Der Skandal um die Nachtclub-Abende auf Firmenkosten und um die umstrittenen Beteiligungsgeschäfte des Ex-Raiffeisen-Chefs Pierin Vincenz hat das Zeug, in einen Justizskandal zu münden. Staatsanwalt Marc Jean-Richard-dit-Bressel ist mit seiner kunstvollen und episch langen Anklage krachend gescheitert. Die Folge ist, dass sich die Betroffenen noch Jahre gedulden müssen, bis über sie ein Urteil ergeht. Das erschüttert das Vertrauen in die Justiz. 

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Sicher, auch die Verteidiger von Vincenz und die seines Partners Beat Stocker haben es verstanden, mit allerlei Versiegelungsanträgen das Verfahren in die Länge zu ziehen. Aber die Eröffnung des Strafverfahrens jährt sich in diesen Tagen bereits zum sechsten Mal. Und nach der Ablehnung der Anklageschrift durch das Obergericht dürfte es nochmals um die zwei Jahre dauern, bis ein neues, erstinstanzliches Urteil vorliegt. Danach dürfte der Fall an die nächste Instanz gehen. Womit zwischen Aufnahme der Ermittlungen und einem finalen Urteil wohl um die zehn Jahre vergehen dürften. Dann wäre Pierin Vincenz bereits über siebzig. Ein Prozessbeteiligter ist im Laufe des Verfahrens bereits verstorben. 

Aufhebung des Urteils ist ein Phyrrus-Sieg

Damit stellt sich die Frage, ob eine so lange Verfahrensdauer einem Rechtsstaat wie jenem der Schweiz würdig ist. Auf dem Papier gelten Vincenz, Stocker und die früheren Mitangeklagten bis zu einem finalen Urteil als unschuldig. Doch das ist eine juristische Fiktion, im Urteil der meisten Menschen dürften die Beteiligten spätestens seit dem nun aufgehobenen erstinstanzlichen Urteil vermutlich als schuldig angesehen werden. 

Die erneute Verzögerung eines Urteils in dem komplexen Fall ist daher nur ein Pyrrhussieg für die Betroffenen. Denn solange kein Entscheid fällt, bleiben ihre Vermögenswerte gesperrt. Und die möglichen Schadenersatzansprüche der Privatkläger wie Raiffeisen verteuern sich immer weiter, weil diese verzinst werden. 

Die Verantwortung für die jüngste Verzögerung liegt ganz klar bei der Staatsanwaltschaft. Sie wollte zu viel und schoss in der extrem ausführlichen Klage weit über das Ziel hinaus. Geradezu peinlich wirkt es, dass einem Französisch sprechenden Angeklagten trotz mehrmaliger Proteste seinerseits die Anklage nicht vollständig und rechtzeitig auf Französisch zugestellt wurde, womit seine Rechte auf ein faires Verfahren verletzt wurden.

Ob die Beteiligungsgeschäfte von Vincenz und Stocker als Betrug zu werten sind, ist auch unter Juristen umstritten. Der Fall ist komplex. Doch die Justiz muss in der Lage sein, auch solche komplexen Fälle in angemessener Frist bearbeiten zu können. 

Nun beginnt die juristische Aufarbeitung der Causa Vincenz wieder bei null. 

 

Holger Alich
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