lösen, ist Sache der EU. Warum aber soll die Schweiz in diesem EU-Kreislauf um Millionen aktiv werden? Wer sich ein historisches Gedächtnis bewahrt hat, erinnert sich, dass das Volk im Jahre 1992 den Beitritt zum EWR abgelehnt hat. Insbesondere die SVP zwang der Schweiz damals mit ihrer Opposition den bilateralen Weg auf. Wer Verträge abschliesst, das weiss jedes Kind, muss sich auf Verhandlungen einlassen. Die Frage, welche die Schweiz mit der Abstimmung am 26. November beantwortet, ist, ob sie bei der ökonomischen Stabilisierung ihres wichtigsten Handelspartners, der EU, abseitsstehen will oder nicht, denn mit diesem Partner wird sie in Zukunft weitere bilaterale Verträge abschliessen wollen. Entscheidend dabei ist, dass die Osthilfegelder aus der Bundeskasse nicht von der EU, sondern von der Schweiz autonom eingesetzt werden. Und Autonomie, so lautet ein Sprichwort, bedeutet die Unabhängigkeit des persönlichen Einkommens von der Selbstgefälligkeit anderer.