Der Abgang war leise. Mehr als zehn Jahre war Novartis-Lenker Daniel Vasella Stammgast beim Weltwirtschaftsforum in Davos. Seine Auftritte vor 2000 Teilnehmern und mehr auf der grossen Bühne des Kongresszentrums genoss er sichtlich. Doch für den Schlussakt verbannte ihn das WEF in einen Nebenraum mit 200 Zuhörern. Die Teilnehmer an der Diskussion über «widerstandsfähige Unternehmen» waren zudem kaum auf seinem Statusniveau. Der amerikanische Multi General Electric hatte nur einen seiner Vizepräsidenten geschickt, und dann sass da noch der Chef einer Unternehmensberatung, an die Vasellas Konzern bislang vor allem Aufträge erteilte. Nach weniger als einer Stunde war alles vorbei, und der einst von der «Financial Times» zum einflussreichsten Wirtschaftsführer Europas gekürte Pharmaveteran verliess die grosse Managerbühne für immer.

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Der trübe Abschied des 59-Jährigen wirkte wie eine Rache des Forumsgründers Klaus Schwab, der mehrfach gefordert hatte, dass Manager nicht mehr als das Zwanzigfache ihres schlechtestbezahlten Mitarbeiters verdienen sollten. Rekordhalter Vasella dagegen bezog bis zum 700fachen. Seinen Vor-Ruhestand wollte er sich durch eine mehrjährige Konkurrenzverbotsklausel mit bis zu 72 Millionen Franken in sechs Jahren vergolden lassen - verzichtet nach einer Welle Empörung nun jedoch auf die Entschädigung. 

Der Widerhall in der Öffentlichkeit war zuvor riesig. Das sei «wie zwei Mal Weihnachten», frohlockte Thomas Minder, der Vater der Abzocker-Initiative, und die Umfragewerte für ein Ja anlässlich der Abstimmung am 3. März schossen durch die Pläne für Vasellas weltweit einmalige Frühpensionierungs-Zahlungen in die Höhe. Beim Wirtschaftsdachverband Economiesuisse, der Minders Vorhaben um fast jeden Preis verhindern will, steigerte Vasellas Abschiedsprämie den Unmut über das starrköpfige Vorstandsmitglied, das seit seinem Eintritt 2010 mehr Fluch als Segen für den Verband war. Dass er dort gleich noch trotzig seinen Austritt erklärte («Da bin ich sowieso nicht genehm»), machte ihn endgültig zur Hassfigur der Wirtschaft.

Aktienkurs fiel unter seiner Doppelführung

Freunde hat er keine mehr. Selbst langjährigen Weggefährten fällt keine Person ein, die ihm wirklich nahesteht. Im Wirtschaftsestablishment ist er ein Outsider, im Basler Daig rümpft man die Nase. «Endlich», kommentiert Headhunter Bjørn Johansson seinen Abgang – und spricht damit der grossen Mehrheit der Wirtschaftsführer aus dem Herzen.

Vasella tritt ab als Unvollendeter. Da er seinen Traum des Pharmaweltmarktführers nach den gescheiterten Versuchen der Übernahme von Roche und Aventis nicht umsetzen konnte, blies er 2006 zu einer radikalen Strategieumkehr, deren Erfolgsbeweis noch aussteht (siehe «Fehlender Erfolgsbeweis»). Unter dem Unwort der «fokussierten Diversifikation» baute er ein Gesundheitskonglomerat, das massiv unter Druck steht. Dass die Verkündung seines Rücktritts den Kurs um mehr als vier Prozent in die Höhe trieb, ist das klarste Verdikt über seine Amtszeit. Offensichtlich trauten ihm die Aktionäre die harten Schnitte nicht mehr zu.

Zu lange mussten sie darben: Der Aktienkurs verlor seit der Ankündigung seiner Doppelmandatsübernahme Anfang 1999 mehr als 10 Prozent und liegt deutlich hinter dem Rivalen Roche (plus 14 Prozent) und dem S&P-Pharmaindex (siehe Grafik «Überflügelt» unter 'Downloads'). Dass ihm an der Generalversammlung am 22. Februar bei einem Antritt zur Wiederwahl viele Gegenstimmen gedroht hätten, hat seinen Rücktrittsentscheid sicher befördert. Unangefochtene Spitze war Vasella nur in einem: Er schuf sich ein System der Bereicherung, das in der Unternehmenswelt einzigartig ist.

