Abstand zum Migros-Hauptsitz: 34 Minuten. Abstand zu Google: 2 Minuten. Der kleine Gehdistanz-Vergleich zeigt: Sparrow Ventures, angesiedelt im Zürcher Hürlimann-Areal, liegt näher bei High Tech als bei hoher Migros-Macht.

Wenig ist bekannt über das Migros-interne Labor, das im Sommer 2018 in aller Stille eröffnet wurde. 56 Leute erdenken in Zürich und in einem Münchner Ableger eine Migros-Zukunft, die weniger orange aussehen soll. Dafür rosiger.

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«Ein kleines Team evaluiert und baut in schneller Weise neue Geschäfte auf. Dies in unternehmerischer Freiheit und bewusst räumlich getrennt von der Migros», sagt Felix Brunner, Chef von Sparrow Ventures. Wobei «Labor» nicht das richtige Wort sei: «Sparrow Ventures ist der Innovationsmotor, ein interner Venture Builder und Venture Capitalist.»

Finanzchef kommt von Tamedia

Das soziale Kapital als Venture Capitalist? Eine Ideenschmiede, die intern nicht spezifisch einem Department zugeordnet ist, sondern an Migros-Chef Fabrice Zumbrunnen direkt berichtet? Im Migros Valley ist einiges anders als gewohnt.

Das beginnt schon beim Namen. Warum «Sparrow» – englisch für Spatz – gewählt wurde, erklärt Brunner so: «Vögel sind die letzten noch lebenden Nachfahren der Dinosaurier. Spatzen gibt es weltweit überall, sie sind flink und fast nicht auszurotten.» Für den M-Spatz ergibt das: «Wir bringen hier kleine flinke Wesen hervor, die fast nicht auszurotten sind.»

E-Commerce, Fintech, Health, Logistik und noch etwas

Grundsätzlich, sagt Brunner, wolle man in fünf Geschäftsfeldern tätig sein. Dazu zählen E-Commerce, Fintech, Digital Health, Logistik und ein fünfter Bereich, der mit «Community, Lifestyle und Happiness» umschrieben wird.

Zur Fünffelderwirtschaft kommt ein Acker für Investment und M&A-Aktivitäten. Sparrow Ventures soll auch andere Firmen finanzieren und zukaufen können. Für den Auf- und Ausbau dieses Bereichs wurde kürzlich Lorenz Lüchinger verpflichtet, zuvor Head Portfolio Management beim Medienhaus Tamedia.

«Wetten auf die Zukunft»

Vielen altgedienten Migros-Angestellten raucht der Kopf. Während der orange Riese durch einen schmerzhaften Transformationsprozess geht, darf bei Sparrow frisch innoviert werden. Das weckt intern Kritik.

Sparrow-Chef Brunner sieht den Graben: «Ich habe Verständnis dafür, dass die Leute noch nicht genau wissen, was wir hier tun.» Dabei sei leicht zu verstehen, was vor sich gehe: «Wir innovieren hier nicht zum Spass, sondern schaffen Wertschöpfung für die Zukunft der Migros.» Neues wird dabei nach einem klaren Plan erdacht. Vereinfacht gesagt, besteht für jedes der fünf Suchfelder eine These, die den Raum absteckt. Dahinter steht eine Longlist, die über alle fünf Felder per Monitoring mehr als 30 000 Startups und Geschäftsideen weltweit auf den Radar nimmt. Daraus entsteht eine Shortlist, worauf eine Projektidee drei hauptsächliche Hürden nehmen muss.

Merkwürdig kommt es gestandenen Migros-Mitarbeitenden vor, dass dabei Felder wie E-Commerce oder Gesundheit beackert werden, die auch Mutter Migros pflegt. Brunner: «Die angestammten Migros-Betriebe pflegen die Operational Excellence – bei Sparrow Ventures denken wir radikaler. Wir lancieren Wetten auf die Zukunft.»

