Bei einem kürzlichen Abendessen mit einem langjährigen Weinfreund brachten wir beide jeweils eine Flasche blind mit. Während ich mich für einen gereiften weissen Rioja entschied, füllte sich mein Glas mit einer ziegelroten Flüssigkeit, deren bräunliche Ränder bereits einiges verrieten.
Kaum eingeschenkt, hebe ich das Glas zur Nase: Eine intensive, minzige Grünnote springt mir entgegen. Ich tippe frech auf einen sehr alten Bordeaux vom rechten Ufer und liege prompt daneben. Burgund!
Die nächste Frage meines Gegenübers: Handelt es sich um einen bekannten Produzenten in einem kleinen Jahrgang oder um einen grossen Jahrgang von einem weniger renommierten Weingut? Ein Schluck genügt und ich lege mich fest: Variante eins. Was da im Glas ist, schmeckt hinreissend. Keinerlei Anzeichen von Pilzgeruch oder Oxidation. Und das bei einem Wein, der sich mindestens ein halbes Jahrhundert alt anfühlt. Wir müssen es mit einem grossen Jahrgang zu tun haben.
Erneut liege ich falsch. Das Jahr: 1974. Frühjahrsfröste, ein kühler und verregneter September, sogar vereinzelt Schnee. Wie kann ein über 50-jähriger roter Burgunder aus einem schwachen Jahr derart brillieren?
Sie ahnen es bereits.
Spitzenweingüter, wie im vorliegenden Beispiel die Domaine de la Romanée-Conti, machen nicht erst seit gestern Wein. Ihr Wissen ist das Ergebnis jahrhundertelanger Erfahrung und kompromisslosen Qualitätsstrebens. Und so entsteht selbst in einem vermeintlich kleinen Jahr ein grosser Tropfen.
Wie eben dieser 1974er Échézeaux. Betörende Frische, perfekte Balance und eine verführerisch süsse Frucht auf einem seidigen Gaumen. Gänsehaut. Herzlicher Dank, lieber Jürg!