Erst Anfang 2010 tritt er als neuer SNB-Präsident an. Doch Philipp Hildebrand gab schon im Voraus einen Startschuss ab, der ordentlich knallte: «Es darf kein Tabu mehr geben. (...) Um die angestrebten Fortschritte in der Regulierung auch durchsetzen zu können, brauchen wir starke Behörden. (...) Neben der Finma muss auch die Nationalbank ihre Aktivitäten intensivieren.» Bei seinem ersten Auftritt als designierter Präsident markierte Hildebrand Präsenz. Er gab beim Mediengespräch am 18. Juni namentlich den Grossbanken den neuen Tarif durch: eine Erhöhung der Eigenmittelquote, allenfalls eine Abspaltung einzelner Bereiche und vielleicht auch eine Grössenlimite für die Institute.

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Besonders der Vorstoss, die Grösse einer Bank zu begrenzen, ist forsch. Er ging selbst der Wirtschaftsministerin zu weit. Doris Leuthard distanzierte sich in einem Interview mit der «Süddeutschen Zeitung» von den Forderungen der SNB: «Es wäre falsch, wenn der Staat konkrete Höchstgrössen festlegt.» Die Aufsichtsbehörden müssten in dieser Frage vielmehr «das Gespräch mit den Banken suchen».

Die Finanzinstitute sind erzürnt. Ausgerechnet Hildebrand, der frühere Hedge-Fund-Manager, von dem sich die Banker das nötige Verständnis für die eigene Gilde erhofft hatten, fällt ihnen in den Rücken. Denn die vorgeschlagenen Massnahmen würden die Möglichkeiten der Banken, ihr Geschäft auszuweiten, beschränken. Sie befürchten, gegenüber den ausländischen Konkurrenten ins Hintertreffen zu geraten.

Günstiger Zeitpunkt. Dies umso mehr, als in der Schweiz bereits letzten Herbst die regulatorischen Bedingungen verschärft wurden, mit Massnahmen zur Stärkung der Kapitaldecke und zur Reduktion des Verschuldungsgrads. Auch damals im Alleingang – die ausländischen Regulatoren haben ihren so markigen Worten bisher keine Taten folgen lassen. Die Lobby an der Wall Street und in britischen Finanzkreisen hat ihren Einfluss auch in der Krise wahren können.

Hinter vorgehaltener Hand wird über die Motive für den Auftritt von Hildebrand gerätselt. Eine Demonstration der Unabhängigkeit gleich zum Amtsantritt? Ein Ausdruck seines ausgeprägten Pflichtgefühls? Oder versucht sich der neue SNB-Präsident, der lange Jahre im Amt sein dürfte, gleich zu Beginn seiner Ära für alle Notfälle abzusichern?

Klar ist: Hildebrand will die Macht der SNB ausbauen. Der Zeitpunkt ist günstig. Denn wer aus der angeschlagenen Industrie würde jetzt protestieren, zumal öffentlich?

Dabei ist sich der SNB-Präsident sehr wohl bewusst, dass er ordnungspolitisch schwieriges Terrain betritt.

Eigentlich ist die Finanzaufsicht Finma unter Präsident Eugen Haltiner für die Regulierung der Banken zuständig (mikroprudentielle Aufsicht). Dies stellt auch Hildebrand nicht in Frage. Doch er will parallel zur Finma direkt mit den Grossbanken um regulatorische Fragen ringen. Die Legitimation dazu sieht er im offiziellen Passus, nach dem die Nationalbank für die Stabilität des Finanzsystems besorgt sein muss (makroprudentielle Aufsicht). Hildebrand nutzt die Chance. Die makroprudentielle Aufsicht der Nationalbank sei komplementär zur mikroprudentiellen Aufsicht der Finma. Allerdings ergäben sich aufgrund der Systemrelevanz der Grossbanken Überschneidungen der Perspektiven. Die Nationalbank erachte es daher als zwingend, dass sie «einen direkten und häufigen Kontakt» mit den Grossbanken pflege. «Bei Bedarf werden wir die Frequenz und die Intensität dieser Kontakte erhöhen», lautete die unmissverständliche Botschaft.

