Letztes Jahr hat Vontobel das gemeinsame Weekend organisiert, es ging nach Davos. Dieses Jahr ist Raiffeisen dran: Im Juni sollen sich die Kooperationsteams der beiden Banken in Basel zur Schnitzeljagd treffen.

Die obersten Chefs sind in der Regel nicht dabei. Sie haben anderes zu tun. Just während die Organisatoren die Einladungen verschickten, setzten die Manager zum nächsten Dolchstoss an: In der Führungszentrale der Raiffeisen-Gruppe in St. Gallen feilten CEO Pierin Vincenz und seine Leute in jenen Tagen im März an den letzten Details ihres jüngsten Deals – der Beteiligung an EFG Financial Products, der Derivatetochter von EFG International.

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Mit dem Kauf brüskiert der Raiffeisen-Chef den langjährigen Partner Vontobel erneut. Seit Vontobel den Grossaktionär Raiffeisen im letzten Herbst vor ein Schiedsgericht zerrte, sind die Fronten verhärtet (siehe «Gehässiger Streit – die fünf Stufen der Eskalation»). Seither ist nicht nur gegenseitiges Piesacken angesagt – auch strategisch entfremden sich die beiden Banken immer mehr, indem sich Raiffeisen Schritt für Schritt neue Bankpartner ausserhalb der bestehenden Kooperation anschnallt.

Dies sorgt bei Vontobel für Verärgerung. Ein Paukenschlag war der Kauf von Notenstein durch Raiffeisen vor gut einem Jahr, ist die St. Galler Privatbank doch ein direkter Wettbewerber von Vontobel. Seither pocht Vontobel-CEO Zeno Staub darauf, Notenstein sei Teil des Kooperationsvertrags. Vincenz sieht das anders und will seine Freiheiten bezüglich Notenstein nicht einschränken. Nach zermürbenden Diskussionen verlor Staub im November 2012 die Geduld und liess die verdutzten Raiffeisen-Leute wissen, ein Schiedsgericht solle die Frage klären. «Die Klage hat uns irritiert und enttäuscht», sagt Vincenz. Er könne den Schritt nicht nachvollziehen, schliesslich bestehe eine profitable Zusammenarbeit zwischen Raiffeisen und Vontobel: «Wir hätten statt einer Klage gegen den besten Kunden eher auf der strategischen Seite Antworten erwartet.»

Dass Raiffeisen mit der EFG-Beteiligung nun ihrerseits Öl ins Feuer giesst, sieht man dort nicht. «Eskaliert haben die Verantwortlichen von Vontobel. Sie haben das Schiedsgericht angerufen», so Raiffeisen-Sprecher Franz Würth nach Bekanntgabe des Deals. Derlei wiederum will Vontobel nicht gelten lassen: «Mit dem vertragswidrigen Verhalten von Raiffeisen ist Vontobel allein schon aus Gründen der Interessenwahrung gegenüber der Gesellschaft und ihren Aktionären verpflichtet, den Sachverhalt abschliessend zu klären», so Vontobel in einer schriftlichen Stellungnahme. «Wir hoffen aber nach wie vor auf eine einvernehmliche Lösung.»

Der Streit ist bizarr, denn operativ läuft die Zusammenarbeit reibungslos. Vontobel leistet für Raiffeisen die Wertschriftenabwicklung, und Raiffeisen vertreibt Vontobel-Produkte. So fliessen dank Raiffeisen jährlich mehrere Dutzend Millionen Franken an Erträgen in die Kassen von Vontobel. Auch die Mitarbeitenden der beiden Banken können es gut miteinander, das zeigen nicht nur die beliebten gemeinsamen Events.

Dass sich Vincenz nun mit EFG Financial Products bei einem Spezialisten für strukturierte Produkte einkauft, muss für die Bank Vontobel als Provokation wirken. Denn mit Investment-Banking-Chef Roger Studer, der notabene als Vizepräsident der europäischen Vereinigung strukturierter Investmentprodukte amtet, hat Vontobel einen der besten Spezialisten für solche Finanzvehikel im eigenen Haus. Vontobel liess es sich denn auch nicht nehmen, Raiffeisen umgehend in die Suppe zu spucken. Nur einen Tag nachdem Notenstein ein erstes von EFG Financial Products entwickeltes Produkt in Zeichnung gab, zog Vontobel mit einem praktisch identischen Produkt nach – zu deutlich günstigeren Konditionen.

