In der Schweiz gibt es keine Minen und auch Öl-Bohrtürme sucht man hier vergebens. Trotzdem ist die idyllische Alpenrepublik einer der weltweit grössten Handelsplätze für Rohstoffe. Milliardenkonzerne wie der Rohstoffriese Glencore haben hier ihren Sitz - bislang lockten sie niedrige Steuern, auf Handelsfinanzierung spezialisierte Banken und der Franken als sichere Währung in die Schweiz.

Doch die paradiesischen Zustände, die die Branche zu einer der wichtigsten für die Schweizer Wirtschaft werden liessen, könnten bald ein Ende haben: Den Unternehmen drohen auf Druck der EU höhere Steuern. Zudem machen es ausländerfeindliche Gesetze schwerer, geeignete Mitarbeiter zu rekrutieren. Und nun will eine Initiative unter dem Namen «Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln!» spekulative Finanzgeschäfte mit Agrarrohstoffen oder Nahrungsmitteln in der Schweiz ganz verbieten.

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Grosse Bedeutung für Schweizer Wirtschaft

«Das könnte der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt», sagt ein Fondsmanager. Sollte die Initiative bei der Volksabstimmung am Wochenende angenommen werden, könnten Rohstoffhändler überlegen, ihren Sitz zu verlegen. Das wäre ein schwerer Schlag für die Schweizer Wirtschaft - denn der Rohstoffsektor trägt rund 3,9 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei. «Mehr als die Tourismusbranche», betont Stephane Graber, Generalsekretär des Branchenverbands STSA in Genf.

Die Bedeutung des Sektors für die Schweiz wird mit einem Blick auf dessen Erlöse deutlich: Sechs der zehn umsatzstärksten Schweizer Firmen kommen aus dem Rohstoffbereich. An der Spitze steht der Mineralölhändler Vitol mit einem Jahresumsatz von 276 Milliarden Franken. Das ist deutlich mehr als etwa Apple verdient. Glencore, die Nummer Zwei der Branche, setzt 209 Milliarden Franken um. Nestle, der weltweit führende Nahrungsmittelhersteller, liegt mit rund 90 Milliarden Franken Umsatz schon abgeschlagen an sechster Stelle.

Branche hat lange Tradition in der Schweiz

Insgesamt sind mit den rund 550 in der Schweiz ansässigen Rohstoffunternehmen mehr als 32'000 Arbeitsplätze verbunden. Gehandelt werden hauptsächlich Kaffee, Kakao, Zucker und Metalle, aber auch Getreide und Rohöl. «Die Marktanteile für Kaffee, Kakao, Zucker und Metalle liegen bei über 50 Prozent, für Getreide und Rohöl bei 35 Prozent», sagt Graber.

Der Rohstoffhandel in der Schweiz reicht bis ins 18. Jahrhundert zurück. Neben der politischen Stabilität des Landes, dem Bankensystem und niedrigen Steuern zog ein ganz banaler Grund die Branche ins Land: Die Eidgenossen verfügten schon früh über ein effizientes Telefonsystem. Doch seit einiger Zeit sehen sich die erfolgsverwöhnten Rohstoffhändler mit Widerstand konfrontiert: EU und OECD drängen darauf, dass sich die Schweiz den internationalen Steuerregeln anpasst und Steuerprivilegien für ausländische Unternehmen abschafft. Zudem wollen die Eidgenossen am Personenfreizügigkeitsabkommen mit EU rütteln und den Zustrom ausländischer Arbeitskräfte begrenzen.

Der nächste Schlag droht durch die Anti-Spekulations-Initiative, die die Branche wie viele Drittweltorganisationen für den Hunger in der Welt mitverantwortlich macht. Die Gründer, die Schweizer Jungsozialisten, fordern, dass der Derivatehandel auf Lebensmittel nur noch Bauern zur Preisabsicherung erlaubt ist.

Branche bezweifelt Sinnhaftgkeit von Spekulationsverbot

Nach Ansicht von Branchenvertretern würde das die Probleme aber nicht lösen. «Ein Spekulationsverbot in der Schweiz würde die Preisschwankungen bei Nahrungsmitteln auf keinen Fall mildern», sagt Graber. Stattdessen würde ein solcher Schritt die Preisabsicherung für Produzenten, Verarbeiter und Händler in der Schweiz schwieriger und teurer machen.

Spekulation an sich führe nicht zu Preisexplosionen, sagt ein Manager eines in Rohstoffen investierenden Fonds. Der Handel sei auch sehr fragmentiert, betont ein Händler. «Der Weizenpreis in Namibia hat nichts mit dem Weizenkontrakt in Kansas zu tun. Lokale Ereignisse wie Unwetter, Hitzewellen und Überschwemmungen, die zu Ernteausfällen führen, bewegen Preise weit stärker als Spekulation.»

«Rohstoffhandel muss transparenter werden»

Doch in einem sind sich viele Experten einig: «Der Rohstoffhandel muss transparenter werden, er muss sich öffnen, wenn er nicht wie die Bankenbranche beim Bankgeheimnis von der Entwicklung überholt werden will», sagte Roger Disch, Leiter Treasury & Commodity Beratung Ernst & Young Schweiz. Bisher scheute der Sektor die Öffentlichkeit wie der Teufel das Weihwasser.

«Möglicherweise regelt sich der Markt ja auch bald von selbst», sagt ein Händler. Denn in den vergangenen Jahren haben die Rohstoffpreise kräftig nachgegeben - trotz Spekulation. Einige Marktteilnehmer haben sich schon aus dem Markt verabschiedet.

(reuters/ccr)