Monatelange Lockdowns, Wirtschaftskrise und die Angst um die persönliche Gesundheit fördern nicht gerade das Wohlbefinden. Und so steigen im bereits zweiten Corona-Jahr auch die Probleme mit der Psyche deutlich an.

Eine weltweite Studie mit Beteiligung der Universität Zürich analysierte etwa die Symptomentwicklung bei psychisch Erkrankten während der ersten Corona-Welle. Demnach berichteten zwei Drittel der Frauen und die Hälfte der Männer über schlimmer werdende Symptome.

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Auch andere Daten belegen die steigende psychische Belastung, der sich die Bevölkerung ausgesetzt sieht. Seit dem Frühjahr 2020 ist der Anteil Personen mit schweren depressiven Symptomen in der Schweiz von 9 auf 18 Prozent im November angestiegen. Dies ergab eine Umfrage der Universität Basel.

Interaktionen planen

Viele der Betroffenen befinden sich im Homeoffice und werden seit fast einem Jahr nur mehr remote geführt. Welche Verantwortung haben Führungskräfte für Mitarbeitende, bei denen sich psychische Belastungen zeigen – und können sie überhaupt remote intervenieren?

«Um Veränderungen in der Stimmung wahrzunehmen, lohnt es sich, Interaktionen zu planen, in welchen es um die Befindlichkeit jedes und jeder Mitarbeitenden geht. In Einzelmeetings oder Teamsitzungen», sagt die Psychotherapeutin Linda Rasumowsky.

Solche Interaktionen fänden sonst vielleicht in der Kaffeeküche statt. Selten würde eine mitarbeitende Person sich selber melden und von sich aus sagen, sie fühle sich depressiv – jedenfalls nicht, solange es kaschierbar ist.

«Psychische Gesundheit und Stabilität ist erkennbar an verschiedenen Faktoren wie Vitalität und Beteiligung, Interesse, Tatkraft, Ideen sowie Lebensfreude. Es ist sicherlich wesentlich einfacher, einen Rückzug von Mitarbeitenden im Office zu erkennen als im Remote-Zustand, da man dort die Körpersprache besser deuten kann», erklärt Executive-Coach Evelyn Wenzel von der Firma Stärkenschmiede.

Eins-zu-eins-Austausch virtuell weiterführen

Deshalb sei der regelmässige persönliche Eins-zu-eins-Austausch auch virtuell mit einem Mitarbeiter oder mit einer Mitarbeiterin sehr wichtig bei Remote Work. «Dabei kann eine Führungskraft darauf achten, wie kommunikativ und lebhaft das Gegenüber innerhalb seines üblichen Spektrums wirkt. Bei länger anhaltenden Abweichungen sollte die Führungskraft die betroffene Person darauf ansprechen und Unterstützung anbieten.»

Es sei wichtig, dass Mitarbeitende sich gesehen und sich durch mangelnden Kontakt zur Führungskraft nicht im Stich gelassen fühlen. Um nicht als «Kontrolletti» zu wirken, würden sich manche Führungskräfte jedoch zurückziehen und damit unabsichtlich Distanz zu ihren Mitarbeitenden aufbauen.

Sind aber überhaupt Massnahmen möglich, um Mitarbeitende aus der Homeoffice-Depression zu holen? Linda Rasumowksy: «Wenn sich eine mitarbeitende Person öffnet, sollte man richtig zuhören und sie ernst nehmen. Es braucht keine Tipps oder schnellen Lösungen. Das ist die gute Nachricht: Man muss gar nicht viel machen – nur da sein.»

Häufig sei es für eine betroffene Person bereits sehr wohltuend, dass jemand ihr Leiden sieht, ihr zuhört, sie nicht verurteilt oder Schuld zuweist. Eine Depression habe nichts mit mangelnder Disziplin oder Willensstärke zu tun. Falls hilfreich, könne nach Entlastung geschaut werden.

Check-ins vereinbaren

Regelmässige Check-ins können vereinbart werden, um zu signalisieren, dass man für die Person da ist. Und auch um mitzubekommen, wenn sich der Zustand allenfalls verschlechtert. «Wichtig zu wissen ist, dass eine Führungskraft nicht für die Heilung verantwortlich ist, aber dazu beitragen kann, dass die Situation der mitarbeitenden Person möglichst gut bewältigt werden kann», so Rasumowsky.

Eine Führungskraft könne auch auf Hilfsangebote hinweisen: die Dargebotene Hand oder eine Therapeutinnen/Therapeuten-Suchmaschine und im Notfall das Ärztefon (0800 33 66 55).

Oft noch vor den Führungskräften seien es aber Kolleginnen und Kollegen, die erkennen, dass es ihrem Remote-Gspänli nicht mehr gut geht. «Wenn ein persönliches und positives Verhältnis zu der betroffenen Person besteht, dann ist ein sinnvoller erster Schritt das direkte Ansprechen des Kollegen oder der Kollegin; das zeugt von Interesse und Wertschätzung», sagt Evelyn Wenzel.

Ignorieren ist die schlechteste Lösung

Man könne zum Beispiel sagen: «Ich sehe, dass du momentan seltener lachst und müde wirkst, und ich mache mir Sorgen. Wie geht es dir im Moment?»

Manchmal könne ein solches Gespräch hilfreich sein. «Es ist aber auch ganz klar die Aufgabe einer Führungsperson, solche Veränderungen wahrzunehmen und achtsam zu sein. Dies gelingt durch regelmässigen direkten Austausch mit den Mitarbeitenden und dem Teilen von Beobachtungen, Wahrnehmungen und Befindlichkeiten», so Wenzel.

Hat man selbst eher kein enges Verhältnis zu der betroffenen Person, macht es Sinn, die eigenen Wahrnehmungen mit der Führungskraft zu teilen, damit Unterstützung geboten werden kann. Ignorieren ist in jedem Fall die schlechteste Lösung.

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Stefan Mair
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