Am Freitag hat der Verwaltungsrat von Open AI, dem Unternehmen hinter Chat GPT und weiteren Anwendungen, den Unternehmenschef und Mitgründer Sam Altman ohne Vorwarnung per Videochat gefeuert. Am Mittwoch darauf wurde er zurückgeholt. Die Ereignisse um das Unternehmen sind ein Lehrstück für Unternehmen in mehrfacher Hinsicht dafür, wie eine untaugliche Corporate Governance, eine chaotische Kommunikation, wirre und rasch wechselnde Entscheide und ein Giftmix zwischen Ideologie und Geschäftssinn ein extrem erfolgreiches Unternehmen mit einem revolutionären Produkt zu vernichten droht. Im Detail:

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Corporate Governance bezeichnet die Strukturen der Unternehmensführung. Sie sollten für Stabilität sorgen und dem Management und den Mitarbeitern die richtigen Anreize bieten, dass das Unternehmen gedeiht. Das war offensichtlich bei Open AI nicht der Fall. Wie sich seit der Entlassung von Sam Altman zeigt, hat sich der Verwaltungsrat als oberstes Entscheidungsgremium meilenweit vom eigenen Unternehmen und seinen wichtigsten Stakeholdern entfernt. Das zeigt sich etwa daran, dass die Mehrzahl der Mitarbeitenden dem Gremium in einem offenen Brief jede Kompetenz abgesprochen hat und dass Altman als CEO und Mitgründer offenbar vom Entscheid genauso überrascht wurde wie alle entscheidenden Investoren, allen voran Microsoft. Für den Softwarekonzern hat Open AI und die dort entwickelte künstliche Intelligenz grösste strategische Bedeutung.

Das zweite negative Lehrstück ist eine Folge der Governance-Schwäche: die verheerende Kommunikation. Nicht nur kam der Entscheid, Altman zu feuern, vollkommen überraschend. Weder er noch die Mitarbeitenden noch die Investoren oder die Öffentlichkeit wissen bis heute, was eigentlich der Grund dafür war. Mitgeteilt hat das Gremium einzig, dass man kein Vertrauen mehr habe. Und dies gleich auch noch öffentlich. Der Entscheid und dessen Kommunikation sind umso schwerer nachvollziehbar, als Sam Altman mit Chat GPT einzigartige Erfolge feierte und das erst 2015 gegründete Unternehmen bereits mit einem Wert von rund 85 Milliarden Dollar bewertet wird.

Das Vertrauen ins Unternehmen unterminiert haben schliesslich die erratischen Entscheide, die der Verwaltungsrat seit Freitag gefällt hat. Noch am Freitag wurde die Technologiechefin Mira Murate zur interimistischen Nachfolgerin von Altman ernannt, um darauf ebenfalls ersetzt zu werden. Denn am Dienstag wurde dann Emmett Shear von aussen geholt und zum CEO gemacht. Jetzt wird es wieder Altman sein, während der Verwaltungsrat weitgehend ausgetauscht wird.

Widerspruch zwischen Idealen und Geschäftserfordernissen

Ein Grund für die Probleme des Unternehmens ist der gewachsene Widerspruch zwischen einer Weltrettungsideologie und den Erfordernissen des Geschäfts. Die Gründer von Open AI, inklusive Altman, wollten mit künstlicher Intelligenz in erster Linie der Menschheit dienen. Damit Geld zu verdienen, war nicht gedacht. Doch der Dienst kostet viel Geld, daher schuf Altman einen kommerziellen Arm des Unternehmens. Die Ansprüche dafür und die Notwendigkeit von Investoren schienen immer mehr in Widerspruch zum einstigen Anspruch zu geraten.

Eng verknüpft mit dem Widerspruch zwischen Geschäft und Idealismus ist jener, der eng mit der künstlichen Intelligenz verbunden ist: jener zwischen dem enormen Potenzial der Technologie zum Nutzen der Menschheit und dem Potenzial für schlimmste Folgen. Es war vor allem Angst vor diesem negativen Potenzial der eigenen Produkte, weshalb Open AI sich eine derart instabile Führungsstruktur verschafft hat und dem kommerziellen Teil erst gar kein und dann ein möglichst geringes Gewicht geben wollte. Sam Altman hat immer wieder stolz verkündet, dass die Strukturen es möglich machen würden, selbst ihn jederzeit zu entlassen. Jetzt zeigt sich, dass diese Strukturen wenig zur Sicherheit der Technologie beitragen, stattdessen aber das Unternehmen gefährden.

Das grösste Risiko im Zusammenhang mit der künstlichen Intelligenz geht immer von den Menschen aus, die dahinterstehen. Die jüngste Entwicklung bei Open AI hat gezeigt, wie sehr das selbst für das führende Unternehmen in diesem Bereich zutrifft. Die eindrückliche technische Expertise hat letztlich nicht verhindert, dass mangelhafte Strukturen und Vorgehensweisen der Verantwortlichen die Existenz des Unternehmens gefährden. Die künstliche Intelligenz hingegen wird ihren Siegeszug fortsetzen. 

Markus Diem Meier
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