Absurde Beziehung. Die Beziehung zwischen Vontobel und der Raiffeisen- Gruppe präsentiert sich immer absurder. Vordergründig streitet man sich um Vertragsklauseln, doch der Hintergrund ist ein anderer: Beide Seiten verfolgen eine Art «hidden agenda». Für das gegenseitige Vertrauen ist das Gift.

Da ist einerseits Raiffeisen unter dem umtriebigen Pierin Vincenz, einem kantigen Bündner voller Energie und Selbstbewusstsein, der schon seit 14 Jahren an der Spitze der Genossenschaftsbank wirkt. Unter ihm ist Raiffeisen nicht nur stark gewachsen, sie hat ihr angestammtes Feld des Kleinkunden- und Hypothekargeschäfts auch immer stärker ausgeweitet und ins Firmen- und Anlagekunden-Geschäft expandiert – «Intensivierung der Wertschöpfungskette», sagt Vincenz. Dies geschieht übrigens mit klarem Auftrag des Raiffeisen-Verwaltungsrats, der schon vor Jahren beschloss, die Risiken durch Diversifikation breiter abzustützen.

In diesen Masterplan würde auch Vontobel gut passen. Und genau hier ist der Haken. Vordergründig eine Kooperation, war das Engagement für die Raiffeisen-Seite von Anfang an mehr: Ausgangspunkt war der Wunsch, Vontobel in den laufenden Konsolidierungsprozess im Schweizer Banking einzubringen. Wobei Raiffeisen sich selbstverständlich als Taktgeber versteht.

2004 vertiefte Raiffeisen die Bande mit Vontobel, im Zuge der schon seit 1994 bestehenden Zusammenarbeit im Anlagefondsgeschäft. Sie wurde mit 12,5 Prozent zweiter Grossaktionär neben der Gründerfamilie. Diese hält mit 55 Prozent die Mehrheit. Da Clanchef Hans Vontobel aber schon 96 Jahre zählt und es Sohn Hans-Dieter vor Jahren weg vom Bankgeschäft ins Ausland trieb, sahen Branchenbeobachter Raum für Spekulationen: Wie lange wird die Familie an der Mehrheit festhalten wollen und können? Auch in der Teppichetage von Raiffeisen seien solche Szenarien durchgespielt worden, berichten Insider.

Noch im gleichen Jahr kam Bewegung in die Frage: 2004 fanden Fusionsgespräche zwischen Vontobel und der Basler Bank Sarasin statt, wie zwei involvierte Verwaltungsräte unabhängig voneinander berichten. Bedingung des Deals: Ein Sarasin-Mann hätte Chef werden sollen. Das konnte nicht im Sinne des damaligen Vontobel-Chefs Herbert Scheidt sein. Scheidt gelang es, Hans Vontobel vom Gedanken einer Fusion abzubringen. Nicht nur in der Ablehnung einer Fusion sind Scheidt und Vontobel seither vereint, sondern ihre persönliche Beziehung ist auch sonst eng: 2011 stieg Scheidt auf den Posten des Bankpräsidenten auf und gilt als der unbestrittene starke Mann im Unternehmen.

Doch für Vincenz war das Thema damit noch nicht erledigt. 2011 kam es zum nächsten Vorstoss, Vontobel und Sarasin zusammenzubringen. Schon im Sommer 2011 soll sich Sarasin-CEO Joachim Strähle an Vincenz gewandt haben, im Herbst intensivierte sich die Diskussion. Die Idee dahinter: Raiffeisen, Sarasin und Vontobel in einer Art Ménage à trois zu vereinen. Mit diesem Vorschlag wandte sich Vincenz an Hans Vontobel. Dies hätte für die Familie die Aufgabe der Mehrheit bedeutet. Vom alten Herrn kam deshalb ein klares Nein.

Sarasin landete bei der brasilianischen Safra, und Vincenz sah sich nach Alternativen um. Vincenz kaufte die ums US-Geschäft entschlackte Bank Wegelin und nannte sie Notenstein. Erneut wollte er Vontobel einbinden und wandte sich an den Patron. Sein Vorschlag lautete diesmal: ein Drittel der Vontobel-Aktien bei Raiffeisen, ein Drittel bei der Besitzerfamilie, ein Drittel als Free Float an der Börse. Auch diesen Vorstoss blockte Hans Vontobel umgehend ab.

Doch nun war endgültig Feuer im Dach. Die steten Vorstösse müssen auf Vontobel-Seite den Eindruck vermittelt haben, man habe mit Vincenz quasi den Raider im eigenen Haus. Scheidt gab ein Rechtsgutachten in Auftrag, das die Rolle von Vincenz abklären sollte. Um den Konflikt zu entschärfen, trat Vincenz an der Generalversammlung vom April 2012 aus dem VR von Vontobel aus, sein Finanzchef Marcel Zoller ersetzte ihn.

