Drei Monate vor den Präsidentschaftswahlen ein Buch über Donald Trump zu schreiben, ist ein ziemlich riskantes Unterfangen. Verliert der republikanische Kandidat gegen Hillary Clinton - worauf Umfragen seit einigen Wochen hindeuten - so könnte sich das Interesse an Trump ebenso schnell vaporisieren wie auch dessen politische Karriere.

Der Journalist Walter Niederberger ist das Risiko dennoch eingegangen - zum Glück. Denn sein Buch, das Trumps fabelhaften Werdegang vom Immobilienhändler zum Spaltpilz der Nation beschreibt, bliebe auch nach einer allfälligen Wahlniederlage lesenswert. Die sozialen und ökonomischen Entwicklungen, auf denen Trumps populistisches Programm gründet, werden die USA weiter prägen.

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Die Schweizer Schokostadt im Rostgürtel

Trumps Aufstieg kontrastiert mit dem Abstieg, den die amerikanische Arbeiterschaft in den letzten Jahrzehnten erfahren hat. Sinnbildlich dafür steht die Stadt Fulton im Bundesstaat New York, von der Niederberger erzählt: eine ehemalige Industrieperle, die nach einer langen und glorreichen Vergangenheit wirtschaftlich ins Hintertreffen geraten ist.

Die Schweizer Firma Nestlé hatte 1899 in Fulton die landesweit erste Produktionsanlage für Milchpulver und Babynahrung eingerichtet. Später wurde auf Schokolade umgestellt. Das Geschäft florierte und mit ihm die Stadt. Nestlé zahlte über 20 Dollar pro Stunde und damit 10 bis 20 Prozent höhere Löhne als anderswo. Über 2000 Angestellten profitierten zu Spitzenzeiten von diesen Bedingungen.

Doch die neunziger Jahre brachten den Niedergang: Nestlé verlagerte den Geschäftssitz nach Kalifornien und die Produktion nach Brasilien. In Fulton blieb die Misere zurück.

"Nach der Schliessung der Fabrik finden die meisten Arbeiter keine neue Stelle mehr. Das Oswego County, zu dem auch Fulton gehört, erlebt eine schlimme Depression. 2013 steht die offiziele Arbeitslosenquote noch immer bei fast 13 Prozent. Das ist ein seit 23 Jahren nicht mehr gesehener Rekord. Fulton ist komplett am Boden. (...) Der deutsche Detailhändler Aldi will nun einen Supermarkt bauen. Aldi gilt zwar als guter Arbeitgeber in den USA, weil er höhere Löhne zahlt als Walmart. Doch mit einem mittleren Stundenlohn von 12 Dollar verdient eine Aldi-Kassiererin doch deutlich weniger als 15 Jahre zuvor am Fliessband bei Nestlé." (Walter Niederberger, "Trumpland")

Städte wie Fulton gibt es im einstigen industriellen Herzland der USA viele. Traditionell stimmten die dortigen Einwohner meist für die Demokraten. Wegen des wirtschaftlichen Frusts, der sich seit der Finanzkrise zusätzlich akzentuiert hat, könnte diesmal das Pendel in die andere Richtung schwingen. Schon in der republikanischen Vorausscheidung vermochte Trump im so genannten Rostgürtel viele Wähler zu mobilisieren.

Eine von Widersprüchen zerrissene Partei

Walter NiederbergerDie Wirtschaft ist wichtig. Aber sie ist nicht der einzige Faktor, der das Phänomen Trump erklärt. Auch dies legt Niederberger in seinem Buch überzeugend dar. Der furiose Durchmarsch des New Yorker Immobilientycoons und Celebrity-TV-Stars hat ebenso viel mit den Widersprüchen der republikanischen Partei wie mit der ökonomischen Lage ihrer Wähler zu tun.

Ganz zuoberst auf der Liste der Widersprüche steht das Verhalten der Führungselite - einer Clique einflussreicher Parteifunktionäre, die stets mit wertkonservativen Parolen auf Stimmenfang ging, um parallel dazu die Interessen ihrer milliardenschweren Financiers durchzusetzen. Tiefe Steuern, wenig Umverteilung, Freihandel und ein minimaler Sozialstaat: Diese Rezepte entsprechen jedoch schon lange nicht mehr den Interessen an der republikanischen Basis.

Trump räumt mit diesen Widersprüchen auf, indem er einerseits den latenten Rassismus dieses Programms - der Sozialstaat unterstützt überproportional die schwarze Bevölkerung - durch eine offene Fremdenfeindlichkeit ersetzt. Andererseits verspricht er der weissen, männlichen und niedrigqualifizierten Arbeiterschicht Schutz, indem er gegen Immigration und Freihandel wettert. Selbst wenn Trumps Ideen auch kein Wirtschaftswunder versprechen, sind sie doch immerhin weniger verlogen als jene der anderen Republikaner.

Auf auf die einstige Regierung von George W. Bush kann Trump unbehelligt eindreschen. Denn er weiss, wie unbeliebt sich diese mit dem Irakkrieg und der Finanzkrise im Volk gemacht hat. Trump entlarvt mit seiner unbekümmerten Art auch die geheuchelte Frömmelei, mit der sich republikanische Politiker in religiösen Kreisen anbiedern. Dass die "Grand Old Party" unter Präsident Barack Obama einen totalen Blockadekurs fuhr, kommt ihm gerade recht: Gross ist die Lust unter den Wählern, einen politischen Outsider nach Washington zu schicken, der dem Politestablishment die Hölle heiss macht. Wenn dabei das System selbst zerstört wird, ist dies gerade recht.

All diese Umstände und noch viel mehr schildert Niederberger auf gut 200 süffigen Seiten. Die Lektüre von "Trumpland" lohnt sich - noch vor den Wahlen, aber auch danach.