Seit sechs Wochen leben wir in einer Schweiz mit einem starken Zentralstaat. Böse Zungen sagen, erstmals werde das Land überhaupt vom Bundesrat regiert. Die Einschränkungen des öffentlichen Lebens, die zaghaften Öffnungen, das nationale Kreditprogramm: Vieles wird derzeit in Bern beschlossen.

Dabei geht unter, wie vielfältig die Kantone diese Bundesprogramme durch eigene Massnahmen ergänzt haben. Ein paar Beispiele: Während auf Bundesebene noch über nationale Lösungen zu den Geschäftsmieten verhandelt wird, haben Genf, die Waadt und Basel bereits beschlossen, die Mietausfälle von geschlossenen Gewerbelokalen teilweise zu kompensieren. Kantone wie der Aargau oder Solothurn wiederum zahlen direkt Geld an Kleinunternehmer. Und vielerorts wurden eigene Programme für Kreditbürgschaften oder direkte Darlehen vom Kanton aufgesetzt, um das Programm des Bundes zu ergänzen. 

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Der Staat oder die Gemeinschaft?

Dabei fallen kulturelle Unterschiede auf. Hier die gemeinschaftlich denkenden Deutschschweizer, da die republikanisch-etatistischen Romands. In den welschen Kantonen sieht man den Staat in der Pflicht, direkt mit Finanzmitteln die Wirtschaft zu stützen. Schliesslich hat er mit seinen Verboten stark in die Wirtschaft eingegriffen und für Ertragseinbussen gesorgt. Deutschschweizer Kantone hingegen scheinen stärker auf Bürgschaftsprogramme und gemeinschaftliche Lösungen zusammen mit der Privatwirtschaft zu setzen. Man versucht zu vermitteln und Akteure an einen Tisch zu bringen oder unterstützt in Einzel- und Härtefällen.

Das ist gut so. Die Kantone ticken nun mal unterschiedlich, sind von ihrer eigenen Geschichte geprägt. Der Stanser erwartet etwas anderes von seinem Staat als die Einwohnerin von Lausanne.

Die Massnahmen der Kantone

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Es wäre jedoch falsch, das Bild des Röstigrabens zu bemühen, denn einen klaren Graben gibt es nicht. Auch in der Romandie fallen Kantone wie Neuenburg und Jura auf, die sehr zurückhaltend agieren. Und auch in der Deutschschweiz gibt es Kantone wie Basel-Stadt, in denen der Staat früh aktiv wurde.

Man muss diese Unterschiede wohl vielmehr als Ausprägungen der jeweiligen Standortpolitik sehen. Erhält ein Unternehmer jetzt Unterstützung, akzeptiert er morgen wohl eher einen etwas höheren Steuersatz. Ein industriell geprägter Kanton muss anders handeln als einer, der stark von Landwirtschaft oder Tourismus lebt. Und der Stadtstaat verhält sich nicht gleich wie ein ländliches Gebiet.

Wer bestimmt den Härtefall?

Doch die von der Nähe von Wirtschaft und Politik in den Regionen geprägten Programme bergen auch die Gefahr von Filz und Klüngelei. Warum unterstützt Neuenburg ausgerechnet die Winzer? Was heisst es, wenn Wirtschaftskammern oder parastaatliche Wirtschaftsförderer in die Verteilung staatlicher Gelder einbezogen werden? Wer entscheidet in all den Programmen für «Härtefälle», wer wirklich ein Härtefall ist, etwa im Bereich Event, Kultur und Sport? Und nach welchen Kriterien werden Gelder für Startups gesprochen?

Gerade bei kantonalen oder kommunalen Programmen liegt nahe, dass gut vernetzte Unternehmen und geschickt lobbyierende Verbände eher zum Zuge kommen als andere. Läuft das aus dem Ruder, verspielen die Kantone den Goodwill, den sie sich eigentlich schaffen wollen.

Michael Heim Handelszeitung
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