Der Aktivismus des Grossaktionärs mag für manchen Vontobel-Vertreter auch darum für Ärger gesorgt haben, weil die eigene Agenda andere Prioritäten vorsieht – im Vordergrund steht die Bewahrung des Status quo. Das Problem auf Vontobel-Seite ist, dass die Kernfiguren vom strategischen Stillstand profitieren, da mag sich die Branche nochso sehr in einem Konsolidierungsprozess befinden.

Der Clan gibt sich einig. Da ist einerseits die Familie unter Hans Vontobel, die sich an die Macht bei der Bank klammert – und Einigkeit signalisiert. Der verlorene Sohn Hans-Dieter Vontobel ist jüngst in die Schweiz zurückgekehrt. In der jüngst erschienenen Firmenchronik präsentiert sich der vielköpfige Clan demonstrativ auf einem gemeinsamen Foto. Die Familie verdient gut an ihrer Beteiligung – für 2012 fliessen Dividenden von rund 40 Millionen Franken. Wenig Grund also für Veränderungen.

Auch das Management verdient gut. Scheidt bekommt fürs abgelaufene Jahr 2,3, Zeno Staub 2,6 Millionen Franken. Ein grosszügiges Mitarbeiterbeteiligungsprogramm bindet das Management ein. Auch im Konkurrenzvergleich ist ihre Lage behaglich: Zwar verdienen die Chefs von CS und UBS zwei- bis dreimal so viel, doch ihre Banken sind mit 47 000 beziehungsweise 63 000 Mitarbeitenden auch 30- bis 40-mal grösser als Vontobel mit ihren 1400 Mitarbeitern.

Staub, seit 2011 CEO und ein Ziehsohn von Scheidt, ist ein Intellektueller und im Umgang eher spröde. Ein ganz anderer Typ also als Saftwurzel und Genussmensch Vincenz. Dass sich die beiden Hauptprotagonisten derart wesensfremd sind, dürfte das gegenseitige Verständnis nicht erleichtern.

Ähnlich selbstbewusst wie Vincenz ist Staub allerdings. Wenn schon konsolidieren, dann mit Vontobel als Taktgeber, so das Motto in der Führungszentrale der Bank. Vontobel ist kapitalstark und sitzt auf einer gut gefüllten Kriegskasse. Immer wieder wird die Bank gerüchteweise als Käufer genannt, wie bei den Spekulationen um einen Verkauf der liechtensteinischen VP Bank oder der Generali-Tochter BSI. Würde Raiffeisen entnervt den Bettel hinschmeissen und die 12,5 Prozent Aktienanteil zurückgeben, würde dies jedenfalls für Vontobel strategische Freiheiten schaffen, etwa indem man einen neuen Partner ins Aktionariat einbinden könnte. Vontobel verteidigt die Kooperation mit Raiffeisen allerdings nach wie vor: Sie trage «den industriellen Notwendigkeiten in jeder Hinsicht Rechnung und ist für beide Parteien sinnvoll und zielführend».

Der Vertrag mit Vontobel, erst im Mai 2010 verlängert, läuft noch bis 2017. 2015 steht die Neuverhandlung an, «da bleibt uns noch etwas Zeit, um uns vorzubereiten und offene Fragen zu besprechen», gibt sich Vincenz versöhnlich. Doch realistischerweise müssten die Gespräche 2014 beginnen, will man im Jahr darauf beim komplizierten Vertragsgeflecht zu einer Einigung kommen. Gut möglich, dass das Schiedsgericht bis dahin noch keinen Entscheid erlassen hat, ziehen sich solche Fälle erfahrungsgemäss doch über zwei oder drei Jahre hin.

Fürs Schiedsgericht mussten beide Seiten einen Rechtsvertreter bestimmen. Diese müssen gemeinsam eine neutrale dritte Person bestimmen, idealerweise einen Anwalt mit Erfahrung im Vertragsrecht. Als Teil des Kooperationsvertrags sind die Entscheide bindend.

Die Chancen einer Annäherung stehen nicht gut. So gesehen macht der Expansionskurs von Raiffeisen Sinn. Würde die Kooperation mit Vontobel tatsächlich auseinanderbrechen, stünde der Genossenschaftsbank bereits ein Geflecht von neuen Partnern zur Verfügung.

Erik Nolmans
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