Was, wenn Bitcoin noch wichtiger wird?

«Bitcoin würde um neuen Goldstandard. Ob sie besser als die Papierwährungen ist, die wir haben, hängt davon ab, wie man die Zentralbankenpolitik beurteilt. In der Finanzkrise waren vor allem die Zentralbanken handlungsfähig und haben uns vor dem grossen Absturz bewahrt.» Thorsten Hens, Professor Universität Zürich

«Der demokratische Zugang zu Finanzdienstleistungen wäre eine Chance, ebenso Unabhängigkeit gegenüber Zentralbanken. Andererseits können die Währungen von Staaten auch nicht positiv beeinflusst werden. Zudem können private Wallets (Geldbörsen) gehackt werden.» Jan Brzezek, Gründer Crypto Fund Chancen

«Ein Geldsystem basierend auf Bitcoin würde Spekulationsblasen massiv reduzieren und das globale Finanzsystem stärken. Im Sinne von Hayek und seiner Idee vom freien Geld profitierte die Wirtschaft. Die Risiken: Der Staat möchte sein Geldmonopol verteidigen und verbietet BitcoinAdriano Lucatelli,  Gründer Fintech Decartes Banking

Mit einer siebenköpfigen Delegation betrat Bundesrat Ueli Maurer letzte Woche die Räume von Bitcoin Suisse in Zug. Überall stehen Bildschirme, auf denen Kursverläufe zu sehen sind. Und immer gehen die Kurven von links unten nach rechts oben. Bitcoin Suisse – der grösste Schweizer Broker von Bitcoin, Ether, Tezos und anderen neuen digitalen Währungen – wird zurzeit von Kundenanfragen überrannt.

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«Wo sollen wir regulieren und wo eben gerade nicht?», fragt Bundesrat Maurer die Crew bei Bitcoin Suisse. Im Blick haben er und die Delegation die stark wachsende Krypto-Industrie mit ihren Chancen und Risiken für die Schweiz. Der Ton der Debatte ist gemässigt, abgeklärt, die Preisexplosion bei Bitcoin für den Bundesrat kein Thema.

Erstaunliche Hysterie

Andernorts in der Schweiz herrscht Hysterie ob der Wertsteigerung von Bitcoin auf über 4000 Dollar. Die einen Medien räumen Platz frei für proklamierte Kursziele von 100'000 Dollar, andere sprechen von «Krypto-Quatsch», dritte lästern über das Phänomen mit Kettenbrief-Analogien. Der Absturz sei nahe, lautet der Tenor oft. Der Ton wird eindeutig gehässiger. Es scheint, Weltbilder und Ideologien stünden auf dem Spiel.

Dabei ist klar: So etwas wie einen «fairen Preis» von Bitcoin gibt es nicht. Bitcoin hat keinen intrinsischen, alles überdauernden Wert. Zwar werden Bitcoins mittels grosser Computerleistung erzeugt, trotzdem ist es absurd, die Stromkosten herbeizuziehen, um den Wert eines Bitcoins zu errechnen.

Einzig Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis

Der Preis von Bitcoin bestimmt sich einzig und allein durch Angebot und Nachfrage an den Dutzenden Börsen weltweit. Natürlich gibt es Gründe, warum die Nachfrage steigt. Zuallererst sind es zwei Eigenschaften, die Bitcoin attraktiv machen. Erstens wird es laut Programmcode maximal 21 Millionen Bitcoins geben. Bitcoin kennt keine mächtigen Zentralbanker wie EZB-Chef Draghi und Co., welche die Geldschleusen öffnen können. Das sind gute Nachrichten für alle, die Angst vor einer Geldmengenausweitung beim Dollar, beim Euro oder beim venezolanischen Peso haben.

Die zweite Eigenschaft lautet: Keine Behörde, niemand kann Bitcoins beschlagnahmen. Das spricht viele Leute in Russland, China, Indien an, die Kapitalverkehrskontrollen fürchten oder darunter leiden, wenn grosse Banknoten (wie in Indien) für ungültig erklärt werden. Und natürlich finden auch Kriminelle Gefallen daran, ausserhalb des Bankensystems operieren zu können.

Umsätze bei Tauschbörsen als Indikator

Ein guter Indikator für die tatsächliche Nachfrage aus solchen nichtspekulativen Gründen sind die Umsätze bei lokalen Tauschbörsen, bei denen eher mühsam Cash gegen Bitcoins getauscht werden. Seit drei Jahren zeigen diese Umsatzzahlen für Russland, Indien, Venezuela und etwa noch fünfzig andere Länder kontinuierlich und beschleunigend nach oben. Für die Schweiz war übrigens – wenig überraschend – zu keinem Zeitpunkt eine Steigerung festzustellen. Mit der Sicherheit des Frankens im Hintergrund bestand auch nie Bedarf dafür. Aber Bitcoin ist global. Und es gibt keine Anzeichen dafür, dass diese zwei Top-Eigenschaften von Bitcoin an Attraktivität einbüssen.