Familienbande

Dabei sah es am Anfang gar nicht danach aus. Als Oberarzt am Inselspital in Bern deutete nichts auf eine Geschäftskarriere hin. Aufstiegs- und Verdienstmöglichkeiten waren im Arztberuf jedoch gering. Also nutzte der 35-jährige Vasella seine Famillienbande. Seine Frau Anne-Laurence, mit der er seit Studienzeiten verheiratet ist, ist die Nichte des Sandoz-Chefs Marc Moret.

Bis zuletzt spielte Vasella diese Kontaktanbahnung herunter und verwies auf den damaligen Pharmachef Max Link als seinen Erstkontakt bei Sandoz. «Max Link ermutigte mich sehr, bei Sandoz einzusteigen», sagte er noch am Tag seines Rücktritts gegenüber der «Basler Zeitung». Nur einmal, in einem Interview mit den «OnlineReports» 1998, sprach er die Wahrheit aus: «Marc Moret hat mir den Tipp gegeben, Max Link anzurufen.»

Dem Begehren des allmächtigen Moret widersetzte sich niemand im Sandoz-Reich. Weder bei seiner Einstellung 1988 ohne Managementerfahrung noch bei seiner Kür zum Chef des Fusionskonzerns 1996 spielte der – bei CEO-Berufungen ohnehin schlecht funktionierende – Markt, auf den sich Vasella später so oft als Begründung für seine zweistelligen Millionenpakete berief. Moret protegierte den Mann seiner Nichte, Headhunter kamen nicht zum Zug. Wären sie beauftragt worden, hätten sie kaum einen jungen Arzt mit spärlicher Managementerfahrung zum Chef eines Fusionskonzerns empfohlen.

Vasella installierte Vergütungsausschuss

Das grosse Geld gab es in den frühen Jahren nicht. «Selbst nach der Fusion war meine Vergütung noch deutlich tiefer als die von vergleichbaren Kollegen», schrieb Vasella im November 2002 im US-Magazin «Fortune». Der Bremser war Alex Krauer. Der langjährige Ciba-Geigy-Chef steuerte als Präsident des neuen Novartis-Verwaltungrats auch den vierköpfigen Verwaltungsratsausschuss, dem neben ihm Vasella und die beiden Vizepräsidenten Helmut Sihler und Hans-Jörg Rudloff angehörten. Dieser Ausschuss legte die Bezahlung fest. Zwischen einer und zwei Millionen Franken für den Konzernchef, so schätzen Branchenkenner den Lohn von Vasella für die Jahre 1997 und 1998. Mehr wollte Krauer nicht zahlen.

Freie Bahn bekam Vasella erst mit dessen Rücktritt und der Übernahme des Doppelmandats im April 1999. Er stieg zum wohl mächtigsten Chef eines europäischen Konzerns auf: Er vereinigte beide Ämter auf sich, und das Aktionariat war breit gestreut. Als Schutzmassnahme hatte Novartis extra festschreiben lassen, dass jeder Aktionär mit einem Anteil von mehr als zwei Prozent seine Stimmen nur bei ausdrücklicher Zustimmung des Verwaltungsrats ausüben konnte – den Vasella selbst leitete. Starke Familienaktionäre, wie etwa beim Nachbarn Roche, hatte er nicht zu fürchten.

Todsünde 

Sofort installierte er einen Vergütungsausschuss – und trat dort selbst ein. Das war zwar nach angelsächsischer Praxis eine Todsünde, denn es gilt als Tabu, dass jemand seinen eigenen Lohn festlegt. Doch die Vizepräsidenten Rudloff und Sihler, beide im neuen Vergütungsausschuss dabei, nickten nur.

Um seinen Lohn hochzuschrauben, brauchte Vasella die Vergleichszahlen der Kokurrenz. Er siedelte das Projekt ganz oben an und stellte als Human-Resources-Chef den Briten Norman Walker ein, der wie er selbst eine Kurzausbildung in Harvard absolviert hatte. Er platzierte ihn direkt in dem siebenköpfigen Führungsgremium. Eine Berufung mit Signalwirkung: Es war ungewöhnlich für einen Grosskonzern, den obersten Personalverantwortlichen in der Konzernleitung zu haben. Doch er hatte eine wichtige Aufgabe: dem Chef Daten für den geplanten Lohnsprung zu liefern.