Sparrow Ventures wettet nicht alleine. Sondern in Zusammenarbeit mit der externen Firma Stryber. Gemäss Brunner ist der Corporate-Venture-Builder «ein strategischer Partner für den Aufbau des Venture-Building-Bereichs bei Sparrow Ventures». Ohne Valley-Speak geht es eben fast nie im Migros-Spatzennest.

Zwanzig Stellen schaffen

Sparrow-intern ist das Projekt Miacar am weitesten entwickelt. Es wurde mittels Firmengründung in die Selbstständigkeit entlassen. Miacar-CEO Dominic Mehr sieht für den rollenden Supermarkt starkes Wachstum und neue Einsatzgebiete: «In den nächsten zwölf Monaten liegt der Fokus für Miacar auf dem Ausbau des Liefergebiets in der Region Bern», sagt er, «ab Mitte 2020 sind auch weitere Regionen wie zum Beispiel Zürich und Basel denkbar.» Damit nicht genug: «Denkbar sind auch weitere Services wie Arzneimittel ausliefern oder PET-Flaschen und Post einsammeln.»

Felix Brunner hat andere Herausforderungen. Die grösste: «Die richtigen Leute mit unternehmerischer DNA für das Team finden.» Immerhin soll das Spatzennest grösser werden. Bis Jahresende 2019 will Sparrow Ventures in Zürich und München weitere zwanzig Stellen schaffen.

Miacar, Frozedose, Snäx: Das Trio aus dem M-Spatzennest

 Damit Sparrow Ventures eine Geschäftsidee in ein konkretes Projekt umsetzt, müssen drei Hürden genommen werden:

  • Das Vorhaben soll die Lebensqualität der Kunden verbessern;
  • es muss eine Daseinsberechtigung haben («right to play»);
  • das Geschäftsfeld muss attraktiv sein.

Sind die drei Hürden überwunden, kommt das Projekt in einen einwöchigen «Themenvalidierungs-Sprint». Nächste Stufe: Es wird ein Prototyp erstellt, darauf wird ein Minimal Viable Product (MVP) lanciert, ein minimal funktionsfähiges Produkt. Im Erfolgsfall kommt es danach zur Ausgründung. Von der Themenvalidierung bis zum Ende des MVP dauert es sechs bis neun Monate.

Sparrow Ventures verfolgt das Ziel, pro Jahr zehn Themen bis zum Stand eines MPV zu bringen.

  • Miacar: Das Projekt mit dem rollenden Supermarkt war die erste Wette von Sparrow Ventures. Es lief im Oktober 2018 im Raum Bern an und ist am weitesten fortgeschritten. Im Frühling 2019 kam es zu einer Ausgründung; das Projekt wurde selbstständig. Aktuell besteht das Miacar-Team aus vierzig Köpfen und wird von einem eigenen CEO geführt. Wachstum steht auf der Agenda: Ende 2019 sollen es bereits sechzig bis achtzig Köpfe sein.
  • Frozedose: Im April 2019 wurde in Deutschland ein MVP-Konzept mit Tiefkühl-Smoothies gestartet, die online und im Abo bestellbar waren. Nach drei Monaten wurde Frozedose gestoppt. Geschmacklich sei es gut angekommen, doch die Nachfrage nach Abos lag unter den Erwartungen. Aktuell wird in der Migros-Gruppe nach einem «besten Eigentümer» gesucht.
  • Snäx: Die dritte Wette von Sparrow Ventures stammt aus dem Bereich der betrieblichen Verpflegung. Das MVP-Konzept Snäx ging im Mai 2019 an den Start. Dabei gehts es um einen Kühlschrank, der in Büros aufgestellt wird. Kunden können per App warme und kalte Gerichte (die meisten davon nicht von der Migros) einkaufen und bewerten. Während der laufenden Pilotphase sind Kühlschränke bei mehreren Firmen im Raum Zürich installiert.
Andreas Güntert
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