An Ermahnungen habe es nicht gefehlt. Riesige Verluste habe er produziert, Millionen mit seinen Fonds in den Sand gesetzt. Die Analysen und Kommentare zur Börse seien zwar durchaus brauchbar, hält ihm ein Vermögensverwalter immerhin zugute, der seit zehn Jahren auf Heiko Thiemes Einschätzungen hört. Doch bei der Umsetzung habe es arg gehapert.

Thieme druckst auch gar nicht lange drum herum: «Ja, ich habe Fehler gemacht.» Google etwa habe er beim Börsengang leer verkauft und damit fatalerweise auf einen Kurseinbruch spekuliert. «Ich habe das Geschäftsmodell falsch eingeschätzt», weiss der deutsche Wall-Street-Banker heute. Ein weiterer Fehler: Er hat zu hohe Anteile in kleine Nebenwerte investiert. Das gibt Probleme mit der Liquidität. Ein plötzlicher Verkauf einer solchen Position führt zu einem Kurseinbruch und damit zu erheblichen Verlusten. Dies musste Thieme in den neunziger Jahren schmerzlich erfahren. Erst war er der gefeierte Fondsmanager in New York. «232 Prozent Performance zwischen 1990 und 1993», erwähnt Thieme zweimal in unserem Gespräch. Gemeinsam mit dem legendären Peter Lynch habe er an der Spitze der Performance-Liste gestanden. 1997 wurde Thieme von der Zeitschrift «Mutual Funds» als bester Fondsmanager ausgezeichnet. 1995 allerdings als schlechtester. Thieme erkannte in der Bekämpfung der männlichen Impotenz einen Trend und kaufte sich bei der Biotechfirma Senetek ein. Der Trend stimmte, doch das Rennen machte ein Konkurrent: mit Viagra. Thieme setzte auf neue Technologien der Datenübertragung und investierte in den Nebenwert Spectrum Information Technologies. Auch diese Voraussage war zutreffend, doch Spectrum ging 1994 in Konkurs.

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Und als ein Anleger Thieme in einen jahrelangen Prozess verwickelte («Ich lehnte es ab, in der amerikanischen Erpressungsmaschine klein beizugeben»), kam der Niedergang. Wegen des unsicheren Prozessausgangs – die Klage gegen Thieme war letztlich erfolglos – zogen die Fondsanleger ihre Gelder, in den besten Zeiten an die 200 Millionen Dollar, zurück. Thieme musste Position um Position auflösen. Heute ist sein einstiges Paradepferd, der American Heritage Fund, ein Schatten seiner selbst, eine Fondshülle, die Thieme gerne abgeben würde. «Schade um den fantastischen Namen», bedauert er.

In Thiemes (blauen) Augen waren seine Tipps dennoch überaus wertvoll. In der Tat warnte der Daueroptimist 1999 frühzeitig vor dem Platzen der New Economy Bubble und wurde ausgelacht. Als er 2003 zum Wiedereinstieg riet, wurde es der «Frankfurter Allgemeinen» zu bunt, und sie verzichtete fortan auf seine Kolumne. Es folgte tatsächlich eine fünfjährige Börsenhausse. Richtig ist aber auch, dass er schon im April 2001 das Ende der Börsenbaisse verkündete und bis Ende 2002 neue Index-Höchststände prognostizierte. «Hochgerechnet bin ich für Verluste von etwa fünf Milliarden Dollar verantwortlich», zieht er Bilanz, schiebt aber gleich nach: «Passen Sie auf, wenn Sie das schreiben. Sie dürfen alles über mich schreiben, bloss sollten Sie Fehler vermeiden.» Die Gewinne, die er sich handkehrum zurechnet, dürften sich, so Thieme, auf 500 Milliarden Dollar belaufen. So habe er zum Beispiel Citicorp bei einem Kurs von 21 Dollar empfohlen, mit Kursziel 100 Dollar – die Aktie stieg schliesslich auf über 180 Dollar, und die Firma brachte es auf einen Börsenwert von über 250 Milliarden Dollar. Mit solchen Empfehlungen konnten Anleger Milliarden verdienen, zeigt Thieme auf.

Er will denn auch gar nicht recht begreifen, dass ihm niemand mehr Geld zur Verwaltung überlassen will. Aus dem im vorigen Jahr angekündigten neuen Fonds für amerikanische Werte wurde jedenfalls nichts. Grund sei ein gehässiger Artikel in einem deutschen Wirtschaftsmagazin, glaubt Thieme. 36 Fehler habe er in dem vierseitigen Text gezählt. Doch die Katze lässt das Mausen nicht. Über die HypoVereinsbank hat er im April ein Zertifikat aufgelegt. Noch immer wartet er allerdings auf genügend Gelder, um endlich in den «Thieme-Global-Index» investieren zu können. Aus der Schweiz wurde nach seinem Vortrag eine zweistellige Millionensumme in Aussicht gestellt, aber bis heute nicht überwiesen. Aus einer Beteiligung an den deutschen Kleinuternehmen, deren Präsentation er in Zürich leitete, wird deshalb vorerst nichts. Dabei würde er gerade jetzt gern einsteigen: jetzt, da er das weitere Gefährdungspotenzial für die Börse durch die Kreditkrise für gering hält.

2008 werde noch ein gutes Jahr. Doch dann vermutet er Ungemach wegen der amerikanischen Präsidentschaftswahlen. Hillary Clinton werde das Rennen machen, was die Anleger nicht gerne sähen. Erst 2011 werde wieder ein tolles Börsenjahr, erwartet Heiko Thieme. Die Widersprüche gehen in Thiemes Redeschwall unter. Eines aber weiss er: «Und immer wieder steigt die Börse.» So würde er sein Buch nennen, zu dessen Niederschrift ihn der 1999 verstorbene André Kostolany immer wieder ermuntert habe.

Investieren würde Thieme derzeit zwar wieder in kleine Börsenwerte, wie er dem Interviewer am Rande der Veranstaltung der Scherrer Asset Management zu deutschen Small Caps anvertraut. Aber höchstens ein Drittel. Die kleinen Werte seien bereits gut gelaufen; das Potenzial liege bei den grossen, vor allem den Banken. Ebenso bei Bohrgesellschaften wie Rowan und Gold. Wenn er denn nur das Geld dazu auftreiben könnte. Etwa 250 Millionen Euro wären ideal, mehr wolle er gar nicht.

Doch um Geld betteln mag er nicht mehr. Auch nicht an einem Börsenwettbewerb teilnehmen. Das wäre, wie wenn Rubinstein bei einem Klavierwettbewerb aufspielte. Er geniesse nun vielmehr sein Leben: Vergangenen Sommer habe er den Kilimandscharo bezwungen und laufe demnächst in New York seinen 13. Marathon. Besonders freue er sich über die alljährlichen Treffen mit seinen Trainees. Ja, das ist sein Stolz. Über 300 Praktikanten haben sich bei ihm das Rüstzeug für die Börse geholt. Einer habe es bis in den Aufsichtsrat der Deutschen Bank geschafft.

So zieht der Nachkomme von Predigern als gern gesehener Gastredner durch die Lande – und preist den Wohlstand mit Aktien. Als er am 19. Juli dennoch mit Schlamm beworfen wurde, waren nicht erboste Anleger die Urheber, sondern eine Dampfleitung, die in der Lexington Avenue in Manhattan barst, wo Thieme im 27. Stockwerk seine Büros hat.