Walker machte sich mit Hochdruck an die Arbeit. Unterstützung fand er bei der amerikanischen Beratungsfirma Towers Perrin, der Firma mit der damals besten Gehaltsdatenbank der Welt. Sie war in den USA berüchtigt: Die Berater lieferten den Chefs die detaillierten Zahlen der Konkurrenz und förderten so die gigantische Aufschaukelung der Cheflöhne ab 1980. Towers Perrin stand in den USA stark in der Kritik, denn sie verdiente an der Gehaltsspirale massiv mit.

«Das gesamte Geschäft der Beratung für die Bezahlung von Topmanagern scheint ein eleganter Weg gewesen zu sein, um dem Chef exzessive Vergütungen zu sichern», urteilte der «Economist». Die Gefahr war besonders gross, wenn die Berater wie in diesem Fall direkt von der Konzernleitung angestellt wurden. In England und den USA ist das längst untersagt. Denn da hatten sie vor allem eine Aufgabe: mit ihren Vergleichszahlen zu belegen, dass der Chef unterbezahlt war. Krauer hatte sich immer gegen diese Berater gewehrt.

Doch der war ja weg. Und so legte der Vergütungsausschuss, von Präsident Vasella selbst gelenkt, für den Konzernlenker das üppigste Lohnpaket eines börsenkotierten Konzerns in Europa fest: 3 Millionen Franken in bar, dazu etwa 17 Millionen in Aktien und Optionen. Das Besondere daran: Die sogenannten variablen Lohnbestandteile waren zum Grossteil nur fünf bis zehn Jahre gesperrt, ihre Zuteilung war nicht an die Entwicklung des Aktienkurses gekoppelt. Wirklich variabel, wie Vasella behauptete, waren sie also nicht. Dazu kamen extreme Abgangsentschädigungen: drei Jahreslöhne beim Ausscheiden aus der Firma, bei einem Verkauf sogar fünf – bis zu 100 Millionen Franken. Es war der grösste Lohnsprung in der Schweizer Wirtschaftsgeschichte: Vasella erhöhte seinen Lohn von etwa 2 auf 20 Millionen, ohne dass Gewinn oder Aktienkurs gestiegen wären. Dazu kam eine sehr lange Laufzeit: Die Vereinbarung sollte zehn Jahre gelten – bis 2009.

Rudloff und Sihler machten mit. Sie handelten genau so, wie es der amerikanische Investor Warren Buffett kritisierte: Weil die Vergütungsausschüsse «nicht ihr eigenes Geld ausgeben», handelten sie oft so, «als verteilten sie Spielgeld». Mit harten Marktverhandlungen hatte das nichts zu tun. Im Gegenteil: Es lohnte sich für sie sogar, Vasella viel zu zahlen. Denn auch ihre Bezahlung stieg ordentlich. Durchschnittlich 150 000 Franken bezogen die Verwaltungsräte 1998, jetzt kam Sihler als Lead Director und Vorsitzender des Vergütungsausschusses auf fast eine Million Franken, Rudloff brachte es fast auf eine halbe Million. Und auch für den HR-Chef Norman Walker lohnte sich das Geschäft: Er verliess Novartis nach nur drei Jahren mit einem geschätzten Vermögen von zehn Millionen Franken, davon mindestens 1,5 Millionen Abfindung.

Ganz geheim 

Wohlgemerkt: Vasellas gigantische Lohnsteigerung geschah heimlich. Weil es noch keine Offenlegungspflichten in der Schweiz gab, wussten weder die Mitarbeiter noch die Aktionäre davon – und auch Alex Krauer nicht. Erst als die Schweiz nach dem Skandal um die Abfindung des langjährigen ABB-Lenkers Percy Barnevik die Transparenzvorschriften erhöhte, musste Vasella Anfang 2003 seinen Lohn offenlegen: 20,2 Millionen Franken gemäss Steuerwert – der Marktwert dürfte bei über 30 Millionen gelegen haben. Es war das höchste jemals offen ausgewiesene Lohnpaket in Europa. Um die Entrüstung abzufedern, lieferte die Presseabteilung eine Liste der Gehaltspakete anderer Mitbewerber mit, zusammengestellt von Towers Perrin.

