In sechs US-Bundesstaaten wird am Dienstag über die Präsidentschaftskandidaten von Republikanern und Demokraten abgestimmt. Für die Republikaner sind die Vorwahlen damit beendet. Für die Demokraten steht am 14. Juni in der Bundeshauptstadt Washington DC die letzte Vorwahl dieses Wahljahres an.

Während Donald Trump ohne Gegenkandidaten bei den Republikanern bereits als einziger Bewerber für die Präsidentschaftskandidatur feststeht, fehlen der Demokratin Hillary Clinton nur noch die Stimmen der Superdelegierten, um die nötige Mehrheit von 2383 Delegierten zu erreichen. Damit würde erstmals in der Geschichte der USA eine grosse Partei eine Frau in das Rennen um das wichtigste Staatsamt schicken.

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Doch nicht nur das ist aussergewöhnlich. Überhaupt war es ein Rennen, wie es noch keines gegeben hat. Der als chancenlos eingestufte Donald Trump redete alles in Grund und Boden, Hillary Clinton konnte bis zum Schluss einen selbsternannten Sozialisten nicht entscheidend abschütteln. Die zehn wichtigsten Erkenntnisse aus dem Vorwahlrennen:

1) Inhalte zählen so gut wie nichts

Während sich die Demokraten zumindest ansatzweise mit der Frage von Mindestlöhnen oder der richtigen Strategie im Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) auseinandersetzen, reichte Donald Trump bei den Republikanern im Prinzip eine einzige These: «Let's Make America Great Again!» Inhaltlich legte er sich kaum fest, blieb so vage wie möglich, ruderte hin und wieder zurück. Einzige Konstante: Trump beharrt auf dem Bau einer Mauer an der Grenze zu Mexiko.

2) Populisten gewinnen Oberwasser

Trumps Versprechen, mit ihm werde alles besser, reichte zum Sieg bei den Republikanern. Bei den Demokraten glänzte Bernie Sanders mit unrealistischen Ankündigungen. Die Menschen sind konsterniert und frustriert von ihrer politischen Klasse. In der Hoffnung auf etwas besseres Neues glauben sie einem Nicht-Politiker. Dieses Vakuum füllt für viele kurioserweise ausgerechnet Donald Trump, dessen politische Lügen beinahe täglich aufgedeckt werden.

3) Der Frust im Land ist riesengross

«Washington» gilt als Synonym für Stillstand und Nichts-geregelt-bekommen. Doch wer ist Schuld an der Misere? Präsident Barack Obama, der die falschen Entscheidungen getroffen und die Menschen in eine ungewisse Zukunft geführt hat? Oder die Republikaner, die mit ihrer Blockade-Mehrheit in Senat und Repräsentantenhaus lange Zeit konstruktives Handeln auf dem Capitol Hill im Keim erstickt haben?

4) Hauptsache anders

Wer als «Insider» des politischen Systems gilt oder als Vertreter des Establishments, wurde abgestraft. Zuvorderst Jeb Bush, der Bruder von George W. Bush, der bei den Republikanern keinen Fuss auf den Boden bekam. Aber auch Hillary Clinton, die sich länger als erwartet ihres Kontrahenten Sanders erwehren muss. Die Amerikaner wollen alles, nur keine politischen Erbhöfe.

5) Weiblich reicht als Argument nicht aus

Wer sich für Frauenrechte interessiert, ist eh bei den Demokraten, sagen Politologen. Und «Soccer Moms» wie Teaparty-Ikone und Trump-Unterstützerin Sarah Palin streben ohnehin nicht nach einer Präsidentin. Interessanter Nebenaspekt: Donald Trump treibt mit seinen teils sexistischen Sprüchen Kontrahentin Clinton dazu, um die Wählergruppe zu werben, die sie ohnehin schon hat: Die Frauen.

6) Tabubrüche bleiben folgenlos

Besonders Donald Trump hat damit nicht gespart. Er beleidigt Frauen, spottet über Behinderte und Ausländer, legt sich mit den Medien an, verschweigt seine Steuerdaten und mischt sich in laufende Gerichtsverfahren ein. In jedem anderen Wahlkampf hätte das dem Kandidaten das Genick gebrochen. Heute heisst es: «Endlich traut sich einer, es zu sagen.»

7) US-Medien haben das Phänomen Trump erst möglich gemacht

Weil Quote für die US-Sender alles ist, wird das gezeigt, was Quote bringt. Und im politischen Fernsehen ist das Donald Trump, der Polit-Rüpel. Teilweise machen sich Medienleute selbst zu einem Teil des Wahlkampfes, wie Fox-Moderatorin Megyn Kelly. Erst zoffte sie sich mit Trump, dann versöhnte sie sich mit ihm - jeweils live und vor laufender Kamera.

8) Geld und reiche Wahlkampfunterstützer sind kein Thema

US-Medien schätzen, dass der Wahlkampf 2016 noch erheblich mehr kosten als die gigantischen 5,8 Milliarden Dollar, die Barack Obama und seine Gegner 2012 ausgegeben hatten. Inzwischen regt sich kaum noch jemand darüber auf, wenn steinreiche Parteispender mit Millionen-Summen winken. Klar ist: Interessengeleiteter Einfluss auf die künftige Politik im Weissen Haus findet weiterhin im grossen Umfang statt.

9) Wählen ist wieder sexy

Die Beteiligung an den Vorwahlen war fast überall höher als zuvor. Donald Trump holte so viele Stimmen, wie kein anderer Republikaner-Bewerber vor ihm. Wahlforscher sind sich einig: Er hat viele bisherige Nichtwähler an die Urnen geholt. Bernie Sanders füllte als Bewerber mit nur geringen Siegchancen ganze Stadien mit jungen Leuten. Der Hunger nach politisch Neuem, aber auch nach dem Wahlkampf als Entertainment, ist gross in Amerikas tristen Gegenden.

10) Was früher galt, gilt nicht mehr

Fast jeder Wahlforscher macht bei seinen Prognosen Einschränkungen. «Dieses Jahr ist alles anders», fasst Patrick Murray von der Monmouth University die Unsicherheit zusammen. Kann man in den USA mit Latino-feindlicher Politik eine Wahl gewinnen? Früher nicht. Darf man sich bei Lügen ertappen lassen? Früher nicht. Darf ein Kandidat in ein- und derselben Sachfrage seine Meinung mehrmals täglich wechseln: Diesmal offenbar schon.