Wer den grünen Mahnfinger gegen den Versandhandel angesichts der vielen Pakete erhebt, vergisst in der Regel, welche Emissionen beim stationären Handel entstehen. Angefangen bei der Klimatisierung des Gebäudes über die Beleuchtung und Belieferung bis hin zu den Plastiksäcken für die Mitnahme der Artikel.

Und von der individuellen Anreise jedes Kunden (ob ÖV oder Auto) ganz abgesehen. Man darf sich mit diesem Bild vor Augen durchaus vorstellen, dass jedes Paket in einem Zustellfahrzeug der Post einer eingesparten Fahrt in die Innenstadt entspricht (oder zweien, für diejenigen, die beim ersten Mal doch nichts gekauft haben).

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Pakete sind bisweilen klimafreundlicher

Dass dem so sein könnte, davon zeugen auch die ständig über mangelnde Frequenz klagenden stationären Händler, die vor verwaisten Innenstädten warnenden Politiker oder die Shoppingcenter, bei denen man heute in der Regel einen Parkplatz vor dem Eingang findet. Doch online einkaufen ist in der Regel ökologischer als im Ladengeschäft. Diese These stützt ansatzweise auch die «Süddeutsche Zeitung», wenngleich im Online-Handel vor allem die Anzahl Retouren die Klimabilanz massgeblich negativ beeinflusst. Die «Süddeutsche» hat CO2-Bilanz für einen Schuhkauf online wie auch stationär aufbereitet; gerade Schuhe und Kleidung haben in der Regel Retourenquoten von gegen 50 Prozent.

Die «Süddeutsche Zeitung» resümiert denn auch unter anderem: «Isoliert betrachtet kann nach Aussage der Wissenschaftler das Versenden eines Pakets sogar klimafreundlicher sein als die Fahrt mit dem Auto zum Einkauf.» Und: Ein Paketversand verursache nur etwa einen Viertel, ein Versand inklusive einer Retoure nur die Hälfte der Treibhausgasemissionen einer sechs Kilometer langen, durchschnittlichen Einkaufsfahrt mit dem Auto, die den Ausstoss von etwa 2400 Gramm CO2 erzeugt.

HSG-Studie zur letzten Meile

Auch die Universität St. Gallen (HSG) kommt in ihrer breit angelegten Studie zur letzten Meile im Detailhandel mit Schweizer Daten, zu der sowohl der Online- beziehungsweise Versandhandel als auch der stationäre Handel ihre Daten beigesteuert haben, zu keinem eindeutigen Schluss, hält jedoch unter anderem fest:

«In Gebieten mit hoher Siedlungsdichte fallen im Online-Handel durchschnittlich weniger CO2-Emissionen pro Bestellung und damit pro Artikel an aufgrund effizienter und gebündelter Zustellungen.» «In ländlichen Gebieten beim stationären Einkauf entstehen höhere CO2-Emissionen durch längere Anfahrten im eigenen Fahrzeug.» «Die bei der Schweizerischen Post hohe Erfolgsquote in der Erstzustellung von etwa 95 Prozent ist ein wichtiger Einflussfaktor auf die Höhe der CO2-Emissionen auf der ‹letzten Meile› im Online-Handel.»

Keine Pauschalaussage möglich

Eine allgemeingültige, pauschale Aussage kann die HSG-Studie dennoch nicht machen, da das Ergebnis stark von der Situation abhängig sei. Sie resümiert jedoch auch, dass vor allem die Bündelung von Einkäufen grosse Emissionseinsparungen brächten, und hier ist auch im Online-Handel noch reichlich Luft nach oben vorhanden, im wahrsten Sinne des Wortes. Als Fazit kann man formulieren: Je weniger Wege zurückgelegt werden, desto besser die Klimabilanz – das gilt sowohl für den Online- wie auch für den stationären Handel.

Thomas Lang

Der Autor Thomas Lang ist Geschäftsführer und Inhaber von Carpathia in Zürich.

Quelle: ZVG

Bund lanciert Forschungsprojekt

Und hier kommt die HSG-Studie zum Schluss, dass ein Paket in der Schweiz weniger als500 Meter auf der letzten Meile zurücklegt. Das ist der errechnete Schnitt, wenn etwa in städtischen Gebieten (am Beispiel Lausanne und Basel) mehr als 150 Pakete auf einer etwa 60 Kilometer langen Tour verteilt werden. Die Werte variieren zwischen Städten mit 400 Metern, Agglomerationen mit 450 und Landgebiete mit 550 Metern.

Im Weiteren hat der Bund, genauer genommen das Uvek, ein Forschungsprojekt an die Schweizerische Vereinigung der Verkehrsingenieure vergeben mit dem Titel «Auswirkungen des wachsenden Versandhandels auf das Verkehrsaufkommen». Im Herbst soll diese Studie veröffentlicht werden. Es bleibt spannend, ob sie die These des klimafreundlicheren Online-Handels widerlegen kann oder mit neuen Ergebnissen aufzuwarten vermag.

* Der Autor Thomas Lang ist Geschäftsführer und Inhaber der E-Commerce-Beratungsagentur Carpathia in Zürich.

Potenziale im Online-Handel

Der Online-Handel hat bezüglich Klimaproblematik noch Potenzial, die sich im Vergleich mit dem stationären Handel mutmasslich schnell umsetzen lassen. Darunter fallen folgende Massnahmen:

• Kleinere Verpackungen ohne Füllmaterial und damit wenig Luft, was das Volumen verkleinert und pro Lieferung auf der letzten Meile mehr Pakete pro Fahrzeug ermöglicht. So hat Brack.ch seit geraumer Zeit mehrere Anlagen in Betrieb, welche die Kartons auf die exakt richtige Grösse falten, damit so wenig Füllmaterial respektive Luft wie möglich transportiert werden muss.

• Das Bündeln und Zusammenführen von Bestellungen ohne signifikante Geschwindigkeitseinbusse, was heute bereits bei einigen Händlern durch Algorithmen imHintergrund berechnet wird. Exlibris beispielsweise lässt den Kunden zwischen Teillieferungen und einer ökologischen Sammellieferung wählen, welche verschiedene Artikel zusammenfasst, was unter Umständen ein bis zwei Tage länger dauert. Der Kunde entscheidet.

• Einsatz von Mehrwegtransportbehältnissen und -gebinden wie der Dispobox der Post bei regelmässigen Lieferungen, was bei B2B ein Thema sein kann und ebenso bei Lebensmitteln. Sowohl Coop@Home als auch Le Shop verwenden bei der Postzustellung entsprechende Behälter.