In der sogenannten Peer Group Review wurden elf Unternehmen aufgeführt. Der US-Weltmarktführer Pfizer führte mit einem Chefgehalt von 25,8 Millionen Dollar die Liste an. Es gab nur zwei Europäer auf der Liste, die Briten GlaxoSmithKline und AstraZeneca. Deren Chefs belegten mit 9,3 Millionen und 2,9 Millionen Dollar den drittletzten und den letzten Platz – trotz vergleichbarer Grösse der Unternehmen. Andere europäische Pharmakonzerne wie Sanofi oder Aventis aus Frankreich, Schering oder Bayer aus Deutschland oder die holländische AkzoNobel fehlten in der Aufstellung. Sie zahlten ihren Chefs deutlich weniger. Als Lenker des Vergütungsausschusses hatte Vasella die Konkurrenz passend auswählen lassen.

Nachdem er auch für das Folgejahr wieder fast 20 Millionen ausgewiesen hatte, meldete sich ein wütender Alex Krauer zu Wort. Er schickte 2004 der «Neuen Zürcher Zeitung» einen Leserbrief mit dem Titel «Es braucht den Sinn fürs Mass». Krauer ortete die Schwachstellen des Vergütungssystems «erstens beim Scheinargument der Marktkräfte angesichts der Verflechtungen und Interessenkonflikte zwischen den Anbietern und Nutzniessern der sogenannten salärrelevanten Marktdaten. Zweitens bei der ungleichen Machtverteilung zwischen dem CEO und dem Vergütungsausschuss des Verwaltungsrats bei der Festlegung des Salärpakets und der massgebenden Bemessungskriterien. Drittens bei der Gefahr unternehmerischer Fehlentscheide, wenn Konzernchefs ihre Motivation und ihren Selbstwert aus ihrer Remuneration schöpfen und dieser Aspekt bei ihren Entscheiden eine Rolle spielt. Viertens beim Schaden am liberalen Gedankengut, wenn Exponenten der Marktwirtschaft die Bodenhaftung verlieren und damit Vertrauen und Akzeptanz in breiten Kreisen der Bevölkerung verspielen.»

Krauers Abrechnung 

Es war eine kaum kaschierte Abrechnung mit seinem Nachfolger Vasella. Die Marktkräfte sind nur Scheinkräfte, denn von den «sogenannten salärrelevanten Marktdaten» profitieren die Berater genauso wie der Konzernchef, weshalb sie ein Aufschaukelungsinstrument sind. Und: Der Vergütungsausschuss wurde von Vasella beherrscht, der das System eingeführt hatte, als er den Ausschuss die ersten beiden Jahre selbst lenkte (bis zum April 2001) und sein Millonenpaket festlegen liess.

Doch Vasella zog unbeirrt zehn Jahre lang die Rekordeinkünfte durch – getreu der Antwort auf die Frage in seinem Abschiedsinterview der «Aargauer Zeitung», warum er nicht auf seinen Lohn verzichte: «Ich möchte sehen, wer aufsteht und sagt, dass er seinen Lohn nicht nimmt.» Laut offiziellen Novartis-Angaben hat er zwischen 2002 und 2012 Lohnpakete im Wert von knapp 200 Millionen Franken bezogen (siehe Grafik «Keiner verdiente mehr» unter 'Downloads'). Dass die wahren Werte deutlich höher lagen, zeigt allein schon sein Aktienanteil an Novartis: Seine 3,1 Millionen Aktien sind heute fast 200 Millionen Franken wert, dazu kommen noch einmal 1,6 Millionen Optionen. Berechnet man die Pakete zu Marktpreisen und rechnet auch die Pakete der nicht ausgewiesenen Jahre hinzu, dürften die Gesamtbezüge bei fast 400 Millionen Franken liegen. Vasella ist damit mit grossem Abstand der höchstbezahlte Manager der Schweizer Wirtschaftsgeschichte.

