Es ist eine Premiere in der Schweiz: In der Nacht auf Dienstag hat die SBB erstmals einen selbstfahrenden Zug auf der Strecke Bern-Olten getestet. Dieser bremst und beschleunigt selbstständig. Der Lokführer kontrolliert dabei nur noch die Abläufe und die tadellose Funktion der Systeme, ähnlich wie Piloten in einem Flugzeug-Cockpit.

SBB-Chef Andreas Meyer sagte zu dem Testversuch: «Wir brauchen die Automatisierung, um die Eisenbahn stark zu halten.» Mit der Technologie könnte rund ein Drittel mehr Züge unterwegs sein, damit soll drohenden Engpässen zu Stosszeiten entgegengewirkt werden.

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Vollautomatisierte Züge ab 2025

Für den Thurgauer Zughersteller Stadler Rail war die Fahrt ebenfalls eine Premiere und Beweis dafür, dass man mit der Konkurrenz auf dem hart umkämpften Bahnmarkt mithalten wolle, so Stadler-Chef Peter Spuhler. Die SBB berichtete gestern Nacht über Twitter begeistert von den Testfahrten: «Energiesparend fahren dank dem neuen Fahrassistenzsystem». Im gleichen Tweet steht aber auch: «Lokpersonal zur Überwachung weiterhin wichtig».

 

Stadler Rail Chef Peter Spuhler und SBB-CEO Andreas Meyer

Stadler Rail-Chef Peter Spuhler und SBB-CEO Andreas Meyer freuen sich über die Automatisierung bei dem Doppelstockzug zwischen Olten und Bern.

Quelle: Keystone

Pläne der SBB zur Zukunftsstrategie «SmartRail 4.0» zeigen: Für die kommenden Jahre ist die Teilautomatisierung der Züge geplant, für die Zeit nach 2025 der vollautomatisierte Zugbetrieb.

SBB-Chef Andreas Meyer sagt, Lokführer sollen durch die selbstfahrenden Züge nicht überflüssig werden. Wie die aktuellen Tests verdeutlichten, seien automatisierte Züge nicht gleichbedeutend mit unbegleiteten Zügen. Aus Meyers Sicht brauche es auch weiterhin Lokführer und fachkundiges Personal in den Zügen. Auf Nachfrage von handelszeitung.ch heisst es von Seiten der SBB: «Mit der Weiterentwicklung der Bahntechnik ändert sich das Berufsbild des Lokpersonals.»

3100 Lokführer für die SBB im Einsatz

In der Schweiz sind für die SBB rund 3100 Lokführer im Einsatz, laut Gewerkschaft des Verkehrspersonals SEV. Bei der Südostbahn, die ebenfalls Pläne für selbstfahrende Züge hegt, gut 200. Insgesamt arbeiten heute weniger Mitarbeiter für die SBB als noch vor Jahrzehnten: Von mehr als 40'000 sank die Zahl auf nur noch 29'000 Beschäftigte im Jahr 2012. In den vergangenen Jahren erholte sich diese Zahl zwar leicht auf 33'000 Arbeitnehmer 2016. Allerdings will die SBB mit dem aktuellen Sparprogramm wiederum 1400 Stellen kürzen.      

Die Automatisierung des Zugverkehrs sei längst im Gange, sagt Francesco Corman, Assistenzprofessor für Transportsysteme an der ETH Zürich. Dabei sei jedoch zu unterscheiden zum Beispiel zwischen U-Bahnen und dem Schienenverkehr.

Unbegleitete U-Bahnen in 15 europäischen Städten

«Bei U-Bahnen ist das unbegleitete Fahren bereits state-of-the-art» sagt Corman. Ob in Paris, Rom oder London: In 15 europäischen Grossstädten fahren unbegleitete U-Bahnen. In Lausanne ist eine solche Metro seit 2008 im Betrieb. Corman sagt: «Fast alle neuen Metros weltweit kommen ohne Fahrer aus.»

Die Automatisierung des Schienenverkehrs wie im Falle der SBB sei dabei aber eine andere Sache. Dort wären für einen unbegleiteten Zugbetrieb noch ganz andere Themen zu betrachten als im geschlossenen, durch Wände geschützten Metro-System. Corman rechnet darum mit einer Steigerung des Automatisierungsgrades bei Zügen. Einen Einsatz in der Praxis erwartet auch er für die Schweiz für die Zeit von 2020 bis 2025. Die Entwicklung von neuen Kompetenzen auf Seiten der Mitarbeiter sei im Hinblick darauf wichtig.

 

Der Lokführer kontrolliert dabei nur noch die Abläufe und die tadellose Funktion der Systeme, ähnlich wie Piloten in einem Flugzeug-Cockpit.

Der Lokführer kontrolliert dabei nur noch die Abläufe und die tadellose Funktion der Systeme, ähnlich wie Piloten in einem Flugzeug-Cockpit.

Quelle: Keystone

SBB-Mitarbeiter beim technlogischen Fortschritt involvieren

«Die SBB steht mit ihren Mitarbeitenden im Dialog», heisst es von Unternehmensseite. «Ziel ist es, diese auf die Zukunft vorzubereiten, zu begleiten und die nötigen Kompetenzen aufzubauen.» Konkrete Pläne für die Aus- und Weiterbildung gibt die SBB allerdings noch nicht bekannt – man stehe noch am Anfang im Prozess.

«Für uns ist wichtig, dass die Leute beim technologischen Fortschritt involviert werden», sagt Giorgio Tuti, Präsident der Gewerkschaft des Verkehrspersonals SEV. «Sie sollen von Betroffenen zu Beteiligten werden». Seine Gewerkschaft werde hellhörig, wenn sich Berufsbilder verändern würden – und fordert deshalb eine umfassende Aus- und Weiterbildung. «Wir akzeptieren nicht, wenn Leute wegen des technologischen Wandels einfach wegrationalisiert werden», sagt Tuti. Deshalb sei die Vermittlung neuer Technologien sehr wichtig. Wer dafür zuständig ist, ist für Tuti klar: «Die Umschulung liegt in der Verantwortung der Verkehrsbetriebe.»

Aber noch ein anderer Aspekt zeigt ihm, dass die SBB in nächster Zeit nicht auf Personal verzichten kann. «Niemand hat ein Interesse daran, in einem Phantomzug zu reisen», sagt Tuti. Die Reisenden würden nach wie vor eine objektive und auch subjektive Sicherheit wünschen.