Die Tochter putzt ihr Velo, wechselt die Batterie für das Rücklicht und stellt den Sattel ein – die Veloprüfung steht an. Eine gute Gelegenheit für ein Gespräch von Mutter zu Tochter: «Weisst du eigentlich, dass das Fahrrad einen wichtigen Beitrag zur Emanzipation der Frau geleistet hat?» – «Muss das jetzt sein, Mama?»

Als das Velo in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Europa und den USA richtig in Mode kam, merkten Frauen, dass ihnen dieses Vehikel sehr viel Freiheit und Unabhängigkeit brachte. Plötzlich kamen sie schnell von A nach B, konnten sich mit anderen Frauen treffen und zur Arbeit fahren. Aber dann, um 1890, wurden Ärzte auf ein neues Krankheitsbild aufmerksam: das Velogesicht. Ein Mediziner beschrieb die Symptome in einem Fachmagazin: «Ein harter, zusammengebissener Kiefer, hervorquellende Augen, rote Wangen und immer mit einem Ausdruck von Müdigkeit.» Komischerweise waren vom Fahrradgesicht nur Frauen betroffen – Männer hingegen nie.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Da flammt ein wenig Interesse bei der Tochter auf: «Das ist doch Unsinn!» Natürlich war es Unsinn. Die Mär vom Velogesicht sollte Frauen das Fahrradfahren verleiden und sie wieder in ihre Schranken weisen – am besten wohl hinter den Herd.

Und das hat tatsächlich auch etwas mit Finanzen zu tun, denn mit dem Velo verhält es sich genau wie mit Finanzen: Finanzielle Unabhängigkeit macht Frauen stark und gibt ihnen Freiheit. Frauen, die sich um ihre eigenen Finanzen kümmern, sind selbstbewusster, werden mehr respektiert. Deswegen hört man vielleicht immer noch: Frauen könnten es ja nicht so mit Zahlen. Frauen seien zu risikoscheu, um an der Börse zu investieren. Schon den Mädchen versucht man in der Schule einzutrichtern, sie seien nicht gut in Mathematik.

«Das hat noch niemand zu mir gesagt!», lacht die Tochter. «Trotzdem sollst du wissen, dass es vor allem für Frauen wichtig ist, sich um Geldangelegenheiten zu kümmern.» Das Kind legt die Luftpumpe zur Seite und stemmt die Hände in die Hüfte: «Also gut. Im neuen Schuljahr möchte ich mehr Taschengeld! Machst du jetzt etwa ein Velogesicht, Mama?»

Finanzielle Unabhängigkeit verleiht Freiheit. Frauen, die sich um ihr Geld kümmern, sind stärker und selbstbewusster.

sdf
Anne-Barbara LuftMehr erfahren