Philipp Hildebrand beansprucht immer deutlicher die Führungsrolle in der Ausgestaltung der Regulierung in der Schweiz. Der Begriff «Systemstabilität» werde nun zum Vorwand und Einfallstor für alle möglichen Regulierungen, so fürchtet die Branche.

Offene Kritik wird laut. Während sich die gebeutelte UBS nach der massiven Staatshilfe und den Milliarden von der Nationalbank für die Übernahme möglicher toxischer Papiere bedeckt halten muss, wagt es die Credit Suisse, Kontra zu geben. «Die politische Diskussion bewegt sich in eine heikle und gefährliche Richtung», warnte CS-Schweiz-Chef Hans-Ulrich Meister schon vor Hildebrands Auftritt Anfang Juni in der «Zürcher Landzeitung». «Wir sehen das Problem nicht in neuen Regulierungen, sondern darin, dass die Schweiz wieder einmal im Alleingang voranschreiten will», kritisierte Meister dann am Tag von Hildebrands Vorstoss im BILANZ Business Talk.

Urs Rohner, Vizepräsident des Verwaltungsrats der CS und langjähriger Chefjurist der Bank, legte in einem Beitrag in der «NZZ» noch eins drauf und betonte, es gelte, «ungeeigneten oder für unsere Volkswirtschaft gar schädlichen Forderungen vehement entgegenzutreten». Namentlich gegen eine staatlich verordnete Aufspaltung der Grossbanken schrieb Rohner an: «Ein derart drastischer Eingriff käme nicht nur einem ordnungspolitischen Sündenfall gleich. Er wäre auch unverhältnismässig, im Ergebnis untauglich und kontraproduktiv.»

Keine Lösung. In der Tat wirken einzelne der neuen Regulierungsvorschläge unausgegoren. Etwa jener, die Aufteilung der Bank in Einzelteile zu prüfen, damit ein Zusammenbruch eines Bereichs nicht das gesamte Institut in den Untergang ziehe. Weder die Nationalbank noch die Finma können verleugnen, dass es für diesen Vorschlag noch gar keine juristische Lösung gibt. Der operative Chef der Finma, Patrick Raaflaub, selber hat im April in einem Interview mit der «Basler Zeitung» gesagt, die Aufsplittung in juristisch selbständige In- und Auslandeinheiten sei «keine praktikable Lösung, weil es immer eine Konzernhaftung gibt».

Die Regulatoren selber haben dies der Bankenwelt schliesslich einst klargemacht. 1989 war es, als CS-Chef Rainer E. Gut die CS Holding gründete und mit dieser Rechtsform die Vorschriften für die hohe Eigenmittelunterlegung der Bank umgehen wollte. Die Bankenaufsicht ging ans Bundesgericht und bekam recht – faktisch bestehe ein Beistandszwang für alle Teile der Bank, lautete die Botschaft.

Sollte nicht auch die Nationalbank ihre Vorstösse besser erst dann präsentieren, wenn konkrete Lösungen vorliegen?, fragen sich die Grossbanken und nerven sich, wie laut Hildebrand die Peitsche knallen lässt. Die forschen Auftritte des designierten SNB-Präsidenten unterscheiden sich jedenfalls augenfällig von jenen seines zurückhaltenden Vorgängers Jean-Pierre Roth. Hildebrand wird ein Hang zur Eitelkeit nachgesagt. Dies mag dazu beigetragen haben, dass er es bis heute nicht ganz geschafft hat, der Branche vollumfänglich glaubhaft zu machen, dass es ihm nur um die Sache und nicht auch um seine Person geht.