Doch ohne die massiv anziehende Spekulation auf weiter steigende Kurse wäre Bitcoin nicht so rasch hochgeschnellt. Kryptowährungen im Wert von 6 Milliarden Dollar werden heute täglich an den Börsen gehandelt. Ein Family Office kaufte eben Bitcoins für 40 Millionen Euro. Wie lange noch? Niemand weiss es. Aber noch haben längst nicht alle Family Offices und institutionellen Anleger in Krypto investiert. Bankprodukte für Privatanleger werden gerade erst lanciert. Bei der inzwischen mit 1,6 Milliarden Dollar bewerteten US-Firma Coinbase eröffnen täglich 10'000 Leute ein Konto, um die neuen Währungen kaufen zu können. Der Boom kann noch andauern. Ebenso klar ist: Irgendwann wird die spekulative Nachfrage einbrechen und damit auch der Kurs.

 Umschichtung von Gold in Bitcoin

Wann, weiss niemand. Es ist auch möglich, dass eine langfristige Umschichtung von Gold in Bitcoin begonnen hat. Zumindest haben institutionelle Anleger in den letzten zehn Wochen 30 Milliarden in Goldanlagen abgezogen. Was als «store of value», als Wertaufbewahrungsmittel, gilt, ist immer auch ein langfristiger, gesellschaftlicher Konsens. Niemand kann heute sagen, ob gerade ein solcher Konsens für Bitcoin als ersten raren digitalen Rohstoff entsteht. Solche Prozesse können Jahre und Jahrzehnte dauern, würden aber Bitcoin stützen.

Entscheidend ist, wie immer in Geldfragen, das Vertrauen der Menschen. Ist es einmal erschüttert, sackt der Kurs unmittelbar ab. Das dürfte für so junge Phänomene wie Kryptowährungen in besonderem Masse gelten.

Die grössten Risiken für Bitcoin sind eindeutig politischer Natur, und zwar innerhalb wie ausserhalb der Bitcoin-Welt. Denn anders als oft kolportiert wird, sind es nicht primär mathematische Gesetze, die Bitcoin sicher machen, sondern mindestens im gleichen Ausmasse ökonomische Anreize: Bitcoin läuft seit neun Jahren fast reibungslos, weil all die Serverfarmen, welche das Netzwerk weltweit sichern, lieber Geld verdienen als verlieren wollen. Und Geld verdienen die Betreiber der Serverfarmen nur dann, wenn sie sich an die Regeln im Netzwerk halten. Das ist der Clou von Bitcoin: Solange die Mehrheit der Netzwerk-Sicherer Geld verdienen will, funktioniert Bitcoin.

Bitcoin ist Politik ohne klare Mehrheit

Doch inzwischen hat der normale kapitalistische Drang zur Bildung von Oligopolen auch Bitcoin erreicht – und es gibt nur noch einige wenige, dafür gigantische Serverfarmen in China. Die Konzentration macht das Netzwerk anfälliger auf Angriffe. Es wäre etwa für die chinesische Regierung ein Leichtes, die Betreiber dieser Farmen dazu zu drängen, Bitcoin-Überweisungen zu verlangsamen. Die Auswirkungen auf den Kurs wären drastisch. Ebenso gefährlich könnten Bitcoin neuere Kryptowährungen werden. Einige schützen die Privatsphäre besser, andere erlauben mehr Transaktionen, dritte offerieren neue Anwendungen. Zum Vergleich: Myspace war das erste grosse soziale Netzwerk und hat trotzdem später gegen Facebook verloren.

Klar ist einzig, einen linearen Aufstieg von Bitcoin, eine konfliktfreie Adoption durch die Massen wird es nie geben. Dafür sorgen schon nur die verschiedenen Fraktionen innerhalb der Bitcoin- Industrie mit ihren unterschiedlichen Ansichten, wie Bitcoin weiterentwickelt werden sollte. Bitcoin ist Politik ohne klare Mehrheitsverhältnisse. Das wird sich hundertprozentig in Preisschwankungen niederschlagen – die einzig verlässliche Prognose.

Prognosen wurden beim Meeting von Bundesrat Ueli Maurer bei Bitcoin Suisse keine gemacht. Dafür nahm er zwei Botschaften zurück nach Bern: Die Finma macht einen guten Job bei der Regulierung der neuen Industrie. Hauptproblem sind
Bewilligungen für Top-Arbeitskräfte aus dem Ausland. Das Meeting mit dem Finanzminister dauerte 45 Minuten. Während dieser Zeit stieg der Wert aller Bitcoins um 650 Millionen Dollar an.