Im Juni vor einem Jahr sorgte der Genfer Luxusgüterkonzern Richemont für Aufsehen: Patron Johann Rupert kündigte an, das britische Unternehmen Watchfinder zu kaufen. Watchfinder ist ein Spezialist für gebrauchte Uhren. Deshalb kommentierte die «Handelszeitung» damals: «Ein kleiner Deal mit grosser Bedeutung.»

Die grosse Bedeutung lag – und liegt – darin, dass die Übernahme der erste Schritt eines etablierten Uhrenkonzerns darstellte, in den rasant wachsenden Markt mit Occasionsuhren einzusteigen.

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Ein Markt von mindestens 20 Milliarden Dollar

Das sogenannte CPO-Business («Certified pre-owned») ist mindestens so gross wie der Markt für neue Uhren, wenn nicht grösser. Insgesamt gehen Branchenkenner von einem Marktvolumen von mindestens 20 Milliarden Dollar aus, einzelne Beobachter schätzen das Geschäft fünf bis fünfzehn Mal grösser ein.

In den Schubladen von Uhrenbesitzern weltweit schlummern Schätze der Haute Horlogerie im Wert von 500 Millarden Dollar. Zwar suchen nicht alle Besitzer dieser Uhren nach einem Käufer, viele aber schon.

Neue Boutique in Paris

Seit Richemont die Übernahme von Watchfinder angekündigt hat, ist es über ein Jahr lang ruhig geblieben. Einzige Ausnahme: Ein Monat nach dem Deal entsandte Rupert seinen Sohn Anton in den Verwaltungsrat von Watchfinder, zusätzlich zu seinem Aufsichtsamt bei Richemont selbst.

Nun aber scheint Richemont mit Watchfinder expandieren zu wollen: In Paris soll demnächst die erste Watchfinder-Boutique ausserhalb der britischen Inseln eröffnen. Das geht aus Jobinseraten auf dem Berufsnetzwerk Linkedin hervor. Zudem hat Watchfinder seit März in der Person von Adrien Fourlegnie – seit 2014 in verschiedenen Funktionen bei Richemont tätig – einen Frankreich-Chef.

«In den Schubladen von Uhrenbesitzern weltweit schlummern Luxusuhren im Wert von 500 Millarden Dollar.»

Weitere Länder im Visier

Aus dem Richemont-Konzern ist ausserdem zu hören, dass Watchfinder in weiteren Länder gebracht werden soll. Im Visier haben die Genfer grössere Städte in Europa. Bislang hat Watchfinder zwölf Standorte in England. An einigen beschäftigt das Unternehmen auch Uhrmacher, welche die gebrauchten Uhren als Originale zertifizieren, revidieren und – wenn nötig – vor dem Verkauf auffrischen.

Die Expansion von Watchfinder auf das europäische Festland ist ein überfälliger Schritt. Derzeit stecken diverse Uhrenmarken, aber auch Detailhändler wie Bucherer oder Les Ambassadeurs in der Schweiz, ihre Claims im CPO-Geschäft ab.

Kürzlich sagte Bucherer-Patron Jörg Bucherer im Gespräch mit der «Handelszeitung», dass er sich viel vom Secondhand-Geschäft erhoffe: «Das wird gross, sehr gross.» Der Grandseigneur des Uhrenhandels glaubt, dass gerade ein Retailer wie Bucherer, der sich über Jahrzehnte einen tadellosen Ruf erarbeitet hat, viel Vertrauen als Occasionshändler geniessen wird. «Nicht Franzli oder Peterli stellt ja das Zertifikat für die gebrauchten Uhren aus, sondern Bucherer.»

Etablierte im Rückstand

Bucherer spielte mit seiner Aussage auf die diversen Online-Marktplätze wie Chrono24, Ebay, StockX oder auch Amazon an, welche die Uhren auf ihren Plattformen nur vermitteln, nicht aber selbst prüfen, revidieren und als echt zertifizieren.

Allerdings läuft bislang der CPO-Händler zum allergrössten Teil über solche Plattformen, die ebenfalls intensiv an der Überprüfung ihrer Händler und Waren arbeiten und – wie im Fall von Watchbox und Chronext – gar eigene Uhrmacher zur Zertifizierung beschäftigen.

Will heissen: Die etablierten Händler haben einen Vertrauensvorsprung, sie steigen allerdings spät in das Geschäft ein. Und dieses hat sich auch ohne die Vorteile der Etablierten rasant entwickelt.

Verzahnung mit Markenboutiquen von Richemont

Mittelfristig dürfte Richemont Watchfinder eng mit den Boutiquen seiner Uhrenmarken verzahnen. Ein entsprechender Test läuft bereits seit März im Londoner Shop der Richemont-Marke IWCKonkret hat IWC dort einen Eintausch-Service für Uhren der meisten Luxusmarken eingeführt – auch von Marken, die nicht zum Konzern gehören. So können Kunden in der Londoner IWC-Boutique zum Beispiel eine Omega gegen eine IWC eintauschen. Und die Omega wird dann auf der Watchfinder-Website weiterverkauft.

«Es handelt sich dabei um einen Pilot-Versuch», betonte eine IWC-Sprecherin gegenüber der «Handelszeitung». «Vorerst ist das Angebot auf die Boutique in London beschränkt.» Man werde es dann evaluieren und «zu einem späteren Zeitpunkt eine Entscheidung über einen breiteren Rollout treffen», so die Sprecherin weiter.

Marcel Speiser Handelszeitung
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