Dass der Druck auf das veraltete Vergütungssystem mit seinen vom Aktienkurs abgekoppelten Leistungsvorgaben und den üppigen «goldenen Fallschirmen» stetig stieg, schien Vasella eher anzustacheln. Mit Ethos-Direktor Dominique Biedermann lieferte er sich fast jährlich an der Generalversammlung einen Schlagabtausch, und jedes Mal gewann der kämpferische Aktionärsvertreter an Zustimmung. Vasellas Erzrivale Franz Humer nutzte dessen offene Flanke: Goldene Fallschirme gebe es bei Roche nicht, und die variable Vergütung sei an den Aktienkurs gebunden. Immerhin stoppte Vasella den Versuch, sein Paket erklären zu wollen. Ab 2005 lautete die Standardantwort nur noch: «Das hat der Verwaltungsrat entschieden.»

Vasellas Alleinherrschaft

Doch der entschied nicht viel. Auf seinen Getreuen Sihler, der die Pensionsgrenze bereits überschritten hatte und mit einer Sondergenehmigung bis 2006 weitermachte, folgte der andere Vizepräsident als Leiter des Vergütungsausschusses: Hans-Jörg Rudloff, Chairman der englischen Investmentbank Barclays Capital. Dort war die variable Bezahlung schon längst an die Aktienperformance gekoppelt, doch das kümmerte Rudloff nicht. Er bezahlte einfach weiter auf der Basis des 1999 von Vasella mit ihm ausgehandelten Vertrags. Gross diskutiert wurde darüber nicht, es kam sogar vor, dass der viel beschäftige Mann mit dem Arbeitsort im Londoner Bankenviertel Canary Wharf vor dem Flug nach Basel gar nicht wusste, dass der Vergütungsausschuss über Vasellas Lohn beraten sollte. Auch als Vasella sein wichtiges Argument der «marktüblichen Bezahlung» abhandenkam und er zum höchstbezahlten Pharmachef der Welt aufstieg, obwohl Novartis nach Gewinn und Börsenwert lange nicht die Nummer eins war, griff Rudloff nicht ein. Und auch die längst weltweit verpönten Abgangsentschädigungen blieben bestehen. Der Deutsche Ulrich Lehner, wie Sihler langjähriger Chef des deutschen Konsumgüterherstellers Henkel und dessen Nachfolger als Lead Director bei Novartis, kündigte zumindest das Ende der Abgangsentschädigungen mit dem Auslaufen von Vasellas Vertrag per 2009 an.

Dieses Ende von Vasellas Vereinbarung aus dem Jahr 1999 wäre für den Verwaltungsrat die Chance gewesen, auf die Kritiker zuzugehen. Doch Vasella hatte den Konzern so stark auf sich zugeschnitten, dass die Verwaltungsräte ohne ihn hilflos waren. Den Grossteil hatte er selbst ausgesucht und mit einem üppigen Honorar bedacht – im Durchschnitt mit 600 000 Franken. Erfahrene Pharmamanager, die ihm fachlich Paroli bieten konnten, suchte man vergeblich. Vasella hatte seinen Verwaltungsräten sogar ein Redeverbot in der Öffentlichkeit erteilt und wurde selbst bei leichten Verstössen sehr unangenehm. Als er Anfang 2008 streute, dass sein Vertrag ein Jahr später auslaufe und sein Verbleib unsicher sei, reagierte das Gremium fast panisch. Vasella sei wie das Pferd vor der Kutsche von Novartis, überhöhte ihn Lead Director Lehner: «Wenn das Pferd nicht da ist, funkioniert auch die Kutsche nicht.»

Das war die Folge von zehn Jahren Doppelmandat: Vasella beherrschte den Konzern total. Er suchte nicht nur die Gemälde, die Fische und die Begrünung für den neuen Novartis-Campus in Basel in Eigenregie aus. Er hatte auch eine Kultur der Angst geschaffen, wie sie in dieser Form in einem Schweizer Weltkonzern einmalig war. Er scheute sich nicht davor, Konzernleitungsmitglieder vor anderen blosszustellen, etwa indem er sie im Gespräch nach zwei Sätzen abklemmte, wie Betroffene berichten. Gerne verteilte er auch den gleichen Auftrag an zwei oder drei Personen in seinem Kader, um zu schauen, wer die beste Lösung bringe. Die Betroffenen erfuhren dies meist erst im Nachhinein. «Eine Atmosphäre der Angst» herrsche in der Kernsparte Pharma, räumte selbst der 2010 von Vasella zum CEO gekürte Joseph Jimenez ein.