Das dominante Rollenverständnis des designierten SNB-Präsidenten mag auch einiges mit dem angeschlagenen Image der Finma zu tun haben. Deren Präsident Eugen Haltiner, ein ehemaliger UBS-Generaldirektor, wird den Ruf nicht los, er zeige zu viel Verständnis für die Grossbanken. Die massiven Auswirkungen der Finanzkrise sahen Haltiner und seine Leute nicht kommen, was der Glaubwürdigkeit nicht zuträglich war. Das Image der Nationalbank indes ist hervorragend. Schon vor dem Ausbruch der Finanzkrise hat die SNB vor Gefahren gewarnt und sich damit Respekt verschafft. Das Dreierteam an der Spitze – Noch-Präsident Jean-Pierre Roth, Vize Hildebrand und Direktionsmitglied Thomas Jordan – hat einen makellosen Leistungsausweis und erlaubte sich bisher keine Fehler.

Bei der Finma ist man mit der derzeitigen Rollenaufteilung durchaus einverstanden, wonach Hildebrand bei Regulierungsvorstössen die Speerspitze in der Öffentlichkeit verkörpert. Die Durchsetzungschancen umstrittener Vorschläge sind höher, als wenn sie von den in Bern nicht gleich hoch geachteten Finma-Repräsentanten kommen. Finma-Insider betonen, die Zusammenarbeit zwischen der Regulierungsbehörde und der Nationalbank sei gut, man sei auf derselben Linie. Dass Hildebrand für die Vorstösse dann den Applaus bekommt, stört anscheinend nicht weiter: «Wir sind es gewohnt, keine Lorbeeren einzuheimsen», so einer der Insider.

Wichtig bei Regulierungsfragen ist eine internationale Lösung, darin sind sich Nationalbank, Finma und auch die Grossbanken einig. Längst ist klar, dass die Auswirkungen einer Finanzkrise nicht an den Landesgrenzen haltmachen. Nur: In den USA trumpfen die Banken gegenüber der Regierung auf, während sich die Europäer uneinig sind. Ob und welche Einschnitte auf globaler Ebene wirklich erfolgen werden, steht in den Sternen.

Gerade der Schweizer Hildebrand tut sich im internationalen Kontext besonders hervor. Er gilt als Vordenker bei der Ausgestaltung eines neuen Regulierungsregimes für die weltweite Finanzwelt, etwa als Mitglied in einer der wichtigsten Arbeitsgruppen, dem Financial Stability Board (FSB), das in solchen Fragen eine Mastermind-Rolle innehat. Und bei Debatten im Rahmen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), zu denen sich die führenden Notenbankchefs und Regulatoren der Welt regelmässig treffen, wirkt Hildebrand ebenfalls an vorderster Font mit.

Globales Vorbild. Auf dem globalen Parkett agiert der Schweizer also mit grossem Ehrgeiz. Hildebrand, der ein eng geknüpftes Netzwerk in internationalen Finanzkreisen hat und mit Kernfiguren wie US-Finanzminister Timothy Geithner persönlichen Austausch pflegt, will sein Land offenbar als globales Vorbild präsentieren. In der Tat würde die Schweiz mit ihrem überdurchschnittlich grossen Finanzsektor auch stärker von einem gefestigten weltweiten Finanzsystem profitieren.

Und die Glaubwürdigkeit des Nationalbankers in den internationalen Gremien wächst, wenn er in seinem Land Erfolge vorweisen kann. Die grossen Schweizer Banken gefallen sich indes nicht in der Rolle der globalen Musterknaben. Gerade wenn die Schweiz im Alleingang vorangehe, werde «Wirtschaftspolitik gemacht», sagt ein CS-Manager, und das sei «definitiv nicht die Rolle des Regulators, sondern von Parlament und Bundesrat».

Hildebrand geht das Risiko ein, die kurzfristigen Interessen des Finanzplatzes Schweiz internationalen Zielen zu opfern. Laut Mario Draghi, dem Vorsitzenden des Financial Stability Board, wird der Basler Ausschuss zur Regulierung der Banken noch vor Ende Jahr Regeln ausarbeiten, um das Kapitalregime der Finanzinstitute zu verbessern. Die Schweiz hat in diesem Bereich längst gehandelt. Während Hildebrand schon den nächsten regulatorischen Schritt plant, muss die internationale Finanzwelt zuerst einmal den ersten machen.