Sehr weit von der New Yorker Wall Street entfernt, wo der chinesische Internethändler Alibaba am (heutigen) Freitag den grössten Börsengang der Geschichte anpeilt, schaffen chinesische Bauern dank der Handelsplattform den Sprung aus der Armut. So tauschen sie beispielsweise Traktoren gegen Luxusautos. «Wir wickeln jetzt alle unsere Geschäfte über das Internet ab», sagt Huang Jianqiao. Er gründete einen Online-Shop für Taschen und entkam so der Armut, in der er aufwuchs.

30 Millionen Yuan (umgerechnet 4,5 Millionen Franken) verdient er nun jährlich, fährt in einem schwarzen Jaguar zur Arbeit und verbringt seine Urlaube mit seiner Frau in Paris. Er ist einer von tausenden chinesischen Bauern, deren Leben Alibaba verändert hat.

Das chinesische Unternehmen dominiert den Internethandel des Landes. Es verbindet Elemente von Ebay, Amazon, Paypal und anderen westlichen Online-Diensten und erleichtert es kleinen und mittelständischen Unternehmen, Käufer für ihre Produkte zu finden.

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Etwa 20 «Taobao-Dörfer»

Analysten glauben, dass Alibabas Börsengang an der Wall Street einen Rausch unter Investoren auslösen und den Wert des Unternehmens auf 200 Milliarden Dollar treiben könnte. Weit von New York entfernt warten in Huangs Lager im Dorf Baigou ganze Berge von Kartons darauf, quer durch China ausgeliefert zu werden.

Ein zentraler Dienst von Alibaba ist die Plattform «Taobao» (zu deutsch: Schatzsuche) und dieser erlaubt es Huang, seine Handtaschen und Rucksäcke vor Ort zu produzieren und an Kunden im ganzen Land zu verkaufen. «Es gibt fast keine Zutrittsbeschränkung für die Seite, das ist sehr angenehm für viele von uns», erklärt Huang.

Baigou, gelegen in der nördlichen Provinz Hebei, ist eines der grössten der etwa 20 «Taobao-Dörfer» in China. Das sind ländliche Regionen, in denen auf Taobao tätige Online-Shops mindestens zehn Prozent der lokalen Bevölkerung beschäftigen und jährlich mehr als 10 Millionen Yuan einnehmen.

Lokale Arbeitsplätze dank Online-Handel

«Früher war meine finanzielle Situation schlecht, ich hatte weder ein Haus noch ein Auto», sagt Huang. «Aber jetzt habe ich die Möglichkeit, mit meiner Frau fremde Länder zu besuchen.»

In seinem Lager verpacken junge Angestellte fleissig Ledertaschen in Plastiktüten, werfen sie auf einen Haufen, von dort tragen Auslieferer sie fort. Die meisten "Taobao-Dörfer" produzieren ihre Artikel - ob T-Shirt, Tasche oder Weidenkorb - in kleinen Werkstätten und beschäftigen Bauern aus der Umgebung. Diese sind so nicht gezwungen, auf der Suche nach einem besseren Leben und höheren Löhnen in die Städte auszuwandern.

In Huang Jianqiaos Lager hängt der Duft von Leder in der Luft. Dutzende Mitarbeiter besticken pastellfarbene Handtaschen, Portemonnaies mit Blumenmuster und Rucksäcke mit dem Union Jack, andere ergänzen Reissverschlüsse und Schnallen. «Wir lassen uns von Chanel inspirieren», sagt Huang und nimmt eine kleine rote Tasche in die Hand. «Wir haben vielleicht keine grossartigen Designer, aber wir lernen von anderen Firmen.»

Traum vom eigenen Online-Geschäft

Li Dan ist 22 Jahre alt und klebt in Huangs Lager Adressen auf die Pakete. «Ich arbeite nur zehn Minuten von meinem Zuhause entfernt», sagt sie und verheimlicht nicht, davon zu träumen, eines Tages ihr eigenes Online-Geschäft zu eröffnen. «Viele, die hier arbeiten, haben schon ihren Online-Shop und betreuen ihn während ihrer Freizeit.»

Der 1999 vom einstigen Englischlehrer Jack Ma gegründete Alibaba-Konzern startete vier Jahre später den Dienst Taobao und profitierte vom enormen Wachstum des chinesischen Marktes. Heute sind bei Taobao 500 Millionen Nutzer registriert, der Markt für Online-Handel ist riesig. 2012 hatte er nach Schätzungen der US-Beratungsfirma McKinsey ein Umsatzvolumen von 210 Milliarden Dollar. Dieses Jahr könnte er den bisher weltweit grössten Markt überholen, den der USA.

(sda/ccr)