Seine Manager wussten nie, woran sie waren. Wie ein launischer Vater verteilte er seine Gunst und entzog sie wieder. Dutzende Anekdoten über das harte Eingreifen Vasellas kursieren in der Belegschaft. Etwa jene, dass Vasella vor einiger Zeit unangemeldet in den USA seine Aufwartung gemacht habe. Der Länderchef vor Ort soll just dann einen freien Tag eingezogen haben, um in Florida golfen zu gehen. Das sei der Todesstoss für dessen Karriere gewesen. Novartis wollte dazu keine Stellung nehmen.

Selbst engen Vertrauten konnte er abrupt seine schützende Hand entziehen. Das zeigt sich am Beispiel des langjährigen Novartis-Topmanns Jörg Reinhardt, der nun sein Comeback als Präsident feiern darf (siehe «Mehr Schlagkraft für die Sparten»). Eiskalt stellte ihn Vasella bei der Regelung seiner Nachfolge als CEO 2010 ins Abseits, als er nicht ihn – als COO eigentlich die logische Nummer zwei –, sondern Outsider Jimenez an die Spitze setzte. «Eine brutale Demontage», so ein Kollege aus der Geschäftsleitung. Über ein Dutzend Jahre hatten Vasella und Reinhardt Seite an Seite gewirkt, Vasella hatte von seinem Mann geschwärmt und ihn in Schlüsselpositionen platziert, etwa als Entwicklungschef.

Zum Abgang gezwungen

Kippte die Gunst, griff Vasella oft zum gleichen Mittel, um Leute loszuwerden: Er desavouierte sie mit einem minderwertigen internen Jobangebot, sodass ihnen nur der Abgang blieb. Zusammen mit Reinhardt verliessen damals mit Andreas Rummelt und Thomas Wellauer zwei weitere langjährige Gefährten den Konzern. Den als Kronprinzen gehandelten langjährigen Pharmachef Thomas Ebeling hatte Vasella schon zuvor ohne Vorankündigung abgeschoben.

Aus Sicht des Verwaltungsrats war der allmächtige Vasella jedoch unersetzlich, und deswegen konnte er auch bei seiner Vertragsverlängerung die Bedingungen diktieren. Es war an seinem langjährigen Weggefährten Rudloff (Vasella über Rudloff: «Wir lachen viel»), ihm den letzten Dienst zu erweisen. Als Leiter des Vergütungsausschusses segnete er Vasellas letzten Vertrag ab – und trat im Februar 2011 aus dem VR aus. Mit angeblichen Marktsalären argumentierte längst niemand mehr ernsthaft: Rudloff schob Vasella im ersten Jahr seines Präsidentendaseins eine Pensionsgabe von 12 Millionen Franken zu, dazu kam ein Salär von 13 Millionen. Damit war er mit grossem Abstand der höchstbezahlte VR-Präsident der Welt. Zum Vergleich: Der Präsident des britischen Rivalen GlaxoSmithKline bezieht eine Million Franken, sein Pendant bei AstraZeneca 750 000 – bei gleich hohem Gewinn wie Novartis. Rudloff haben seine Dienste über die Jahre an die zehn Millionen Franken eingebracht. Als Krönung sicherte er Vasella die Konkurrenzverbots-Entschädigung zu.

Über die Bezahlung dafür schwieg sich Vasella aus, bis ein Pressebericht den Deal bekannt machte. Es seien marktübliche Konditionen, betont er zuvor stets. Da zeigt er sich zum Ende seines Managerlebens kreativ – einen Markt für beratende Ehrenpräsidenten gab es bisher nirgends auf der Welt. Von Alex Krauer sind derlei Ansprüche nicht bekannt. Der heute 81-Jährige ist bereits seit 14 Jahren Ehrenpräsident von Novartis. Für dieses Amt verzichtete er bislang auf «marktübliche Konditionen». Er wüsste wohl gar nicht, was das sein sollte.