Der IWF nimmt jedes Jahr jedes Land unter die Lupe, also auch die Schweiz. Im neuesten Examen empfehlen uns die internationalen Finanzexperten, mit sozialpolitischen Reformen vorwärts zu machen, nur schon aus demografischen Gründen. Tatsächlich steht die demokratische Mehrheit demnächst im Pensionsalter – oder kurz davor. Über 55-Jährige werden kaum gegen die Interessen der Rentner stimmen.

Um die drohende Gefahr in den Pensionskassen zu erkennen, muss man nicht Versicherungsmathematik studiert haben. Es genügt, wenn man weiss, was sich hinter dem Fachwort «Umwandlungssatz» verbirgt: nämlich der Prozentsatz, mit dem das Alterskapital, das bis zum 65. Lebensjahr angespart wird, in eine Rente umgewandelt wird. Von 1985 bis 2005 betrug dieser Satz konstant 7,2 Prozent. Hatte eine Person 100 000 Franken angespart, wurde diese Summe automatisch in eine Rente von 7200 Franken im Jahr umgewandelt – und lebenslänglich ausbezahlt.

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Diese Rechnung geht langfristig nur auf, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind: In erster Linie muss sich die Lebenserwartung der 65-Jährigen irgendwie im Rahmen halten. In Wahrheit aber steigt und steigt diese weiter an, auf einen neuen Rekord von 19 Jahren im Durchschnitt. Konkret: Bei den 65-jährigen Männern hat sich die Restlebenszeit in den letzten zehn Jahren von 15,51 Jahren auf 17,12 Jahre erhöht, bei den 65-jährigen Frauen von 19,72 auf 20,88 Jahre. In Zukunft dürften die Männer nochmals aufholen, während sich die Kurve bei den Frauen allmählich zu verflachen scheint.

Fakt ist: Die Restlebenszeit steigt. Trotzdem müssen die Pensionskassen auf je 100 000 Franken ursprüngliches Kapital je 7200 Franken Rente auszahlen, fix und egal, wie alt die Leute werden. Wer ohne Zinsen rechnet, erkennt: Das Kapital ist nach 14 Jahren schon verbraucht. In Wirklichkeit fallen Zinsen, ja sogar Zinseszinsen an, also reicht das Kapital ein bisschen länger. Aber es reicht eben nicht für 19 Jahre, wie es dies im Durchschnitt müsste. Denn zu allem Unglück sieht auch die zweite Rahmenbedingung schlecht aus; «schlecht» aus Sicht der Pensionskassen. Bis jetzt kalkulierten sie damit, dass das Kapital, bis es in Rente umgewandelt wird, zu vier Prozent rentiert. Diesen «technischen Zinssatz» haben die Kassen früher locker erreicht; seit 2001 aber nicht mehr.

Folglich geht den Pensionskassen eher früher als später das Geld aus. So viel von Nationalökonomie verstehen sogar Politiker. Also haben sie bereits reagiert. Gemäss einer Gesetzesrevision soll der Umwandlungssatz reduziert werden – sachte und kontinuierlich von 7,2 Prozent auf 6,8 Prozent im Jahr 2014. Nur: Diese Kürzung wird nicht genügen. Im Januar schlug der Bundesrat vor, die Renten schon früher und vor allem noch stärker zu kürzen. Der Umwandlungssatz soll schon bis ins Jahr 2011 auf 6,4 Prozent fallen.

Erstaunlich an diesem radikalen Vorschlag war das Echo: Es blieb ruhig im Land. Kein Wort von «Rentenklau» diesmal, obschon der Bundesrat mit dieser Massnahme nichts anderes will, als die Renten drastisch zu kürzen. Doch die Diskussion läuft sachlich. Solange die Lebenserwartung so stark steigt, wie sie steigt, solange die Zinsen so tief bleiben, wie sie gefallen sind, so lange gibt es – leider – keine Alternative. Die Renten müssen sinken, je schneller, desto besser. Warum?

Weil dieser Umwandlungssatz «lebenslang» gilt. Eine Rente, die heute beschlossen wird, läuft im Durchschnitt bis ins Jahr 2025, in vielen Fällen noch länger. Darum müssen wir handeln, heute. Dies übrigens weniger aus politischen Gründen, weil die Mehrheit in einer Demokratie immer älter wird. Sondern aus finanziellen Gründen: Weil die Pensionskassen sonst von ihren Reserven zehren müssten, alles Geld den heutigen Rentnern auszahlen würden – und nichts mehr übrig bliebe für die künftigen Generationen.