Seit 19 Jahren ist Markus Tanner Redaktionsleiter. Aber geschrieben hat er noch nie etwas in seinem Blatt. Am letzten Werktag des Jahres 2017 wird er erstmals einen Beitrag verfassen: Die Todesanzeige der Zeitung.

Am 29. Dezember 2017 erscheint die letzte gedruckte Ausgabe des «Schweizerischen Handelsamtsblatts». Wobei: Diesen sperrigen Titel verwendet kein Mensch. Man schreibt abgekürzt «SHAB», sagt «SCHAB» (mit langem «a») und freut sich an einem Info-Cocktail in höchster Konzentration. Keine Nebensächlichkeiten. Nur die Fakten. Das SHAB ist ein Wirtschaftsblatt ohne Schlagzeilen und Bilder. Ohne Börsencharts und Kommentare. In der Zeitung, die vom Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) herausgegeben wird, gilt gutschweizerisch: Alle Buchstaben gleich klein.

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SHAB ist der Ameisenhaufen der Schweizer Wirtschaftswelt

Seit 134 Jahren wird das SHAB randvoll abgefüllt mit amtlichen Hardcore-Kürzestmeldungen, fein säuberlich nach Kantonen geordnet: Firmen-Neueintragungen. Mutationen. Nachlassverträge. Arbeitszeitbewilligungen. Eine Chronologie in Uhrmacher-Präzision. Skandale und Horrorgeschichten? Gibt es auch. Man findet sie am ehesten in den Rubriken Konkurse, Schuldenrufe, abhanden gekommene Werttitel. Das SHAB ist der Ameisenhaufen der Schweizer Wirtschaftswelt. Oder, sprachlich eher auf den Werkplatz getaktet: Das grosse Brummen im Maschinensaal der original helvetischen Betriebswirtschaft.

Der Betrieb ist äusserst rege: Zwischen 1200 und 1500 Einzelmeldungen, angeliefert von den kantonalen Handelsregistern, erscheinen in jeder der fünf wöchentlichen Ausgaben. Aufgerechnet auf Markus Tanners Amtszeit dürften seit 1998 also um 5,7 Millionen Meldungen publiziert worden sein. Und weil das «SHAB» nun den Print-Tod stirbt, wird Tanner erstmals seinen Griffel spitzen und sich in der Ausgabe vom 29. Dezember melden: «Ich werde ein kleines Adieu verfassen.»

 

Opfer der Online-Revolution

Ins Erscheinungsjahr 1883 startete das junge Blatt mit beachtlichen 4300 Abonnenten. Und in den Blütezeiten kurz vor der Jahrtausendwende kam es auf gegen 25'000. Doch dann ging es bergab: «Die Abo-Zahlen waren im Sinkflug», berichtet Tanner, «die Print-Ausgabe hat sich quasi selber liquidiert». In Zahlen: Aktuell sind es noch 2500 Abos.

Der Auslöser dieser Entwicklung ist das Internet, dessen Boom im neuen Jahrtausend auch das SHAB erfasste. Seit 2002 hat das Blatt einen eigenen Internet-Auftritt. Und seit 2006 gilt sogar «online first». Seither ist die elektronische Ausgabe massgeblich; die Papierausgabe hatte nur noch informellen Charakter. Online boomt, auch beim SHAB: Aktuell zählt Tanner 500'000 Besucher monatlich, die in dieser Zeit um die drei Millionen Abrufe tätigen. Kalter Kaffe ist das SHAB also nicht. Aber «unsere Print-Zeit ist abgelaufen», weiss der Chef. So wie bereits 2008 der gedruckte Flugplan der Airline Swiss von uns ging, stirbt nun auch das Print-SHAB einen leisen Tod. Rest in peace, SHAB!

Markus Tanner

Markus Tanner, Redaktions- und Verlagsleiter des SHAB: «Die Print-Ausgabe hat sich quasi selber liquidiert.»

Quelle: ZVG

Dass er das Print-SHAB am 29. Dezember zu Grabe tragen muss, stürzt Tanner nicht in die Krise: «Ich bin nicht sonderlich traurig. Es ist einfach so, dass das SHAB jetzt definitiv im digitalen Zeitalter ankommt.» Bei den Lesern habe er «bestenfalls da und dort von einem Tränchen gehört. Mehr war da nicht.» 

Keine Chance für Bananenwerbung

Zum Ableben kam es, weil sich das Blatt betriebswirtschaftlich nicht mehr halten liess: «Bei dieser kleinen Auflage war der Produktionsabfall der Druckerei in Bern grösser als das, was tatsächlich für die Zeitung produziert wurde», erklärt der Redaktions- und Verlagsleiter. Was natürlich die Produktionskosten pro tatsächlich ausgelieferter Zeitung unverhältnismässig erhöhte.

Zwar sind solche sinkenden Schiffe manchmal mit neuen Einnahmen oder mit Preissteigerungen zu retten. Doch beim SHAB hätte beides nicht gegriffen, sagt Tanner: «Um kostendeckend zu sein, hätte man den Abo-Preis verdreifachen müssen.» Doch ein steiler Anstieg von den aktuell noch 175 auf neu über 500 Franken schien wenig erfolgsversprechend. Ebensowenig wie allfällige Produktwerbung: «Eine Bananenwerbung zwischen zwei Konkursmeldungen – das wäre wohl nicht angebracht und kaum sehr attraktiv», gesteht Tanner ein.

Ein «MySHAB» zum Ausdrucken

Lieber als von bald vergangenen Zeiten spricht Tanner von der Zukunft. Wenn nun also auch beim SHAB «online only» gilt, konzentriert man sich noch mehr auf dieses Feld. Und auf die Gratis-Kultur: Konnte man bisher für 50 Franken jährlich ein Online-Abo mit bedarfsspezifischer Recherche – etwa mittels Suchworten – lösen, so wird das ab 2018 kostenlos. Ab 1. Juli 2018, vespricht Tanner zudem, werde das SHAB zu einer «umfassenden Amtsblattplattform». Was Tanner mit diesem Wort-Ungeheuer meint: Das SHAB werde dann auch den Kantonen für die Veröffentlichung ihrer Amtsblätter zur Verfügung stehen, was noch bessere Recherchiermöglichkeiten bringen werde. 

Als weitere Neuigkeit präsentiert Tanner einen massgeschneiderten Online-Dienst: «Auf der neuen Amtsblattplattform wird man sich aus seinen Suchbegriffen ein eigenes SHAB zusammenstellen und layouten können.» Quasi ein MyShab also. Tanners Rat an ewige Print-Nostalgiker: «Wer will, kann das dann auch ausdrucken».

Andreas Güntert
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