Volkswagen-Chef Herbert Diess hat mit Aussagen zu möglichen Stellenstreichungen scharfen Protest des Betriebsrats ausgelöst. Insidern zufolge warnte Diess Ende September im Aufsichtsrat vor dem Szenario eines Abbaus von bis zu 30'000 Stellen in Deutschland. Zuerst hatte das «Handelsblatt» am Mittwoch darüber berichtet. Die neue Betriebsratschefin Daniela Cavallo forderte vom Konzernvorstand eine Stellungnahme, weil sich die Belegschaft Sorgen mache. Es müsse sofort unmissverständlich klargestellt werden: «Es gibt keine Gedankenspiele über irgendeinen Arbeitsplatzabbau.» Ein VW-Sprecher erklärte daraufhin: «Ein Abbau von 30'000 Stellen ist kein Thema. Dazu gibt es keine Pläne.»
Die Wogen gingen damit kurz vor wichtigen Beschlüssen über Investitionen und Ziele für die nächsten fünf Jahre hoch, die am 12. November Thema im VW-Aufsichtsrat sind. Der Vorgang stellt ausserdem das oft schwierige Verhältnis von Management und Betriebsrat auf die Probe, das mit dem Abgang von Cavallos Vorgänger Bernd Osterloh eine Chance zu einem Neuanfang hatte.
Stellenabbau durch Umstellung auf E-Autos
Diess habe zur Überraschung des Gremiums vor einem drastischen Stellenabbau durch die Umstellung auf Elektroautos gewarnt, sagten Insider. Die Zahl 30'000 sei gefallen, wenn auch nicht als Ankündigung eines neuen Plans. Das «Handelsblatt» hatte zuvor berichtet, der Konzernchef habe abermals einen Eklat ausgelöst. In Aufsichtsratskreisen hiess es, die Vertreter von Eigentümern und Arbeitnehmern teilten grundsätzlich Diess' Einschätzung, dass der Handlungsdruck gross ist. Jetzt gehe es darum, wie vor allem das Stammwerk Wolfsburg für die Elektromobilität fitgemacht werde.
Volkswagen stellt bereits die Standorte Zwickau, Emden und Hannover von Verbrenner- auf Elektroautos um. Das Hauptwerk soll 2026 mit dem autonom fahrenden Elektro-Modell Trinity folgen. VW-Betriebsratschefin Cavallo forderte kürzlich, Wolfsburg müsse schon 2024 ein volumenfähiges E-Automodell produzieren, um für genügend Auslastung zu sorgen.
Auch Diess gehe die Umstellung in Wolfsburg zu langsam, sagte ein Insider. Der Standort müsse sich angesichts des Konkurrenten Tesla, der bald seine erste Fabrik in Europa in Grünheide bei Berlin eröffnet, mit seiner Wettbewerbsfähigkeit befassen, sagte der VW-Sprecher. «Tesla in Grünheide wird neue Massstäbe in der Produktivität und bei den Skalen setzen.» Die Debatte sei jetzt angestossen. Der US-Elektroautobauer brauche nur zehn bis zwölf Stunden Arbeitszeit pro Auto, VW für seine ersten E-Autos ID.3 und ID.4 dagegen 33 Stunden, hiess es im Unternehmen.
Abbau von 30'000 Stellen «absurd»
Der Betriebsrat von VW wollte sich zu den Interna aus dem Aufsichtsrat nicht äussern. «Unabhängig davon gilt aber: Ein Abbau von 30'000 Arbeitsplätzen - das wäre in der Volkswagen AG jeder vierte - ist absurd und entbehrt jeder Grundlage», erklärte die Vertretung der Beschäftigten. Eine solche Zahl sei nicht diskutabel, hiess es auch von der IG Metall. Das sei ein Frontalangriff auf die bei VW schon laufende Transformation der Branche weg vom Verbrenner hin zum E-Auto.
Volkswagen sei schon dabei, den Wandel fair für alle Seiten zu gestalten, erklärte der Sprecher der IG Metall Niedersachsen. Nach einer Studie des Fraunhofer Instituts kann VW den mit der E-Mobilität einhergehenden Arbeitsvolumenrückgang über sozialverträglichen Stellenabbau und neue Jobs etwa in der Batteriefertigung bewältigen. Ausserdem sind betriebsbedingte Kündigungen bis 2029 ausgeschlossen.
(reuters/gku)